Der Landtagsabgeordnete und frühere Bundessprecher der Grünen, Christoph Chorherr, über die Zukunft der Partei, der Stadt und den Erfolg des rechten Lagers in Wien.
Auf dem Weg hierher wurde ich von mehreren NGO-Aktivisten angesprochen. Wie viele Daueraufträge gehen bei Ihnen auf das Konto von Greenpeace und Co?Ich fürchte zu viele. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Wüsste ich es, würde ich mich wohl über etliche giften und müsste einige Aufträge kündigen. Ich sehe das aber als allgemeine Unterstützung durchaus sinnvoller Aktivitäten.
"Sehnsucht nach Politik größer geworden"/
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Vor zehn Jahren sagten Sie, es gebe eine Sehnsucht nach Politik. Wie sehen sie das heute?
Ich würde es heute sogar noch verschärfen. Es gibt heute noch mehr Sehnsucht nach Politik. Politik verstanden als Gestaltung. Stichwort: nachhaltige Industriegesellschaft. Das interessiert die Menschen sehr. Politik unterschätzt jedoch permanent das Niveau ihrer Adressaten, der Citoyens. Das ist mit Sicherheit eine der Ursachen der Politikverdrossenheit. Das Bedürfnis, grundlegende Debatten zu führen, wäre jedenfalls vorhanden.
In welcher Form?
In jeglicher Form. In Debatten im Fernsehen, in den Feuilletons, auf Veranstaltungen. Ich sehe hier jedoch auch Versäumnisse der österreichischen Medienwirklichkeit. Komplexere Sachverhalte lassen sich nun mal nicht auf kürzere Sager zusammenstreichen. Es hat aber auch mit dem Niveau des österreichischen Journalismus zu tun. Ich bin immer total fasziniert, dass sich in allen Medien dieselben, langweiligen, oft irrelevanten Dinge wieder finden. Ein Spiel, dass Politiker sicherlich auch mitspielen. Da trifft sich das untere Mittelmaß und glaubt, mehr würde die Leute nicht interessieren.
Die Herausforderungen für die Wiener Grünen hinsichtlich der Wahlen 2010?
Es sind immer dieselben. Inhaltlich sind wir gut aufgestellt, die Performance könnte besser sein. Ziel muss es sein, an der Macht teilzuhaben, Regierung zu sein, um zu zeigen, dass unsere Visionen realitätstauglich sind.
Nach den Wahlen 2005 forderten sie noch „eine mittlere Revolution“ und eine „Säkularisierung der Partei“. Ist diese Revolution eingetreten?
Nein. Ich glaube, dass wir noch immer zu innenorientiert und strukturkonservativ sind. Ich habe damals eine stärkere Öffnung der Partei gefordert. Denn es bestehen bei allen Parteien große Klüfte zwischen Parteien und Wählern. Leider auch bei uns. Es werden immer wieder Entscheidungen getroffen, die der Durchschnittswähler nicht versteht. Wir müssen unabhängig von Parteienzugehörigkeiten Debatten und Dialoge anregen. Daran arbeite ich auch, halte mich deshalb ein wenig bedeckt. Nur soviel: Ich möchte sicherstellen, dass auf Listen ein gewisses Maß an Durchmischung herrscht, und dass Menschen, die neu in die Politik kommen, eine reale Chance haben. Siehe Eva Glawischnig und Alexander van der Bellen – zwei Beispiele für erfolgreiche Quereinsteiger. Wir sind da ein bißchen wie die anderen Parteien geworden.
"SPÖ macht Politik für und nicht mit den Bürgern" /
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Sind die Grünen eine „normale“ Partei geworden?
Sie sind wenig anders als sie angetreten sind. Es ist ein natürlicher, nicht automatisch schlechter Prozess, weil das politische Spiel eben gewisse Regeln hat. Aber ein bißchen mehr Dynamik würde ich mir schon wünschen.
Gibt es die oft zitierte Kluft zwischen Realos und Fundis in der Partei?
Nein. Jede Partei hat Strömungen, hat Flügel. Mein persönlicher Zugang zu Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ist sicherlich liberaler als bei manch anderen in der Partei. Mein Glaube an die Segnungen des Staates immer und überall, insbesondere wo´s um Wirtschaftslenkung geht, ist sehr endenwollend. Es ist aber nur menschlich, dass es – wie bei allen Parteien – auch bei den Grünen Seilschaften gibt.
Michael Häupl hat bereits angekündigt, 2010 noch einmal zu kandidieren. Drohung oder Segen?
Es ist ein Faktum. So wie ich die SPÖ einschätze, ist die Chance, dass Häupls Nachfolger ein Qualitätssprung nach oben bedeutet, gering.
Konkret: Renate Brauner?
Es gibt viele Kritikpunkte an Michael Häupl, aber er ist erstens intelligent und zweitens als Person breiter als die SPÖ. Dennoch: Er macht zu wenig aus dem mächtigen Amt des Bürgermeisters. Ich persönlich habe einen guten Draht zu ihm. Eine Reihe von Innovationsprojekten, die ich für Wien geplant habe, hat er wohlwollend geduldet. Da ist Renate Brauner viel enger. Aber: Wien ist feudal und strukturkonservativ und das wird es auch weiter bleiben.
Wie erklären sie den Erfolg der SPÖ?
Der SPÖ gelingt es, ein sehr positives Lebensgefühl, das in Wien besteht, auf sich selber zu übertragen.
"Ich würde mir mehr Dynamik in der Partei wünschen" /
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Wie erklären sie sich die Tatsache, dass ausgerechnet in Wien das rechte Lager so stark ist?
Das ist einer meiner schärfsten Vorwürfe an die SPÖ. Indem sie nach wie vor glaubt, Politik für die Menschen und nicht mit den Menschen zu machen und so permanent Abhängigkeitsverhältnisse produziert, schafft sie die Voraussetzungen, wirklich autoritären Strukturen oder Parteien zuzulaufen. Die wirkliche Entfeudalisierung Wiens ist noch lange nicht gelungen. Von Kultur in Kleingartensiedlungen bis Gemeindebauten wird individuelles Engagement, das sich auch gegen die Obrigkeit richtet, von der SPÖ zu wenig gefördert. Unabhängigkeit wird nicht als Wert erkannt.
Was müsste die SPÖ den konkret ändern?
Ihre Haltung. Die Partei glaubt wirklich: Wien ist gleich SPÖ und wenn du dich dazu bekennst, bekommst du auch etwas. Wenn ich versuche, ihnen das zu sagen, verstehen sie mich nicht und schauen mich ganz fassungslos an. Sie verstehen´s wirklich nicht. In ihrem Verständnis tun sie alles für die Menschen. Das ist im Grund zu tiefst autoritär und schafft Abhängigkeiten. Und wenn´s dann hart auf hart kommt, geht man eben lieber zum Schmied und nicht zum Schmiedl.
Sie kritisieren ja den Alarmismus, die „fünf vor Zwölf-Stragie“ der Grünen im Bereich der Umweltpolitik. Wieso?
Weil die Apokalypse lähmt. Die Apokalypse – im Sinne von „die Welt geht unter“– ist unrichtig. Die ökologische Frage ist viel mehr eine soziale und kulturelle Frage, weil sich die Lebensumstände enorm verändern werden. Und treffen wird es vor allem die Armen. Kulturell insofern, als dass die Menschheit auch ohne Leonardo DaVinci, die Altstadt von Venedig und ohne den Eisbären leben kann. Wir werden nur viel schlechter und ärmer leben. Vielleicht wäre diese Argumentation zielführender, als permanent die Katastrophe auszurufen.
Auf der anderen Seite ist doch aber das Bewusstsein so groß wie noch nie?
Richtig. Das sehe ich auch als Chance. Ich glaube aber, dass die Umstellung viel fundamentaler sein muss. Da geht es nicht um ein paar Filter und ein paar Energiesparlampen. Es geht um eine Neujustierung von zwei- bis dreihundert Jahren Industriegeschichte. Die Aufgabe ist eine postfossile, industrielle Gesellschaft zu schaffen.
Macht Wien dabei eine schlechte Figur?
Nein, aber Wien könnte mehr. Das ist auch mit Chancen verbunden. Beispiel: Wir könnten Wien zu einem Herzeig-Kompetenzzentrum für energieeffiziente Wohn- und Hochhäuser machen. Was mich frappiert ist die Diskrepanz zwischen „Hilfe, wir rotten den Eisbären aus“ und konkretem, politischen Handeln. Da wird oft kein Zusammenhang gesehen.
Eine letzte Frage: Würde es Sie reizen, noch einmal in die Bundespolitik einzusteigen?
Ich habe keine Lust auf ein Nationalratsmandat. Ich bin sehr zufrieden in Wien sein zu können, wo es viel leichter ist als auf Bundesebene, konkrete Dinge umzusetzen, zu zeigen, wie Alternativen ausschauen können. Dazu brauche ich in aller Bescheidenheit kein Nationalratsmandat.
Herr Chorherr, vielen Dank für das Gespräch.