2007/12/19

Fernsehen, bis der Arzt kommt


"Falter" Nr. 51-52/07


Ressort: Medien
Martin Gantner


WERBUNG Nicht die Angst vor Langeweile, sondern die Hoffnung auf Profit lässt Werbesender in Arztpraxen sprießen. So wird der Patient nicht nur Kunde des Arztes, sondern auch der Werbewirtschaft.



In der Ambulanz des Sanatoriums Hera im neunten Bezirk starren die Patienten in einen Bildschirm. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig. Missfällt dem Publikum das Fernsehprogramm, kann es nicht umschalten. Es gibt nur einen Sender, den dafür auf drei 42 Zoll großen Plasmabildschirmen: medscreen. News aus In- und Ausland, Kinotrailer, SMS- Gewinnspiel, Wetter, Gesundheitstipps, den neuen Hüftgelenksersatz und Tratsch aus der Society, eingebettet in kurze Werbespots. Laufend online aktualisiert. Medscreen ist nicht der einzige derartige Sender in Österreich. Seit Februar berieseln insgesamt fünf dieser Special-Interest-Kanäle die Patienten in Arztpraxen und Spitalsambulanzen. Bereits die Sendernamen deuten auf monothematisches Programm: MedTV, VitaTV, medscreen, y-doc und Wartezimmer-TV. Laut Eigendefinition betreiben die Sender Aufklärungs-TV in den Vorzimmern der Götter in Weiß. Sie wollen den Patienten die Angst vor der Behandlung nehmen, sie über medizinische Sachverhalte aufklären, vor Grippezeiten oder einer vergrößerten Prostata warnen. Der Arzt seinerseits soll die Möglichkeit haben, seine Praxis vorzustellen, über Öffnungszeiten und Vertretung zu informieren und seine Leistungen anzubieten. Auch solche, die durch die Krankenkassa nicht gedeckt sind, für die der Patient also extra bezahlen muss: Fettabsaugungen, das Entfernen von Tattoos oder spezielle Impfungen etwa.

Praxis-TV ist also, wie alle Fernsehsender, Informations- und Werbeplattform zugleich - für den Arzt und für Dritte. Der Sender y-doc wendet sich auf seiner Website an die Ärzte mit der Empfehlung: "Heben Sie sich von Tankstellen und Trafiken ab - und holen Sie noch mehr aus ihrer Ordination." Medscreen prophezeit "Umsatzsteigerungen von bis zu dreißig Prozent" und aufgrund der medizinischen Aufklärung im Wartesaal weniger Arbeit für die Ärzteschaft: "Und sparen Sie beim Beratungsgespräch bis zu zwanzig Prozent Zeit." Stimmen die Verheißungen von medscreen, dann ist das für den Arzt leichtverdientes Geld. Denn bei VitaTV sind Bildschirm und Programm für den Arzt völlig kostenlos, bei y-doc sind einmalig 699 Euro zu zahlen. Medscreen verlangt eine monatliche Flatrate von 290 Euro, die aber "als Werbekosten absetzbar" sind. Und der Patient? Ihm wird zumindest Kurzweil geboten. Der Patient als Kunde - des Arztes und der Werbewirtschaft.

Den Sendern geht es freilich nicht nur um Aufklärung und um ein besseres Arzt-Patient-Verhältnis. Es geht um sehr viel Geld. Das belegen auch die jüngsten Entwicklungen auf dem heimischen Markt. Im Februar gesellte sich der neueste Sender zu den bereits vorhandenen vier: VitaTV, ein Produkt der Werbefirma Epamedia. Epamedia ist der neben Gewista größte Plakatierer des Landes und verantwortlich für 150 sogenannte Überkopfmonitore in der Shopping City Süd. Man hat das Potenzial der digitalen Flächenwerbung erkannt. Für den Inhalt von VitaTV ist Interspot Film verantwortlich, die auch die "Seitenblicke" und "Frisch gekocht" produziert. Die Technik liefern Telekom Austria und Kapsch BusinessCom. Derzeit werden laut Eigenaussagen bereits 270 Ärzte und 27 Ambulanzen von VitaTV bespielt. Alle Anbieter zusammen kommen auf ungefähr 1600 Praxen und 130 Ambulanzen in ganz Österreich. Medscreen etwa wirbt mit einer Million Werbekontakten im Monat, der harten Währung in der Werbebranche. Den großen Vorteil gegenüber herkömmlicher Fernseh- und Onlinewerbung beschreibt medscreen auf seiner Homepage: Es gibt "kein Wegklicken, kein Wegzappen, kein Umblättern, sondern volle Aufmerksamkeit".

Auch ein anderes Beispiel zeigt, wie profitabel das Geschäft mit Praxis-TV sein kann: Gerhard Andlinger, ein Linzer Investor, der in die USA ausgewandert ist, hat sich beim Sender medscreen groß eingekauft. Das Startup-Unternehmen wurde erst 2006 gegründet, ein Jahr später hat es sich bereits an der Spitze der hiesigen Praxis-TV-Sender etabliert, und "nun ist auch ein Börsengang langfristig vorstellbar", sagt Gerald Buchas, Geschäftsführer von medscreen. Eine beachtliche Performance für ein Unternehmen, das es noch nicht lange gibt und das dennoch bereits dreißig Mitarbeiter zählt. Wieso Produkte wie medscreen für die Werbewirtschaft so interessant sind, erklärt Gerhard Unterganschnigg, Manager bei Andlinger & Co, dem Konzern des "reichen Onkels aus Amerika" Gerhard Andlinger: "Die Möglichkeit, so zielgruppengerecht zu werben, war auch für uns ein Kriterium. Die Situation im Wartezimmer ist eine besondere. Der Kunde ist praktisch gezwungen, auf den Bildschirm zu schauen. Die Qualität des Kontakts ist dabei besser als bei anderen Medien im öffentlichen Raum." Die Firma y-doc wird noch deutlicher. Ein Schreiben, das offensichtlich für Werbekunden gedacht ist und das dem Falter vorliegt, verrät, was sich Kunden von einer Werbeeinschaltung auf ihrem Sender erwarten dürfen: Demnach habe eine "unabhängige Studie" ergeben, "dass bereits nach wenigen Wochen Werbeeinschaltung für ein OTC-Präparat etwa zwanzig Prozent der befragten Ärzte dieses aktiv den Patienten empfehlen". OTC(Over the Counter)-Präparate sind nicht verschreibungspflichtige Medikamente, wie etwa Aspirin oder Mexalen, die jeder Kunde ohne Rezept in der Apotheke kaufen kann. Klarerweise haben vor allem Pharmafirmen und bekannte Marken ein besonderes Interesse an Werbeeinschaltungen in Arztpraxen. In diesem Schreiben wird auch auf "sechzig Prozent der Top-30-Pharmaunternehmen" verwiesen, die zu den Kunden von y-doc zählen sollen, darunter Firmen wie Schering, Bayer oder Kwizda. Neben Pharmaunternehmen kaufen aber auch Firmen wie Nestlé, Zeiss oder Hakle Werbespots, ebenfalls interessiert zeigen sich die Tourismusbranche und Firmen aus dem Wellnessbereich.

Die inserierenden Unternehmen geben sich bedeckt. Eine Mitarbeiterin einer Pharmafirma möchte namentlich nicht genannt werden, nimmt in einem kurzen Telefonat aber zumindest zu dem Vorwurf Stellung, Patienten könnten manipuliert werden und allein höhere Absätze seien das Ziel der Pharmafirmen. Sie wiegelt ab und verweist auf die strengen Werberichtlinien: "Es dürfen keine rezeptpflichtigen Arzneien beworben und keine Therapievorschläge gemacht werden. Nur im OTC-Bereich ist jegliche Werbung möglich. Doch das ist nicht neu." Denn das Arzneimittelgesetz ist bei Werbung mit Medikamenten sehr streng. Laienwerbung für rezeptpflichtige Medikamente ist untersagt. Erlaubt sind aber sogenannte Indikationen, etwa Spots oder Plakate anlässlich der bevorstehenden Grippezeit, ohne jedoch den Namen eines Medikaments zu nennen. Aber die Werbenden hoffen, dass mehr Menschen sich impfen lassen, nachdem sie einen solchen Spot gesehen haben. Geht es nach Gerald Bachinger, dem Chef der österreichischen Patientenanwälte, dürften die Gesetze bei Praxis-TV ruhig strenger sein: "Ich könnte mir etwa ein Qualitätsgütesiegel für solche Sender gut vorstellen." Validität und Qualität der Informationen könnten so sichergestellt werden. Er würde es zwar begrüßen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gestärkt würde, "dass aber auch Leistungen beworben werden, die nicht in Kassenverträgen vereinbart sind, sehe ich als sehr problematisch an". Birgit Merz von der Österreichischen Ärztekammer findet an Praxis-TV "grundsätzlich nichts Schlechtes, solange der Arzt wahrheitsgemäß informiert". Es habe aber auch schon Flugzettelaktionen gegeben, bei denen eine schönheitschirurgische Restplatzbörse beworben wurde. "So marktschreierisch darf das Ganze nicht sein."

Was bringt Praxis-TV also den Patienten, wenn sich einerseits Pharmabetriebe eine angeblich zwanzigprozentige Absatzsteigerung ihrer Produkte erwarten können und Ärzte andererseits mit einer Umsatzsteigerung von dreißig Prozent rechnen dürfen? Kinotrailer, News aus In- und Ausland, Societytratsch. Und vielleicht den einen oder anderen zusätzlichen Eintrag in den Impfpass.

2007/12/07

Meister Proper am Puls

"Falter" Nr. 49/07 vom 05.12.2007 Seite: 24
Ressort: Medien

Martin Gantner und Barbara Tóth



PORTRÄT Thomas Rottenberg ist PulsTV-Moderator, "Standard"-Kolumnist, Stadtmensch und bald Moderator einer neuen Wochenschau. Wie kaum ein anderer beherrscht er das Infotainment-Geschäft.


fotots: www.pulstv.at

Thomas Rottenbergs Hund ist ein Jahr alt und heißt Pinsel. Der schwarz-weiße Labrador-Retriever-Münsterländer Mischling ist dauernd in Bewegung, wie sein Herrl. Die Kellnerin im Café Schottenstift bringt ihm eine Schale Wasser, er trinkt hastig, dreht sich um und taucht seinen Schwanz hinein. "Er hat eine hochpubertäre Phase", entschuldigt Rottenberg seinen nervösen Begleiter. Für ihn gilt diese Ausrede nicht mehr. Rottenberg ist 38, doch gesetzt wirkt auch er nicht.

Der sommersprossige Mann, dessen kahlrasierter Kopf zum Markenzeichen wurde und der gerne jenen urban-lässigen Kleidungsstil pflegt, der auch in Berlin-Mitte oder im Hamburger Schanzenviertel die Berufsjugendlichen auszeichnet, scheint unter ständigem Stress zu stehen. Rottenberg hat sich in den letzten zwanzig Jahren ein kleines Ich-AG-Imperium aufgebaut. Unter seiner Dachmarke agiert er als Standard-Gesellschaftskolumnist ("Rottenbergs Boulevard") mit distanziert-spöttischem Blick, als erfolgreicher PulsTV-Moderator der Sendung "Talk of Town" und als Buchautor mit Hang zu Genderthemen ("Die Männerwaschanleitung", "Das Männerverstehbuch").

Demnächst wird sich das Portfolio des bekennenden Narziss ("Eitelkeit ist in meinem Job hilfreich") noch erweitern. Ab 4. Februar moderiert er einmal in der Woche einen einstündigen, politischen Wochenrückblick auf seinem Heimatsender PulsTV, der dann Puls4 heißen wird. Hinter dem Namen steckt Programm. Der ambitioniert gemachte, aber wenig beachtete Stadtsender, der im Sommer an die zu Pro7 gehörige Seven-One-Media verkauft wurde, möchte zum vierten Vollprogramm Österreichs werden. Rottenbergs Wochenschau muss es dann theoretisch mit so prestigeträchtigen Sendungen wie "Im Zentrum", "Thema" oder "Report" aufnehmen. Gesendet wird live, im Gegensatz zu "Talk of Town" ohne Zuseheranrufe, dafür mit mehreren Studiogästen und zugespielten Beiträgen. "Ich will nicht zu sehr entertainisieren, sondern politische Themen konsumierbar machen", umschreibt Rottenberg das Programm für sein neues Programm.


Ein Satz, der ganz gut erklärt, wie die bisherige Karriere Rottenbergs funktionierte. Der Sohn eines Wiener Lehrerpaares verstand es immer, U- und E-Journalismus zu kombinieren, lange bevor der Begriff "Infotainment" dieses Phänomen klassifizierte und Gestalten wie Exfinanzminister Karl-Heinz Grasser die Grenzen zwischen politischer Berichterstattung und Seitenblicke sprengten.

Rottenberg begann beim Hörfunk, zu einer Zeit, als es den Sender FM4 noch nicht gab und sich intelligentes Jugendradio auf Ö3 in Formaten wie "ZickZack" oder "Musicbox" abspielte. Nach einem Zwischenspiel beim Redaktionsbüro Langbein & Skalnik, wo er unter anderem für RTL Explosiv Geschichten lieferte, wechselte Rottenberg zum Falter, wo er mit seinem Partyservice den Grundstein für sein Szenemensch-Dasein legte. Seit 1999 schreibt er für den Standard, zuerst für die Innenpolitik, wo aber seine Art des Beobachtungsjournalismus nicht funktionierte, nun in seiner - mehr oder weniger von ihm selbst erfundenen - Rolle als Gesellschaftskolumnist wider Willen. "Der Umgang mit der High Society ist ungefähr so wie der Umgang mit Pornografie: Kein Mensch kauft das Zeug, aber gleichzeitig steht eine Megaindustrie dahinter."

"Thomas war nie der beinharte Faktenaufreißer, aber er hatte immer ein Gespür für intelligente Stadtgeschichten", erinnert sich Oliver Lehmann, einst Falter-Politik-Redakteur, heute für die Kommunikation der Elite-Uni in Gugging verantwortlich. "Ihn zeichnen extreme Neugier, Beharrlichkeit und der unbedingte Drang, die Dinge vor Ort zu erleben, aus", meint FM4-Moderator Martin Blumenau, der Rottenberg aus seinen Anfangsjahren beim Radio kennt.

Vor Ort, das hieß beispielsweise, dass sich der junge Rottenberg an den Polizeisperren vorbei zu den Punks durchkämpfte, die ein Haus in der Ägidigasse besetzt hatten. Oder dass er türkischen Jugendlichen nachfuhr, die aus Österreich in ihre Heimat abgeschoben worden waren. Oder mit dem Häfenpoeten Jack Unterweger die Strizzis des Wiener Rotlichtviertels aufsuchte, um eine Milieureportage zu schreiben. Unterweger war damals noch nicht wegen neunfachen Mordes verurteilt.

Rottenberg-Geschichten sind immer auch solche, in die er sich persönlich involvieren kann. Er ist das personifizierte Gegenteil eines Schreibtischtäters, seine Bereitschaft zur Selbstdarstellung ging einmal sogar so weit, dass er sich fast nackt aufs Falter-Cover heben ließ - nur ein Marihuana-Blatt bedeckte seinen Mannesstolz. Über seine Motivation gehen die Meinungen auseinander, mit ein Grund dürfte gewesen sein, dass seine "Redakteursseele nicht mehr in einer schmächtigen, schmalbrüstigen Gestalt haust", sondern im muskelbepackten Meister-Proper-artigen Körper eines Metrosexuellen ihre neue Bleibe gefunden hatte. "Rottenberg als Skulptur seiner selbst", witzelte damals Falter-Chefredakteur Armin Thurnher im Vorwort. Das Wort metrosexuell gab es damals noch nicht, der creme- und peelinggläubige Rottenberg, der seinen nach wie vor covertauglichen Körper mit Schwimmen, Laufen und Skitourengehen fit hält, hätte es sicher gerne erfunden. Inzwischen würdigte ihn auch News als einen der "modischsten Moderatoren" Österreichs. Rottenbergs Kommentar: "Persönlich bedeutet mir das nichts, aber marketingstrategisch ist das nicht schlecht." Dass seine derzeitige Talkshow bis zu achtmal pro Tag wiederholt wird, tut ein Übriges. So oft wie Rottenberg flimmern auf anderen Sendern nur die Werbeblöcke über den Bildschirm. "Für die persönliche Eitelkeit ist das super."

Je näher dem Stadtrand, desto öfter wird "Rotte", wie ihn Freunde nennen, auf seine Sendung angesprochen. "Daran sieht man, wo viel geschaut wird und wo nicht."

Den Stadtrand kennt er gut. Rottenberg wuchs am Wienerfeld in Wien-Favoriten auf, "genau dort, wo die Nachteile der Stadt und des Landes aufeinandertreffen". Sein Vater musste als Jude vor den Nazis zuerst nach Frankreich flüchten, emigrierte dann nach Palästina und kam als Soldat der englischen Armee zurück nach Wien. Er wurde Direktor der ersten Wiener Gesamtschule und war ein "in der Wolle gefärbter Sozialdemokrat" (Rottenberg). Der Großvater mütterlicherseits war überzeugter Hitleranhänger - "eine klassische österreichische Mischung also".

Der gehobene gesellschaftspolitische TV-Talk, wie er ab Februar auf Puls4 zu sehen sein wird, ist vermutlich auch die Darstellungsform, die Rottenbergs journalistischer Herangehensweise am besten entspricht: Hier werden Themen auf einer persönlichen, emotionalen Ebene abgehandelt, ohne dass man zu sehr ins Detail gehen muss. Hier geht es um prägnante Einschätzungen und um Schlagfertigkeit und Wortwitz - beides hat Rottenberg. "Fernsehen ist ein latent dummes Medium. Du musst immer platt sein, um verständlich zu bleiben", meint er ganz pragmatisch. Und es geht um den Flirt mit der Kamera und um die Bereitschaft zur augenzwinkernden Selbstdarstellung. Auch das kann er. "Ich finde es gut, dass er den Weg zurück von der Wiener Szenefigur hin zum guten Journalisten gefunden hat", meint Regisseurin Elisabeth Scharang, die so wie Blumenau gemeinsam mit Rottenberg bei der "Musicbox" war.

Viele Journalisten wundern sich, warum der ORF ihn nicht schon längst für eine Talk-Show angefragt hat. Rottenberg sagt, er treffe oft Kollegen vom "ORF", die zugeben würden: "Wir schaffen es nicht, so eine Sendung auf die Beine zu stellen." Er glaubt den Grund hierfür zu kennen: "Aufgrund ihrer Größe trauen sie sich nicht, etwas ganz Einfaches zu machen. Stattdessen sitzen sie fett und aufgeblasen und von ihrer eigenen Wichtigkeit gelähmt am Küniglberg."


2007/12/06

A Wödmaster




"Falter" Nr. 41/07 vom 10.10.2007

http://www.youtube.com/watch?v=ck1SobK2WPU



ABTAUCHEN Auf seiner Reise zum Mittelpunkt der Welt steht er bei 214 Metern Meerestiefe - mit nur einem Atemzug. Der Wiener Herbert Nitsch ist der weltbeste Free Diver.



Sind Sie lebensmüde? "Nein", sagt Herbert Nitsch bestimmt. Seine Schilderungen während der vergangenen zwei Stunden haben die Frage nahegelegt. Was der 37-jährige Wiener erzählt, klingt unglaublich, beängstigend und faszinierend zugleich. Mit breitem Lächeln berichtet Nitsch von Weltrekorden, von Tauchgängen ohne Sauerstoffflaschen, von einem Leben zwischen Himmel und Meeresboden. Herbert Nitsch ist von Beruf Pilot, seine Profession aber ist das Freitauchen. Darin ist er der Beste - der Welt. Doch bei eben jener letzten Frage verschwindet das Dauerlächeln aus seinem Gesicht. An dem Gesagten soll kein Zweifel bestehen: Nitsch ist nicht lebensmüde. Nitsch ist Apnoetaucher.

Apnoe ist griechisch und heißt "ohne Atem". Neun Minuten und vier Sekunden kann Nitsch die Luft anhalten. "Die ersten sechs Minuten sind kein Problem", sagt er. Erst ab Minute sieben geht ihm die Luft aus. Doch damit nicht genug. Nitsch kann "ohne Atem" nicht nur länger unter Wasser bleiben, als es Delfine für gewöhnlich tun, er taucht auch tiefer als je ein Mensch vor ihm. Im Juni dieses Jahres erreichte er auf der griechischen Insel Spetses die 214-Meter-Marke im "No Limit"-Tauchen. Bekannt wurde die Abfahrtsdisziplin des Freitauchens vor allem durch den Film "Le Grand Bleu" des Franzosen Luc Besson. Zwei Männer, dargestellt von Jean Reno und Jean-Marc Barr, tauchen darin um die Wette. Am Ende stirbt der eine "im Rausch der Tiefe". Im Film gilt es die 100-Meter-Marke zu schlagen. Reno geht weiter, kommt aber nicht mehr hoch.

In den letzten zwanzig Jahren hat die Wirklichkeit das Kino eingeholt. Herbert Nitsch hat die 100-Meter-Marke längst hinter sich gelassen. Für die 214 Meter Tiefe benötigte er gerade einmal vier Minuten und zwanzig Sekunden. Auf einen Schlitten gefesselt, einen Carbonhelm auf dem Kopf und ohne Sauerstoffflaschen am Körper ("unnötiger Ballast"), rast er, an einem Seil befestigt, in die Tiefe. Nitsch glaubt nicht, dass zurzeit jemand anderer als er diesen Rekord selbst knacken könnte. Doch er ist überzeugt davon, dass er selbst noch tiefer gehen kann.

Nitsch ist athletisch gebaut, groß und hat eine Glatze. Er besitzt die Lässigkeit eines Surfers, ohne dabei arrogant zu wirken. Wenn er über seinen Sport spricht, davon, was unter Wasser mit seinem Körper geschieht, dann klingt alles nach Badewannenidyll. Erst bei längerem Nachdenken wird klar: Nitsch spricht von Extremen, von einem Ort, der für die meisten Menschen den sofortigen Tod bedeuten würde. Zum Gespräch im Palmenhaus kommt er mit Verspätung, am Vorabend hat es länger gedauert. Das Frühstück nimmt er mittags um eins ein. Er ist kein gewöhnlicher Spitzensportler, der früh schlafen geht, nachdem er tagsüber drei Trainingseinheiten absolviert hat. Richtig trainiert Nitsch ohnedies "nur kurz vor den Wettkämpfen". Vor der Weltmeisterschaft Anfang November in Sharm el Sheikh wird es wieder so weit sein. Im ägyptischen Badeort will Nitsch den Weltrekord in der letzten noch ausständigen Disziplin knacken. Es wäre sein zwanzigster. Den bestehenden Rekord holte er sich diesen Sommer in Griechenland. An besagtem 14. Juni war Nitsch nicht zum ersten Mal auf der Insel Spetses. Bereits drei Jahre zuvor stellte er im Saronischen Golf zwei andere Weltrekorde auf.

Nitsch mag die Insel. "Sie ist ruhig und nur wenige Touristen sind dort." Für das, was er an diesem Tag vorhat, sind solche Details nicht unwesentlich. Dort, wohin er sich gleich begeben wird, ist es dunkel, kalt und alles andere als für den Menschen gemacht. Alles muss passen. An der Wasseroberfläche, unmittelbar vor dem Abtauchen, hyperventiliert Nitsch tief und lang. Sein Lungenvolumen beträgt 15 Liter, dreimal so viel wie das eines durchschnittlichen Menschen. "Sobald ich unter Wasser bin, pumpe ich die Luft aus der Lunge in Nase, Nebenhöhlen und Mittelohr, weil der Druck alle zehn Meter um ein Bar zunimmt." Bei 214 Metern ist der Druck mit 22 Bar elfmal höher als in einem Autoreifen. Mit drei Metern pro Sekunde rast Nitsch in die Tiefe. Ab 50 Metern, erzählt der Taucher, mache sich der Tiefenrausch langsam bemerkbar. Der Druck steigt, sein Lungenvolumen wird immer kleiner, bis es letztlich die Größe eines Tennisballs erreicht. Mit zunehmender Tiefe weicht immer mehr Blut aus seinen Gliedmaßen. Sein Körper ist totenblass. Reflexartig zieht sich das Blut dorthin zurück, wo es die lebensnotwendigen Funktionen mit Sauerstoff versorgen muss: in Lunge, Herz und Gehirn. In den übrigen Regionen seines Körpers ist Nitsch sprichwörtlich blutleer. Er trägt eine kleine Spezialbrille. "Der hohe Druck würde mir die Augen aus dem Kopf saugen." Aufgrund des sich lösenden Stickstoffs im Blut kommt Nitsch "wie ein Betrunkener" an seinem Zwischenziel an. Abläufe, die zuvor nicht automatisiert wurden, sind jetzt kaum zu bewältigen. "Das ist, als würde ein Betrunkener versuchen, Auto zu fahren. Einfachste Additionen sind jetzt nicht mehr möglich." Allein das Lösen des Gewichts, das ihn in die Tiefe zog, funktioniert.

Nach etwas mehr als zwei Minuten und 214 zurückgelegten Tiefenmetern hat Nitsch sein Ziel aber noch lange nicht erreicht: "Der Weg nach oben stellt das eigentliche Problem dar, der Sauerstoff geht am Ende und nicht auf halbem Weg aus." Würde der Taucher jetzt nicht an einem Seil hochgezogen, er fände den Weg zurück nicht. Orientierung ist in der Dunkelheit und aufgrund seiner Verfassung unmöglich. Mithilfe eines Carbonhelms geht's zurück an die Oberfläche. Im Gegensatz zu vielen anderen Tauchern verwendet Nitsch einen Helm und keinen Ballon. Der Helm ermöglicht es, beim Auftauchen drei Meter pro Sekunde zurückzulegen und nicht länger als nötig auf 214 Metern Tiefe zu bleiben. Drei zusätzliche, alternative Systeme sollen ein sicheres Auftauchen garantieren. Der Helm ist eine Spezialanfertigung eines Griechen, den Nitsch erst vor einem Jahr kennen gelernt hat. Lange genug, um ihm sein Leben anzuvertrauen. "Er ist ein Tüftler, genau wie ich." Sonst verlässt sich Nitsch auf niemanden als auf sich selbst. Auf seinem Tauchgang wird er von keinen Sicherheitstauchern begleitet. "Zu gefährlich", sagt Nitsch, "nicht für mich, sondern für die Taucher".

Kurz unter der Meeresoberfläche legt Nitsch noch einen einminütigen, letzten Stopp ein. Eine Zeitspanne, die ihm in seinem Rausch ewig vorkommt. Nach vier Minuten und zwanzig Sekunden kommt er endlich an der Wasseroberfläche an, holt tief Luft, reißt sich Nasenklemme und Brille vom Kopf und formt Daumen und Zeigefinger zu einem Kreis. Die Geste bedeutet: "Ich bin okay." "In diesem Zustand ist das gar nicht so einfach. Das muss innerhalb von 15 Sekunden passieren, sonst ist der Versuch ungültig." Nitsch erzählt, wie sein Vater an diesem 14. Juni 2007 zu ihm ins Wasser springt und ihn umarmt. Doch viel Zeit bleibt nicht. Nitsch nimmt eine Flasche reinen Sauerstoff und taucht für eine Viertelstunde auf zehn Meter Tiefe, um den Stickstoff im Blut ausperlen zu lassen - um wieder "nüchtern" zu werden.

Bereits als Kind verbrachte Nitsch viel Zeit mit seinem Vater am Meer. "Urlaub und Blau gehören für mich seit jeher zusammen." Auch Tauchen und Fotografieren unter Wasser schätzte er schon lange. Unter anderem wurde Nitsch deshalb Pilot, damit die Abstände zwischen den Tauchgängen nicht allzu groß würden. So kann er von Insel zu Insel reisen, kann Arbeit und Sport verbinden. Dass er aber länger als andere unter Wasser bleiben kann, wurde ihm erst vor gut zehn Jahren, während eines Tauchurlaubs am Roten Meer, bewusst. Die Fluggesellschaft hatte seine Tauchausrüstung verloren, Nitsch ging kurzerhand ohne Equipment ins Wasser. Beim Fotografieren müsse man halt ein bisserl warten, erklärt Nitsch lapidar. Kamera einstellen, Foto machen, "ein zweites Foto geht noch", warten, bis sich der Blitz auflädt, und ein zweites Foto schießen. Am Ende der Urlaubswoche tauchte er ganz selbstverständlich auf dreißig Meter. Ohne Sauerstoffflasche. "Zurück in Österreich habe ich erfahren, dass der österreichische Rekord bei 34 Metern lag. Also kaufte ich mir ordentliche Flossen und stellte einen neuen Rekord auf."

Für die meisten Menschen, allen voran für Nitschs Eltern, ist es schwer zu verstehen, weshalb sich Nitsch solchen Gefahren aussetzt. Er nennt Gefahren "Risiken", die es auf dem Weg zu neuen Rekorden immer wieder neu zu "kalkulieren" gelte, und bestreitet, dass die "kalkulierten Risiken" zur Sucht geworden sind. "Ich schätze die Tatsache, dass sich unser Leben meist an der Erdoberfläche abspielt und ich als Einziger unter dieser Oberfläche bin", sagt er. "So, als wäre die Welt eine Scheibe: Alle sind oben, nur ich bin unten."

Nitsch treibt aber auch der Wettkampfgedanke. Mit einer beängstigenden Geschwindigkeit hat er das Feld in den vergangenen Jahren aufgerollt. Von seinen Konkurrenten wird er auch "Roboter" genannt, aber eher "der sowjetische Typ". Nitsch taucht in einer anderen Liga. Zuletzt starb der Franzose Luc Leferme im April 2007 bei dem Versuch, den Tieftaucher aus Österreich zu schlagen. Freunde Lefermes wissen, dass die Schnelligkeit, mit der Nitsch Maßstäbe setzte, beängstigend auf den Franzosen wirkte. Beängstigend und gleichzeitig faszinierend. Nitsch befand sich mitten in der Vorbereitung für seinen Weltrekordversuch im Juni, als er per SMS vom Tod des Franzosen erfuhr. "Ich war schockiert." Er kannte Leferme und beschreibt ihn als sehr "sympathischen Menschen, der auch sehr vernünftig gehandelt hat". So vernünftig Tauchen in solchen Tiefen eben sein kann. "So grotesk es klingt: Ich war erleichtert, als ich erfahren habe, dass der Unfall technischen Ursprungs war." Aber Leferme war nicht der Einzige. Außer Nitsch und dem Franzosen tauchten schon vier andere Menschen "ohne Atem" tiefer als 160 Meter. Unbeschadet überlebt hat außer Nitsch nur die Amerikanerin Tania Streeter. Der Venezolaner Carlos Costa sitzt im Rollstuhl, die beiden anderen sind tot. Nitsch scheint Tragödien auszublenden: "Die haben das halt anders gemacht."

Wilhelm Welslau ist Taucharzt in Wien. Er arbeitete lange mit Nitsch zusammen, vor einigen Jahren beendete er die Zusammenarbeit, wollte die Verantwortung nicht weiter mittragen. Welslau sagt, dass es praktisch unmöglich sei, zu wissen, wie der Körper eines Apnoetauchers in diesen Tiefen reagiert. "Es gibt keine Erfahrungswerte. Gewiss gab es die auch nicht, als der erste Mensch am Mond war, aber beim No-Limit-Tauchen sehe ich die Sinnhaftigkeit dahinter nicht." Jeder Versuch könne aus Gründen scheitern, die wir heute noch nicht kennen. "Das ist russisches Roulette." Im Falle von Nitsch fürchtet er: "Das geht so lange, bis er nicht mehr hochkommt." Auch sein Kollege Paul Haber, Sportmediziner am Wiener AKH, ist skeptisch: "Andere Leute müssten in solch einer Tiefe bereits einen Panzeranzug tragen, um dem Druck standzuhalten. Ich sehe die Gefahr, dass die Rippen brechen oder dass der enorme Unterdruck für die Lunge zu groß wird. Jeder Versuch könnte tödlich enden."

Der Weltrekordtaucher sieht das naturgemäß anders: "Könnte ich das Risiko nicht kalkulieren, würde ich es auch nicht eingehen." Günter Amesberger, Sportpsychologe und ÖFB-Mentalcoach, hält vom Begriff des "kalkulierten Risikos" nicht viel: "Risiko ist nur schwer quantifizierbar. Das bedeutet bestenfalls, dass er bereit ist, dieses Risiko zu tragen." Aber Nitsch kalkuliert weiterhin. Nächstes Jahr will er seinen Rekord noch einmal überbieten. Wo und wann, ist noch ungewiss. Das Ziel: die 1000-Fuß-Marke, 304 Meter unterhalb des Meeresspiegels. Ohne Atem.






bilder www.herbertnitsch.com

2007/10/24

Pastinaken vor der Tür

"Falter" Nr. 43/07 vom 24.10.2007


Martin Gantner

LEBENSMITTEL Bio wächst auf Bäumen vor den Toren Wiens. Geerntet wird in Kisten, geliefert vor die Haustür: Ökokisten für die Stadt.

Die Wiener wollen ein "gsundes Gurkerl", Spar führt "Natur Pur"-Produkte, kein Billa ohne "Ja!Natürlich". Zielpunkt unterstreicht sein gesundes Image durch bloße Verdoppelung: "BioBio". Und Österreichs Paradebauer Werner Lampert kreierte "Zurück zum Ursprung" für Hofer. Was die wenigsten wissen: Lampert begann einst als Biokistler. Und von dieser Sorte gibt's seit einigen Jahren zwei in Wien. Bio ist also auch längst abseits großer Supermärkte zu haben, direkt vor der eigenen Haustüre. Etwa 4500 Wiener lassen sich wöchentlich oder alle 14 Tage, je nach Lieferant die "Bio-" oder "Öko-Kiste" vor die Wohnungstür stellen, Rezepte inklusive. Der Gang ins Geschäft ist fast hinfällig. Sämtliche Produkte sind "Bio", Erdbeeren sind nur im Juni erhältlich. Neben dem klassischen Gemüse gibt's auch Sorten, die zwar in Österreich angebaut werden, die dennoch kaum jemand kennt: Pastinaken etwa, die als Vorgänger unserer Karotte gelten, oder Pak Choi, 2000 Jahre alter chinesischer Senfkohl. Die Kisterl kosten zwischen 13 und 22 Euro. "Ich schätze, unsere Produkte sind etwa 15 Prozent teurer als im Supermarkt. Mit Billa und Spar möchte ich mich aber nicht vergleichen. Wir möchten durch Zuverlässigkeit und Qualität überzeugen", erklärt Wolfgang Mitter. Er betreibt seit sechs Jahren "Mitter's gesunde Öko-Kiste". Von Breitenfurt aus beliefert er alle Wiener Bezirke. Begonnen hat er als Einmannbetrieb, heute hat er elf Mitarbeiter und ist nach dem Biohof Adamah zweitgrößter Kistenanbieter. "Das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft", glaubt Mitter. Der einstige Qualitätsmanager von Swatch denkt über einen Ausbau seines Unternehmens nach. Rund zwanzig heimische Bauern liefern zu, fünf Fahrer sind täglich in Wien unterwegs und klappern die Bezirke ab. Auf der Ladefläche Kisten in unterschiedlichen Größen, das Gros des Gemüses nach Demeter-Richtlinien angebaut. "Wir bieten die komplette Lebensmittelpalette." Bananen, Kaffee und Kiwi sind "Fair Trade", Wurst und Käse "home made".

Mitter's gesunde Öko-Kiste, Tel. 02239/342 81, www.mitters-oeko-kiste.at

Biohof Adamah, Tel. 02248/22 24-0, www.adamah.at

foto www.adamah.at

Tore im Kleinformat

Martin Gantner / Falter 24.10.07

HANDYFERNSEHEN Zur Fußball-Europameisterschaft will Österreich europäische Spitze sein - nicht am Ball, sondern beim Handy-TV.

Es ist der 18. Juni 2008, 18 Uhr. Auftaktspiel der Österreicher bei der Euro im Ernst-Happel-Stadion - Gegner unbekannt, aber sicher gefürchtet. 53.000 Zuschauer im Stadion, Hunderttausende vor dem Fernseher, einige wenige vor ihrem Handy. Neunzig Minuten, die - unabhängig vom Ergebnis - eine Revolution versprechen. Das neue Kürzel lautet DVB-H - Digital Video Broadcasting-Handheld. 15 mögliche DVB-H-Sender am Handy, bessere Übertragungskapazitäten, höhere Auflösung, besserer Ton und eigens produzierte Formate sollen für ein neues Handy-TV-Zeitalter sorgen. Der ORF bereitet sich auf die Umstellung vor. Schließlich hat die Regierung ein Gesetz beschlossen, das für den ORF vier Kanäle vorsieht: ORF1, ORF2 sowie zwei Spartenprogramme: TW1 - das zu einem Info- und Kulturkanal umgebaut werden soll, und ein Programm mit dem Arbeitstitel "ORF mobil", eigens fürs Handy. Noch geizt der ORF mit Informationen. Man befinde sich in der Konzeptionsphase. Nur so viel: "Formate wurden bereits im Frühjahr erfolgreich getestet." Während dieser Testphase wurde auch ein interaktives Format probiert. "Das Publikum konnte via SMS den Verlauf einer Daily Comedy bestimmen", erzählt Eva Elsigan von der ORF-Online-Direktion. Auch die "ZiB 20" sei sehr positiv aufgenommen worden. Ob es auch eine "ZiB-Mobile" geben wird, ist noch offen. Bereits im Juli erklärte Online-Direktor Thomas Prantner: "News, Service, Sport, Kultur und Entertainment werden wichtige Elemente sein. Man möchte auch in der U-Bahn fernsehen. Dazu ist aber ein anderes Format notwendig."

Nicht nur der ORF bereitet sich auf die Umstellung vor. Berthold Thoma, Geschäftsführer des Mobilfunkunternehmens Drei sieht auch in der RTL-Gruppe und in Pro Sieben/Sat1 wichtige strategische Partner. Und Thomas Breitenecker, Geschäftsführer von PulsTV sagt: "Wir werden, Puls4', unseren neuen, bundesweiten Sender, als Vollprogramm fürs Handy anbieten." Auch ATV will mobil zu sehen sein. Einzig die Frage der Finanzierung ist nicht vollends geklärt. Denn DVB-H-Handys sind um etwa siebzig Euro teurer als herkömmliche Geräte. Thoma: "Wir erwarten, dass der Kunde bereit sein wird, für ein entsprechendes Angebot monatlich mehr zu zahlen." Außerdem rechne man mit neuen Vermarktungsmodellen. Das Gesetz sieht jedenfalls zwei Pakete vor: Ein Basispaket mit ORF und ATV, das von allen Abonnenten empfangen werden kann und zwischen fünf und zehn Euro kosten soll. Zusätzlich soll es auch ein Premiumpaket zur individuellen Abstimmung geben. Ob alle vier ORF-Sender oder nur ORF1 und ORF2 im Basispaket enthalten sein werden, ist noch unklar.

Medienministerin Doris Bures sieht Österreich jedenfalls als "internationalen Vorreiter in Sachen Medientechnologie", denn Österreich soll nach Italien als zweites Land Europas auf DVB-H umstellen. Die dazu notwendige Lizenz wird Ende Februar vergeben. Gute Karten hat die ORS, Sendetochter des ORF. Dass dadurch private Programmanbieter benachteiligt werden könnten, bestreitet ORS-Geschäftsführer Michael Wagenhofer: "Das Gesetz lässt hier keinen Spielraum." Wagenhofer rechnet bis 2012 mit einer halben Million zahlender Kunden. EU-Kommissarin Viviane Reding glaubt, dass der Markt für Handy-TV in den nächsten vier Jahren auf zwanzig Milliarden Euro wachsen wird. In Südkorea schauen schon jetzt zehn Prozent der Bevölkerung am Handy fern. Bleibt zu hoffen, dass die Einführung des Systems zur Euro 2008 kein Fehlkalkül ist - und das Fernsehhandy erfolgreicher ist als die heimische Nationalelf.

2007/10/12

„Kässpätzle – Katastrophen“ im Exil

30 Jahre Falter. Hierzu ein noch unveröffentlichtes Interview mit Zeitungsgründer Armin Thurnher aus dem Jahr 2006. Thurnher über Vorarlberg, Kässpätzle-Katastrophen fern der Heimat, die Fußballkünste des Landeshauptmanns und über Leben und Arbeit in Wien.


Wien, Marc-Aurelstraße 9, Bezirk Innere Stadt. Mitten in Wiens historischem Kern, dem ersten Bezirk, befindet sich die Redaktion der Wiener Stadtzeitung Falter. Nicht besonders groß, irgendwie provisorisch erstreckt sich die Redaktion über zwei Stockwerke. Schachteln und Stapel von Zeitungen stehen im Vorraum. Der Umzug innerhalb der eigenen vier Wände, innerhalb des Bestehenden ist hier Programm. Armin Thurnher, 57, ist 1977 mit dem Anspruch angetreten, Konventionen in der Medienlandschaft zu brechen und gründete den Falter. Heute, knapp 30 Jahre später, scheint es, als habe die Konvention in der Redaktion noch immer kein zu Hause. „Gegen das Falsche in Politik, Kultur und Programm. Für mehr Lebensfreude“, heißt es in der Offenlegung. Nicht nur bunte Wände zeugen von Lebensfreude, es herrscht positive Betriebsamkeit kurz vor dem 30. Geburtstag des Blattes im nächsten Jahr.






Ländle-Zeitungsmacher

Begonnen hat alles als ein großes Abenteuer. Freiheitspathos, Idealismus und Frustration waren im Spiel – „Frustration gerichtet auf eine Medienlandschaft“, die dem Jahrzehnt des gesellschaftlichen Aufbruchs nicht gerecht wurde. Von langer Hand geplant war nichts. Im Gegenteil: „spontanistisch“ ging es zu, „Freiräume sollten geöffnet“ werden, Konzepte waren tabu, wenn nicht gar verpönt. Doch den Falter als Relikt der 70er, als bloßes Kind seiner Zeit zu bezeichnen, wird der Sache nicht gerecht. Er wurde über die Jahre zu weitaus mehr, wurde qualitativ wertvoller und es gelang ihm tatsächlich, Freiräume zu öffnen und Öffentlichkeit herzustellen. Sei es wie im letzten Jahr das Aufdecken des Wiener Callgirlringes oder die Berichterstattung rund um den Umgang der Justiz mit Schubhäftlingen und Schwarzafrikanern.

Der Falter ist aus der Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken. Er ist sowohl Leitmedium, als auch Accessoire einer Generation, die ähnlich dem Gründer, Konventionen hinterfragt. Der Falter bezieht sich - und auf den Falter wird bezogen, in Politik und in Kultur. Öffentlichkeit ist Thurnher wichtig, gleich ob sie sich in literarischen Zirkeln, kleinen Zeitungen oder Seminaren gebärt – Öffentlichkeit müsse hergestellt und immer wieder aufs Neue verteidigt werden, gerade in Österreich. Der Falter ist vor allem in Wien Teil dieser Öffentlichkeit. Mit einer wöchentlichen Auflage von 45.000 Stück in Wien gelingt es der Zeitung, Öffentlichkeit herzustellen und selbst Teil dieser Öffentlichkeit zu sein. Doch das Unternehmen geht über den „bloßen“ Zeitungsverlag hinaus. Der Falter ist Unternehmen, Buchverlag, verlegt Magazine für einen Telefonnetzbetreiber und einen Kreditkartenkonzern und bilanziert heute mit einem Umsatz von 12 Millionen Euro.

„Ganz Wien…“

Geschrieben hat Armin Thurnher bereits vor dem Falter, doch in gänzlich anderem Fach. Mit 21 Jahren stieß er zu einer Theatergruppe und schrieb – ganz „demokratischer Schriftsteller“ – gemeinsam mit Heinz Ungar das Stück „Stoned Vienna“. Ein zumindest dem Titel nach Falko-eskes Stück, das rückblickend die Richtung bereits vorgab. Ging es doch in diesem Stück um einen Schwarzafrikaner, welcher der berühmten psychotherapeutischen Schule wegen nach Wien kommt, um sich behandeln zu lassen: Er möchte Weißer werden. Das Unmögliche gelingt. Als Weißer erstarrt er zu einem Denkmal seiner selbst und wird von den Wienern im Park ausgestellt. Das Stück wurde bei der ersten Wiener Festwochenarena 1970 gespielt und war ein Erfolg. Journalismus kam erst später, das Bücherschreiben ist noch heute. Er verfasste bis dato zahlreiche politische Bücher, für sein publizistisches Schaffen wurde er mehrfach ausgezeichnet (u.a. mit dem Ehrenpreis des Vorarlberger Buchhandels).



Jede Woche verfasst Thurnher den Leitartikel
im Falter/foto gantner

Nach eigenen Aussagen ist Thurnher zu zwei Dritteln Wiener, zu einem Drittel ist er Vorarlberger geblieben. Stimmt nicht ganz: „A bisserl“ ist der gebürtige Bregenzer auch New Yorker, schließlich studierte Thurnher ein Jahr Anglistik an der Ostküste der USA. Doch „so etwas wie eine fixe Identität gibt es nicht“. Die unterschiedlichen Bestandteile seiner Identität finden auch in Thurnhers sprachlichem Ausdruck ihre Entsprechung: Die Sprache nach der Schrift überwiegt, dann und wann ein „dialektisches“ „od´r“, einzig das Englische bleibt ungehört.

A bisserl Revolte

Thurnher erzählt, dass die ersten 18 Jahre seines Lebens in Vorarlberg bis heute prägend sind. „Bekanntlich wird in früher Kindheit vieles geprägt. Sprache und Habitus können sich über die Jahre ändern, doch gewisse Kerne und Schichten bleiben da“. Thurnher blickt auf eine relativ unbeschwerte Jugend zurück. Rock´n Roll und Revolte fanden auch in Bregenz statt. Rolling Stones und Beatles gingen auch an ihm nicht spurlos vorüber. „Sgt. Peppers von den Beatles wurde als umwälzendes Ereignis wahrgenommen“. Dennoch kann die Revolte in Bregenz als sanft beschrieben werden. Thurnher spricht von Konventionen, lange Haare galten als Affront. Die Revolution bot in Wirklichkeit nur zwei Alternativen: „Man konnte zwischen einem Dasein als Liberal-Katholik oder dem Eintritt in eine Verbindung wählen“. Er entschied sich für die Katholischen Mittelschüler. „Rote gab´s in der ganzen Schule sehr wenige. Die vereinzelten Roten, die es gab, hatten´s nicht leicht – heute kann man sich das Maß der Rigidität kaum mehr vorstellen“. Doch innerhalb dieser Rigidität konnte man „auch Freiräume schaffen“ und eine „durchschnittliche, lustige“ Jugend verbringen. Doch die Zeit ist auch im Ländle nicht stehen geblieben. Das weiß auch der Bregenzer: „An meinem Neffen sehe ich, dass sich die Gesellschaft in Vorarlberg stark verändert hat“. Überhaupt hat sich seine Sichtweise auf Vorarlberg über die Jahre geändert, seine Sicht wurde um die Perspektive aus der Distanz reicher. Mit der Möglichkeit des Vergleichs ist Pointierung möglich.


Das Kalifornien Österreichs

Nicht Steiermark, obgleich Gouverneur, sondern Vorarlberg sei das Kalifornien von Österreich. Vorarlberg profitiere von seiner geographischen Lage, eine gewisse Öffnung gegenüber dem Westen sei spürbar, „ein internationalerer Zug auch bei den Eliten“ die Folge. Wien sei, so Thurnher, in diesem Punkt provinzieller. Die Chancen, die sich für die Stadt Wien seit dem Fall der Mauer ergaben, seien nur schlecht genutzt worden. Auch mentale Unterschiede macht Thurnher aus: Eine direkte und stärker ökonomisch definierte Art sei den Vorarlbergern eigen, „feudales Gehabe“ sei ihnen hingegen fremd. Auf der anderen Seite fehle die „nachgiebige, weiche Schlamperei des Ostens“, die auch Freiräume schaffen könne, in Vorarlberg vollends.

Ein Beweis für Kalifornien sieht Thurnher in Vorarlbergs Architekturszene, die auch internationale Anerkennung findet. Ein Phänomen, das auf Vorarlberg beschränkt ist und so beispielsweise in Niederösterreich nicht existiert. Mentale, politische und ökonomische Voraussetzungen macht Thurnher für diesen Boom verantwortlich. Wie überhaupt er positive Worte für die Landesregierung übrig hat. Was doch einigermaßen verwundert, ist Thurnher doch einer der schärfsten Kritiker der Schwarz-Blauen-Orangen Regierung seit ihrem Entstehen im Jahr 2000. Doch in diesem Punkt differenziert Thurnher. In seinem Buch „Das Trauma, ein Leben“ schreibt er: „Die Politik manch bürgerlich regierter Länder ist in einem Ausmaß ökologisch und kulturpolitisch modern, dass sie mit dem überlieferten Bild von Konservatismus nur mehr sehr wenig zu tun hat“. Die ÖVP also doch Bürgermeisterpartei? Möglich. Jedenfalls seien ihr im Bereich ökologischer Landwirtschaft, aber eben auch in kulturpolitischen Bereichen, Thurnher erwähnt neben der Architekturszene die Bregenzer Festspiele, politische Erfolge zuzuschreiben. Im Gegensatz zur Bundespolitik: Hier würde eine „quasi-neoliberale Politik gemacht und mit dem Verkauf der Industrie der Staat diskreditiert“. Also alles eitel Wonne im Westen? Mitnichten.


Drei Jubiläen – Sausi, Spiel und Volkspartei

60 Jahre bürgerliche Mehrheit in Vorarlberg bekomme weder der Demokratie, noch der Volkspartei selbst, konstatiert Thurnher. Also doch eine Gemeinsamkeit mit Wien, nur andersrum mit entgegen gesetzten Vorzeichen. Den Grund sieht Thurnher in der relativen Schwäche der Oppositionsparteien im Ländle, die nun bereits seit 60 Jahren über keinerlei Macht verfügen würden und somit keinerlei Macht zu vergeben hätten – damit für ein gewisses Klientel uninteressant seien.

60 Jahre Herbert Sausgruber? Unvoreingenommen kann Thurnher diese Frage nicht beantworten – milde fällt sein Urteil aus. Schließlich haben beide dieselbe Schule besucht. „Ich halt den Sausgruber für einen sehr sympatischen Politiker, außerdem hab ich ihn noch in Klothosen über den Schulhof wetzen sehen“. Thurnher glaubt sich zu erinnern, dass der Landeshauptmann ein guter Leichtathlet, aber ein wenig begabter Fußballer war.

60 Jahre Bregenzer Festspiele? Voll des Lobes ist Thurnher für die Spiele auf dem See. „Ein Geschick wie man es ganz selten findet, nämlich Spektakel mit neuer Musik und neuer Oper zu verbinden ohne dabei in der Größe zu übertreiben“.


Jede Woche verfasst Thurnher den Leitartikel
im Falter/foto gantner

Was bleibt…

…sind drei bis vier Besuche im Jahr, prägende Kindheitserinnerungen, alemannischer Spracheinfluss und Kässpätzle. Etwa vierteljährlich verschlägt es Thurnher in die Landeshauptstadt, „um Freunde und Familie zu besuchen“, wie er sagt. Seine Mutter lebt noch heute in Bregenz. Die Kässpätzle der Mutter – gottlob sie sollen ausgezeichnet sein – sind jedenfalls kein Grund, den Weg über den Arlberg zu nehmen. Denn Thunrnher ist überzeugt: „Ich weiß wie man sie richtig macht, im Unterschied zu den meisten anderen Vorarlbergern im Exil“. Die meisten würden bereits am Teig scheitern, „Katastrophen sind das – Kässpätzle-Katastrophen“, erklärt Thurnher spätzlefest. Nicht umsonst hat er bereits einige Kässpätzle-Rezepte publiziert.

Und wann erscheint der Falter in Vorarlberg? „Das wird noch länger dauern. Langfristig haben wir uns Ostösterreich vorgenommen. Die Vorarlberger müssen sich derweil mit der Zeitschrift Kultur zufrieden geben – auch nicht schlecht“. Recht hat er.





2007/09/05

Dreckige Arbeit

"Falter" Nr. 36/07 vom 05.09.2007


KREATIViTÄT Ein Atelier samt Graphik-Werkstatt im Zweiten lädt ein zum Selbermachen.

Die Selbstmorde in Stammheim waren keine Morde", sind sich Eric Neunteufel und Angelika Kreilinger ob der Todesursache von Baader & Co sicher. Man plaudert über die Tragik, die all den RAF-Aktivisten innewohnte, die Ohnmacht des Staates im Umgang mit Terrorismus und Stefan Austs Bestseller "Der Baader-Meinhof-Komplex". Irgendwann sagt Neunteufel, der an der Angewandten Malerei und Grafik studierte, dass ihm das ganze Tamtam um die RAF eigentlich unangenehm sei, dass er vor drei Jahren begann, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, und jetzt dieser ganze "Prada-Meinhof-Rummel". Seine dabei entstandene Arbeit zur RAF ist jetzt in Innsbruck auf einem Wettbewerb vertreten und heißt "Baader. Ein deutscher Romantiker". Die Ausstellung dazu soll in der eigenen Galerie, der Graphik-Werkstatt stattfinden. Allerdings erst im nächsten Frühjahr, ein halbes Jahr nach dem 30. Jahrestag des "Deutschen Herbsts". Denn Neunteufel ist kein Freund von Jubiläen.

Seit Mai besitzen Neunteufel und seine Lebensgefährtin Kreilinger ihre eigene Graphik-Werkstatt im zweiten Bezirk - Galerie und Werkstatt in einem. Hier stehen Litho- und Radierpresse, Betonwannen und Staubkasten. "Es ist eine dreckige Arbeit", erklärt der 46-Jährige. Man arbeitet mit Asphaltlack und Säuren. Neunteufel ist froh, die Lithopresse nicht mehr im eigenen Wohnzimmer stehen zu haben. "Seit den Siebzigern", erklärt der gelernte Kupferdrucker, "steht es um die Druckgrafik nicht so gut." Zu viel sei damals gedruckt worden. Jetzt wollen die beiden der Kunstrichtung wieder mehr Raum verschaffen. Er glaubt, dass Leute verstärkt das Bedürfnis haben, handwerklich tätig zu sein. "Druckgrafik ist die gelungene Mischung aus Kunst und Handwerk", fügt Kreilinger hinzu. In der Graphik-Werkstatt sind Interessierte eingeladen, die Infrastruktur zu nutzen. Die Räumlichkeiten können für einen Tagessatz von sechzig Euro gemietet werden, einzelne Drucke kosten acht Euro aufwärts. Das Angebot richtet sich an Künstler ebenso wie "Leute, die eine Idee oder Interesse an dieser Arbeit haben". Diese können für sich oder mit Neunteufel gemeinsam die einzelnen Arbeitsschritte durchgehen, eine Arbeitsmethode auswählen, um letztlich ihre eigene Radierung, Lithografie oder Heliogravüre in Händen zu halten. "Wir haben Kunst immer als Lernprozess verstanden." So soll's sein.

Graphik-Werkstatt Neunteufel & Kreilinger, 2., Obere Augartenstraße 70, Tel. 216 43 39, Mo-Fr 10-18 Uhr (Sa und So. nach Vereinbarung).

2007/08/29

Gott, Salzburg, Gaskammer

"Falter" Nr. 35/07 vom 29.08.2007


ZEITGESCHICHTE In Salzburg tobt ein Streit um die angeblich braune Vergangenheit des renommierten Journalisten René Marcic. Die "Salzburger Nachrichten" sehen sich als Opfer einer "grotesken Nazijagd".

Salzburg, Weihnachten 1949. Seit vier Jahren herrscht Frieden im besetzten Österreich, das Land sucht seine neue Identität. In den damaligen Ausgaben der Salzburger Nachrichten kann man die Welt von einst aufspüren: Bei den Salzburger Festspielen dirigiert Wilhelm Furtwängler, dem die Amerikaner kurz nach dem Krieg wegen seiner Nähe zum Dritten Reich Berufsverbot erteilt hatten. Von einer "Weihnachtsamnestie für Kriegsverbrecher" ist in den Chronikspalten zu lesen. Und in einem Leitartikel schreibt SN-Herausgeber Gustav Canaval über das Wesen des Menschen, "vor dem wir zittern müssen, weil wir nimmer mehr wissen, was sein Hass verbunden mit seinem Können morgen über uns alle bringen kann".

Die Weihnachtsausgabe der SN hatte 1949 stolze 28 Seiten, es gab endlich wieder Inserate, auch ein Zeichen des kommenden Aufschwungs. Texte von Erich Kästner und Alfons Dalma wurden gedruckt, und einer des Redakteurs René Marcic. Der erörterte in einem Artikel mit dem Titel "Strahlungen und Gegenstrahlungen" die notwendige Hingabe zu Gott mit verstörenden Worten: "Wer über Gott und das Gebet Spott treibt, oder wer in Gott höchstens ein Es, jedoch keine Person, kein Du erfährt, der darf sich nicht wundern, wenn er die Abwertung seines Wesens am eigenen Leibe zu spüren bekommt und eines Tages in die Gaskammer gesteckt wird. Mendelssohn und seinesgleichen haben selber die Welt heraufbeschworen, von der sie dann verfolgt wurden." Ge-münzt war dieses Zitat auf den jüdischen Schriftsteller und Journalisten Peter de Mendelssohn, der ein Werk von Ernst Jünger verissen hatte.

Was wollte Marcic damit zum Ausdruck bringen? Dass jene die Gaskammer verdienen, die nicht an Gott glauben? Dass die Juden letztlich selbst schuld seien am Holocaust? Oder dass die Gaskammer droht, wenn Gott nicht mehr geehrt wird, weil dann die Welt nur noch des Teufels sei? Um Marcics Text wird heute noch heftig und leidenschaftlich gestritten. Denn der Journalist galt jahrzehntelang als einer der renommiertesten Publizisten Salzburgs. Landeshauptfrau Gabriele Burgstaller (SPÖ) sollte, geht es nach den Salzburger Nachrichten und der ÖVP, bald schon wieder einen Journalistenpreis verleihen, der nach Marcic benannt ist. Es ist ein staatlich finanzierter Preis.

Doch Burgstaller will die Verleihung des 7300-Euro-Preises erneut "ausfallen lassen" und eine Neugestaltung des Preises 2009 durchsetzen. Diesen Mittwoch wird Burgstaller jedoch einen Zwischenbericht einer Studie übergeben, die von der Jury des Marcic-Preises in Auftrag gegeben wurde. Michael Schmolke, Juryvorsitzender, sagt: "Bei einer Untersuchung der Texte Marcics zwischen 1946 und 1955 wurde kein vergleichbares Zitat gefunden."

Dennoch tobt ein Streit darum, ob ein Preis nach einem wie Marcic benannt werden kann. Nein, sagen Grüne und SPÖ, und stützen sich dabei auf die Forschungen des Wiener Universitätsprofessors Fritz Hausjell. Der machte bereits Ende der Achtzigerjahre auf Marcics Rolle während des Zweiten Weltkriegs aufmerksam. Während des Krieges war der gebürtige Wiener nämlich Presse- und Kulturreferent des klerikalfaschistischen UstasÇa-Regimes in Wien gewesen. Also jenes Regimes, das im Konzentrationslager Jasenovac in Kroatien - laut Zahlen des Simon-Wiesenthal-Zentrums - 600.000 Menschen ermorden ließ. "Marcic", sagt Hausjell, "war offizieller Vertreter des klerikalfaschistischen Kroatien in Wien, hatte aber keine hochrangige Position inne."

Ronald Barazon, ehemaliger Chefredakteur der bürgerlichen Salzburger Nachrichten, weist solche Kritik an Marcic hingegen zurück. Er warnt vor "gefährlichen und grotesken Nazijägern", welche nicht nur Marcic, sondern die ganze Zeitung in ein rechtes Eck stellen wollen, wo sie nicht hingehöre. In der Tat: Barazon betont in einer E-Mail an den Falter, selbst Jude zu sein, seine Verwandten wurden in Konzentrationslagern der Nazis ermordet. Der Herausgeber des Blattes, Maximilian Dasch jun., kritisiert das "links angehauchte Wiener Publizistikinstitut" und betont, Marcics Zitat sei "aus dem Zusammenhang gerissen".

Hausjell jedoch steht zu seiner Kritik. Er schlug vor, den Preis auf "Friederike- und-Stefan-Zweig-Preis für Europa und Frieden" umzubenennen. Ein Vorschlag, der Burgstaller zu gefallen scheint - zumindest signalisiert das ihr Büro. Doch die SPÖ koaliert mit der ÖVP, die sich gegen eine Umbenennung des Preises sträubt.

Der Kampf um Marcic offenbart etwas Grundsätzliches. Kann einer, der sich einem faschistischen Regime verpflichtet fühlte, ein geläuterter Demokrat, ein Vertreter der bürgerlichen Presse werden, nachdem heute noch Landespreise benannt werden? Marcic begann als Gerichtsreporter für die SN, er verließ das Blatt als Chefredakteur. In dieser Zeit engagierte er sich am Wiederaufbau der Universität Salzburg. In den Siebzigern machte sich Marcic einen Namen als Rechtsphilosoph an der Universität. In seinen Schriften predigte er den Widerstand gegen die Tyrannei. Michael Fischer, Assistent Marcics, beschreibt seinen Lehrer als "offenen und toleranten Universitätsprofessor". Er glaubt an einen Wandel, den Marcic über die Jahre durchgemacht habe. In seinen Büchern fänden sich keinerlei Hinweise auf neonazistisches Gedankengut. Den Grund, weshalb gerade die ÖVP und die bürgerliche SN an Marcic festhalten, glaubt Fischer zu kennen: "Marcic war ein klassischer Vordenker der Ära Lechner (Landeshauptmann von 1961 bis 1977, Anm. d. Red.) bis hin zur Ära Haslauer in den Siebzigerjahren."

Marcic glaubte, genau so wie Jünger, dass die Zukunft des Menschen von der Frage abhänge, ob der Mensch wieder glauben können wird oder nicht.

Ob aber die Ausführungen Marcics in all seinen Schriften bloße Fassade sind oder einen tatsächlichen inneren Wandel illustrieren, kann rückblickend schwer festgestellt werden. 1966, fünf Jahre vor seinem Tod, bat Marcic schriftlich um Verzeihung: "Ich bitte Sie und alle, die ich ahnungslos gekränkt habe, freilich allen voran: Peter de Mendelssohn, um Verzeihung. Ich wollte helfen, nicht kränken." Für die Publizistin Hilde Spiel, die Frau des angegriffenen Mendelssohn, war diese Entschuldigung nicht glaubwürdig. Spiel war mehrere Jahrzehnte mit Mendelssohn verheiratet und gilt als eine der publizistischen Größen Österreichs. Ein Jahr vor ihrem Tod, im Jahr 1989, erklärte sie in einem Interview mit Hausjell: "Bei aller Wandlung, die er vielleicht nachher durchgemacht hat, und bei allen Versuchen, sich dann als großer Moralist, christlicher Theoretiker und Verfechter des Naturrechts zu gerieren, bei all den Versuchen kann man nicht vergessen, wie sich dieser Mann nach dem Krieg geäußert hat. (...) Das sind Dinge, die in einem heutigen Österreich nicht mit einem Journalistenpreis verbunden sein sollten." Hausjell kann sich einen Wandel Marcics zwar vorstellen, "wenn aber immer argumentiert wird, das Zitat sei aus dem Zusammenhang gerissen, dann möge mir bitte jemand jenen Zusammenhang erklären, welcher solch eine Aussage und schließlich solch einen Preis rechtfertigt."

2007/08/10

Leserinnen verzweifelt gesucht


Falter Aug07

Martin Gantner und Barbara Tóth



MAGAZINE Mit "Madonna" aus dem Hause Fellner und "Secret" aus dem News Verlag haben Österreichs Leser ab September zwei Hochglanzillustrierte mehr. "Madonna" richtet sich klar gegen "Woman". Der Kampf am Frauenzeitschriftenmarkt ist eröffnet. Die Welt von Secret existiert derzeit nur im 14. Stock des News-Medientowers am Wiener Schwedenplatz. Im Sommer wurde das Geschoß komplett geräumt, um eine Art Themenpark zu installieren. Wer ihn betritt, soll ein Gefühl für das neue Hochglanzmagazin aus dem Hause News bekommen, noch bevor er die erste Ausgabe in den Händen hält. Secret, das ist also viel schwarzes Glas, zwei weiße und drei schwarze Ledercouchen und lila Orchideenschmuck, dazu mit Stoff bezogene Lampen im Loungelook. Dieser Raum könnte genauso gut eine Hotellobby in New York sein, eine Bar in Paris oder ein Club in Berlin. International, modern - aber auch irgendwie austauschbar.

Nicht nur die News-Medienmanager versuchen derzeit, eine neue Medienmarke mit Gefühlen aufzuladen, wie es in der Werbebranche heißt. Auch in der Redaktion von Österreich, der Tageszeitung der Fellner-Brüder, wird dieser Tage am Image einer Neugründung gefeilt. Madonna soll sie heißen. Ganz in Weiß und Gold gehalten sind die edlen Folder, mit denen für das neue Frauenmagazin Uschi Fellners geworben wird. Nicht von ungefähr erinnert das Design an die erfolgreiche Marke Woman, dem bereits existierenden Heft aus dem News-Verlag, das vor sechs Jahren von Fellner gegründet worden ist.

Madonna, das am 22. September mit einem Kampfpreis von einem Euro erstmals erscheint, ist klar gegen Woman positioniert. Auch Secret, das ebenfalls maßgeschneidert für weibliche Lesegewohnheiten wirkt, aber eher in der Liga von Vogue oder Vanity Fair mitspielen möchte, wird zeitgleich auf den Markt kommen. "Wir erscheinen wenige Stunden oder Tage danach", kündigt Oliver Voigt, Chef der News-Verlagsgruppe, an. Und scherzt: "Der Herbst wird ein bisschen ungemütlich."

Das klingt bewusst untertrieben. Mit Madonna und Secret - das, wie Falter-Recherchen ergaben, in der Endversion übrigens First heißen dürfte (siehe Kasten) - begibt sich der Medienkonkurrenzkampf zwischen der News-Gruppe und der Fellner-Familie auf neues, ungewohntes Terrain. Durch die Fellner-Neugründung Österreich geriet der Boulevard- und Gratiszeitungsmarkt unter Druck, nun ringen beide Verlagshäuser in einer Sparte, die gemeinhin als eine der letzten der Branche gilt, in denen Zuwächse noch möglich sind: im Bereich der Frauenmagazine.

Der Blick über die Grenze nach Deutschland scheint dies zu bestätigen. Horst Röper, Geschäftsführer des Formatt-Instituts in Dortmund, verweist auf die zahlreichen Neuerscheinungen und Relaunches, die der deutsche Medienmarkt im Bereich der Frauenzeitschriften in den letzten Jahren erlebt hat. Der Magazinmarkt in der Bundesrepublik gilt als einer der wettbewerbsintensivsten Märkte weltweit. Frauenmagazine sind in Deutschland die zweitgrößte Sparte nach den Programmzeitschriften. "Ein Wachstum des Anzeigenmarktes ist da kaum mehr möglich. Neuerscheinungen können fast ausschließlich über Umverteilung von finanziellen Mitteln funktionieren", erklärt Röper. Ein Nullsummenspiel also. Das Erscheinen des einen Mediums geht zulasten eines bereits bestehenden, im selben Segment fischenden Titels. Matthias Karmasin, Institutsvorstand an der Universität Klagenfurt, sieht das ähnlich. Auch er glaubt nicht an ein generelles Wachstum des Anzeigenmarktes, sieht aber durchaus Potenzial für Umverteilungen in Österreich. "Neue Frauenmagazine können schon erfolgreich sein. Mit ästhetischer Oberflächenpolitur allein ist es aber nicht getan." Neben der journalistischen Qualität müsse vor allem auch auf die Bedürfnisse der Werbewirtschaft eingegangen werden. "Dieses Schielen auf die weibliche Zielgruppe ist in der Regel weniger redaktionell, als vielmehr ökonomisch motiviert," glaubt Röper.

Wurden Frauen als Zielgruppe bis heute sträflich vernachlässigt? Zumindest Röper sieht das so. Die Verlage hätten sich lange nur an den Haushaltsvorstand gerichtet, der meist männlich war. Ein Bild, das sich in den vergangenen Jahren jedoch zusehends verändert hat. Die deutsche Wochenzeitung Zeit hat auf diese Entwicklung bereits reagiert. Chefredakteur Giovanni di Lorenzo spricht von einer bewussten "Öffnung" bei der Auswahl der Themen, um auch wieder verstärkt für Leserinnen attraktiv zu sein.

Karen Müller, Chefredakteurin der Wienerin, fürchtet sich jedenfalls noch nicht vor der neuen Konkurrenz ab Herbst. "Die Markteintrittskosten sind hoch, und neue Anbieter müssen sich erst das Vertrauen der Kundinnen erarbeiten." Wie viele andere glaubt auch sie, dass die Fellners - wie bereits bei der täglichen Hochglanzbeilage ihrer Tageszeitung Österreich, genannt Life & Style - mit viel Dampf in den Markt fahren werden. Aber auch da, so Müller, "war die Furcht unbegründet".

Wie viel Dampf die Fellners machen, lässt sich im goldverzierten Imagefolder nachlesen, mit dem die Anzeigenkeiler von Madonna für ihre Neugründung werben. 200.000 Leser will Madonna wöchentlich erreichen, 100.000 davon über Abos, 70.000 über den Einzelhandel, 30.000 über den Trafikenverkauf. Eine Seite kostet 11.700 Euro, gleichzeitig ist viel von Rabatten und Kombiangeboten die Rede. Wer das "Bonus-Paket" bucht, bekommt beispielsweise zum Preis von zehn Anzeigen in Madonna fünf gratis und zwei in Life & Style, der Beilage in Österreich, dazu. Zum Vergleich: Wer seine Werbung in Secret platzieren will, muss 6900 für eine Seite bezahlen, wer ein Jahrespaket nimmt, bekommt sie bis zu vierzig Prozent günstiger.

Solche Schnäppchen nähren in der Branche den Verdacht, dass die Österreich-Macher auf diesem Weg für ihre tägliche Magazinbeilage endlich jene Inserate einfangen wollen, die ihnen bis dato fehlten: Kosmetik, Mode und Luxusgüter. "Nach dem - sorry - Flop mit der Österreich-Beilage Life & Style probiert man es jetzt halt mit dem ursprünglichen Woman-Konzept. Nach allem, was ich über Madonna gehört habe, wird es aussehen wie Woman vor fünf Jahren. Eh auch nett, aber halt ein bisserl retro", höhnt Secret-Chefin Euke Frank, die in der Verlagsgruppe News auch Woman führt. Der Konter aus der Österreich-Redaktion ist nicht weniger scharf: "Ich betrachte Madonna als Weiterentwicklung eines Magazins, das ich gegründet habe, nicht als Konkurrenzprodukt zu Woman", meint Uschi Fellner. "Secret bedient eine ganz andere Zielgruppe. Das ist ein sehr kleines Segment, so weit ich das sehe." Eine Kannibalisierung des Anzeigenmarktes fürchtet sie nicht.

Offiziell hat die Gründung von Secret natürlich nichts mit dem Start von Madonna zu tun, inoffiziell wird im News-Medienturm eine andere Strategie ausgegeben: die Sandwichstrategie. In Zukunft soll das eingeführte und breite Woman (verkaufte Auflage nach eigenen Angaben knapp 200.000) den Massenmarkt bedienen, Secret das gehobene Publikum. "Und Madonna muss sich irgendwo dazwischen zurecht finden", hofft ein News-Verlagsmanager. Der hintere Teil der Secret-Nullnummer schaut auch aus wie ein ordentlich aufpoliertes Woman: Zu finden sind der für alle Frauenmagazine übliche Mix aus Kosmetiktipps, Modestrecken und Einblicke in das Leben Prominenter, nur deutlich üppiger inszeniert, auch aufgrund des übergroßen Formats (230 mal 300 Millimeter).

Spätestens im September wird dann auch die Secret-Lounge im News-Tower belebt werden. Anzeigen-, Marketing- und Redaktionsmannschaft sollen einziehen. Letztere braucht am wenigsten Platz: Das, wie Voigt es nennt, "Upscale"-Produkt soll von nur zehn Menschen gemacht werden - und vielen, vielen freien Autoren.

2007/06/29

maschek: "Politiker sind auch nur Dodln"

"Vorarlberger Nachrichten" Nr. 148 vom 29.06.2007



quelle: maschek.org


VN-INTERVIEW: "maschek" synchronisieren TV-Beiträge neu - und sorgen so für Lacher

Die Wiener Mediensaboteure "maschek" reden drüber - im wahrsten Sinne.


MARTIN GANTNER


VN: Was macht den Erfolg, den Reiz von "maschek" aus?

Stachel: Dass es von der Form her so einfach ist. Jeder hat schon einmal über Fernsehstimmen drübergeredet. Stichwort youtube.com: Die Leute machen das ja auch nach. Das macht uns großen Spaß, weil wir sehen, dass wir andere inspirieren.

VN: Kann man über unsere Politiker mehr lachen als über andere?

Stachel: Die Politiker sind sicher nahbarer, als etwa in Deutschland. Schlüsse auf den Charakter sind da leichter zu ziehen. Und das ist ja gerade das Spannende. Die politischen Botschaften interessieren weniger. Uns geht es darum zu zeigen: Politiker sind auch nur "Dodln". Das macht sie ja auch menschlicher.

VN: Gibt's Feedback von

Politikern?

Stachel: Nein, überhaupt nicht. Es interessiert uns aber auch nicht. Wir treten für uns und fürs Publikum auf. Wir sind weit entfernt von einem Villacher-Fasching-Effekt.

VN: Welche Politiker geben besonders viel her?

Stachel: Der Gusi, weil er sehr natürlich agiert. Er steht zu seinen Fehlern und macht sie sogar zu seinem Markenzeichen. Ich glaube, dass der Gusi irgendwann ein ganz Großer sein wird, aber er muss noch einige Jahre durchtauchen. Weil einer, der sich dermaßen keine Blöße gibt, ist nach Schüssel eine sehr erfrischende Persönlichkeit. Er ist in unseren Stücken immer mehr zu Homer Simpson geworden, der auch für "maschek" eine der wichtigsten Inspirationsquellen darstellt.

VN: Wie medienkritisch

wollt ihr sein?

Stachel: Wir erheben einen klaren, medienkritischen Anspruch. Wir haben uns anfangs - vor unserer Zeit im ORF - auch als eine Art Anti-ORF verstanden und haben Kritik am ORF unter der schwarzblauen Regierung geübt. Diese Kritik kann bis in die 90 er- Jahre zurückreichen. Seither besteht die Tendenz, den ORF zu einem stromlinienförmigen Medium zu machen. Es ist ein ständiges Schielen nach Quote, um für die Werbewirtschaft interessant zu sein.

VN: Und dennoch seid ihr dann zum ORF gegangen?

Stachel: Es fällt natürlich schwerer, Systemkritik zu üben, wenn man selbst Teil des Systems ist. Aber innerhalb der Sendung ist so viel möglich, es werden uns keine Grenzen gesetzt, sodass wir bereit sind, diesen Preis zu zahlen. Ich möchte mich auch am derzeitigen ORF-Bashing nicht beteiligen. Denn es ist einfach erfrischend, dass sich die neue Führung irgendwas traut. Selbst eine Serie wie "Mitten im Achten" muss man probieren dürfen, auch wenn sie letztlich gescheitert ist.

VN: Wie sehen eure Pläne

für die Zukunft aus?

Stachel: Für Herbst haben wir eine neue Produktion geplant, die sich mit den ökonomischen Zusammenhängen in der Medienwelt befassen wird. Wir werden das Publikum einladen, in uns zu investieren. Die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit sollen dabei verschwimmen.

VN: Was erwartet uns nächste Woche in Vorarlberg?

Stachel: Man braucht nicht in beide Veranstaltungen zu kommen. Wir werden sowohl in Bregenz als auch in Feldkirch das gleiche Programm spielen. Es wird, wie aus dem TV bekannt, ein "maschek.redet.drüber". Auch mit Sachen, die wir bei "Dorfers Donnerstalk" aufgrund der Länge nicht bringen können.

"maschek" sind live auf der Bühne zu erleben am 4. Juli beim Seelax-Festival in Bregenz und am 5. Juli beim Poolbar-Festival in Feldkirch. Karten: Musikladen.

ZUR PERSON

Robert Stachel Geboren: 1972 in Wr. Neustadt Geschichte von "maschek": 1996 lernen sich Peter Hörmanseder , Ulrich Salamun und Robert Stachel beim Studium in Wien kennen. Bühnendebüt im Dezember 1998 im Wiener Wohnzimmerclub Hobbythek. Bei der Moderation eines Abends zur Nationalratswahl 1999 experimentieren sie mit TV-Live-Synchronisationen, die zum dominierenden Element der Auftritte werden.

"Maschek" reden drüber: Sie legen Politikern Worte in den Mund - nächste Woche im Ländle. (Foto: maschek/Andrea Maria Dusl/Stephan Doleschal)

2007/04/22

chorherr in viennablog vom 22.april 07

"Die Apokalypse lähmt"

Der Landtagsabgeordnete und frühere Bundessprecher der Grünen, Christoph Chorherr, über die Zukunft der Partei, der Stadt und den Erfolg des rechten Lagers in Wien.

Auf dem Weg hierher wurde ich von mehreren NGO-Aktivisten angesprochen. Wie viele Daueraufträge gehen bei Ihnen auf das Konto von Greenpeace und Co?

Ich fürchte zu viele. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Wüsste ich es, würde ich mich wohl über etliche giften und müsste einige Aufträge kündigen. Ich sehe das aber als allgemeine Unterstützung durchaus sinnvoller Aktivitäten.




"Sehnsucht nach Politik größer geworden"/
quelle: http://www.gruene.at / montage gantner



Vor zehn Jahren sagten Sie, es gebe eine Sehnsucht nach Politik. Wie sehen sie das heute?

Ich würde es heute sogar noch verschärfen. Es gibt heute noch mehr Sehnsucht nach Politik. Politik verstanden als Gestaltung. Stichwort: nachhaltige Industriegesellschaft. Das interessiert die Menschen sehr. Politik unterschätzt jedoch permanent das Niveau ihrer Adressaten, der Citoyens. Das ist mit Sicherheit eine der Ursachen der Politikverdrossenheit. Das Bedürfnis, grundlegende Debatten zu führen, wäre jedenfalls vorhanden.

In welcher Form?

In jeglicher Form. In Debatten im Fernsehen, in den Feuilletons, auf Veranstaltungen. Ich sehe hier jedoch auch Versäumnisse der österreichischen Medienwirklichkeit. Komplexere Sachverhalte lassen sich nun mal nicht auf kürzere Sager zusammenstreichen. Es hat aber auch mit dem Niveau des österreichischen Journalismus zu tun. Ich bin immer total fasziniert, dass sich in allen Medien dieselben, langweiligen, oft irrelevanten Dinge wieder finden. Ein Spiel, dass Politiker sicherlich auch mitspielen. Da trifft sich das untere Mittelmaß und glaubt, mehr würde die Leute nicht interessieren.

Die Herausforderungen für die Wiener Grünen hinsichtlich der Wahlen 2010?

Es sind immer dieselben. Inhaltlich sind wir gut aufgestellt, die Performance könnte besser sein. Ziel muss es sein, an der Macht teilzuhaben, Regierung zu sein, um zu zeigen, dass unsere Visionen realitätstauglich sind.

Nach den Wahlen 2005 forderten sie noch „eine mittlere Revolution“ und eine „Säkularisierung der Partei“. Ist diese Revolution eingetreten?

Nein. Ich glaube, dass wir noch immer zu innenorientiert und strukturkonservativ sind. Ich habe damals eine stärkere Öffnung der Partei gefordert. Denn es bestehen bei allen Parteien große Klüfte zwischen Parteien und Wählern. Leider auch bei uns. Es werden immer wieder Entscheidungen getroffen, die der Durchschnittswähler nicht versteht. Wir müssen unabhängig von Parteienzugehörigkeiten Debatten und Dialoge anregen. Daran arbeite ich auch, halte mich deshalb ein wenig bedeckt. Nur soviel: Ich möchte sicherstellen, dass auf Listen ein gewisses Maß an Durchmischung herrscht, und dass Menschen, die neu in die Politik kommen, eine reale Chance haben. Siehe Eva Glawischnig und Alexander van der Bellen – zwei Beispiele für erfolgreiche Quereinsteiger. Wir sind da ein bißchen wie die anderen Parteien geworden.





"SPÖ macht Politik für und nicht mit den Bürgern" /
http://www.gruene.at / montage gantner



Sind die Grünen eine „normale“ Partei geworden?

Sie sind wenig anders als sie angetreten sind. Es ist ein natürlicher, nicht automatisch schlechter Prozess, weil das politische Spiel eben gewisse Regeln hat. Aber ein bißchen mehr Dynamik würde ich mir schon wünschen.

Gibt es die oft zitierte Kluft zwischen Realos und Fundis in der Partei?

Nein. Jede Partei hat Strömungen, hat Flügel. Mein persönlicher Zugang zu Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ist sicherlich liberaler als bei manch anderen in der Partei. Mein Glaube an die Segnungen des Staates immer und überall, insbesondere wo´s um Wirtschaftslenkung geht, ist sehr endenwollend. Es ist aber nur menschlich, dass es – wie bei allen Parteien – auch bei den Grünen Seilschaften gibt.


Michael Häupl hat bereits angekündigt, 2010 noch einmal zu kandidieren. Drohung oder Segen?

Es ist ein Faktum. So wie ich die SPÖ einschätze, ist die Chance, dass Häupls Nachfolger ein Qualitätssprung nach oben bedeutet, gering.

Konkret: Renate Brauner?

Es gibt viele Kritikpunkte an Michael Häupl, aber er ist erstens intelligent und zweitens als Person breiter als die SPÖ. Dennoch: Er macht zu wenig aus dem mächtigen Amt des Bürgermeisters. Ich persönlich habe einen guten Draht zu ihm. Eine Reihe von Innovationsprojekten, die ich für Wien geplant habe, hat er wohlwollend geduldet. Da ist Renate Brauner viel enger. Aber: Wien ist feudal und strukturkonservativ und das wird es auch weiter bleiben.

Wie erklären sie den Erfolg der SPÖ?

Der SPÖ gelingt es, ein sehr positives Lebensgefühl, das in Wien besteht, auf sich selber zu übertragen.




"Ich würde mir mehr Dynamik in der Partei wünschen" /
http://www.gruene.at / montage gantner



Wie erklären sie sich die Tatsache, dass ausgerechnet in Wien das rechte Lager so stark ist?

Das ist einer meiner schärfsten Vorwürfe an die SPÖ. Indem sie nach wie vor glaubt, Politik für die Menschen und nicht mit den Menschen zu machen und so permanent Abhängigkeitsverhältnisse produziert, schafft sie die Voraussetzungen, wirklich autoritären Strukturen oder Parteien zuzulaufen. Die wirkliche Entfeudalisierung Wiens ist noch lange nicht gelungen. Von Kultur in Kleingartensiedlungen bis Gemeindebauten wird individuelles Engagement, das sich auch gegen die Obrigkeit richtet, von der SPÖ zu wenig gefördert. Unabhängigkeit wird nicht als Wert erkannt.

Was müsste die SPÖ den konkret ändern?

Ihre Haltung. Die Partei glaubt wirklich: Wien ist gleich SPÖ und wenn du dich dazu bekennst, bekommst du auch etwas. Wenn ich versuche, ihnen das zu sagen, verstehen sie mich nicht und schauen mich ganz fassungslos an. Sie verstehen´s wirklich nicht. In ihrem Verständnis tun sie alles für die Menschen. Das ist im Grund zu tiefst autoritär und schafft Abhängigkeiten. Und wenn´s dann hart auf hart kommt, geht man eben lieber zum Schmied und nicht zum Schmiedl.

Sie kritisieren ja den Alarmismus, die „fünf vor Zwölf-Stragie“ der Grünen im Bereich der Umweltpolitik. Wieso?

Weil die Apokalypse lähmt. Die Apokalypse – im Sinne von „die Welt geht unter“– ist unrichtig. Die ökologische Frage ist viel mehr eine soziale und kulturelle Frage, weil sich die Lebensumstände enorm verändern werden. Und treffen wird es vor allem die Armen. Kulturell insofern, als dass die Menschheit auch ohne Leonardo DaVinci, die Altstadt von Venedig und ohne den Eisbären leben kann. Wir werden nur viel schlechter und ärmer leben. Vielleicht wäre diese Argumentation zielführender, als permanent die Katastrophe auszurufen.

Auf der anderen Seite ist doch aber das Bewusstsein so groß wie noch nie?

Richtig. Das sehe ich auch als Chance. Ich glaube aber, dass die Umstellung viel fundamentaler sein muss. Da geht es nicht um ein paar Filter und ein paar Energiesparlampen. Es geht um eine Neujustierung von zwei- bis dreihundert Jahren Industriegeschichte. Die Aufgabe ist eine postfossile, industrielle Gesellschaft zu schaffen.


Macht Wien dabei eine schlechte Figur?

Nein, aber Wien könnte mehr. Das ist auch mit Chancen verbunden. Beispiel: Wir könnten Wien zu einem Herzeig-Kompetenzzentrum für energieeffiziente Wohn- und Hochhäuser machen. Was mich frappiert ist die Diskrepanz zwischen „Hilfe, wir rotten den Eisbären aus“ und konkretem, politischen Handeln. Da wird oft kein Zusammenhang gesehen.

Eine letzte Frage: Würde es Sie reizen, noch einmal in die Bundespolitik einzusteigen?

Ich habe keine Lust auf ein Nationalratsmandat. Ich bin sehr zufrieden in Wien sein zu können, wo es viel leichter ist als auf Bundesebene, konkrete Dinge umzusetzen, zu zeigen, wie Alternativen ausschauen können. Dazu brauche ich in aller Bescheidenheit kein Nationalratsmandat.

Herr Chorherr, vielen Dank für das Gespräch.

2007/03/31

Thurnher: "Spüre Aufbruchstimmung"


Vorarlberger Nachrichten" Nr. 076 vom 31.03.2007


VN-INTERVIEW: Ingrid Thurnher über Programmreform, neue ZiB und Vorarlberger Wurzeln
Ab 10. April moderiert die Vorarlbergerin Ingrid Thurnher die neue Zeit im Bild 1.


MARTIN GANTNER redaktion@vn.vol.at

VN: Sind Sie froh, nach dem Wechsel zur ZiB 1 künftig wieder früher schlafen gehen zu können?

Thurnher: Das ist mir eigentlich ziemlich egal.

VN: Es hieß, Sie hätten zu diesem Schritt überredet werden müssen?

Thurnher: Ich bin überzeugt worden, weil das Konzept ist neu, interessant und herausfordernd. Ich würde fast sagen revolutionär. Ich freue mich auch sehr auf die wieder eingeführte Doppelmoderation mit Gerald Gross. Wir haben bereits bei der Wahlberichterstattung optimal zusammengearbeitet.

VN: Wie würden Sie unseren Lesern die ZiB neu schmackhaft machen?

Thurnher: Die ZiB 1 wird eine Nachrichtensendung sein, die sich mit großen internationalen Formaten messen kann. Sie wird mehr vertiefen, ohne den Blick fürs Gesamte zu verlieren. Moderatoren, Grafik, Redaktion und Regie werden die Sendung in enger Zusammenarbeit gemeinsam entstehen lassen. Das Studio ist gerade im Aufbau. Es herrscht kreativer Hochdruck.

VN: Wie stehen Sie grundsätzlich zur "größten Reform aller Zeiten"?

Thurnher: Ich glaube, sie ist sehr ambitioniert angegangen. Der ORF wird nach dem 10. April ganz anders ausschauen.

VN: Ist es Ihrer Meinung nach sinnvoll, die ZiB nicht mehr durchzuschalten?

Thurnher: Das war höchste Zeit. Damit wird ihr auch dieser offiziöse Amtscharakter genommen, der ihr immer ein wenig angehaftet hat.

VN: Wie nervös sind Sie nach zwölf Jahren noch im Umgang mit Politikern?

Thurnher: Gar nicht mehr. Ich vergleiche das immer mit einem Arzt, der bei seiner ersten Blinddarmoperation garantiert nervös ist. Nach zwölf Jahren aber ist das vorbei. So ähnlich geht's mir auch.

VN: Wie kann man verhindern, dass Interviews angesichts immer professioneller agierender Politiker nicht völlig flach werden?

Thurnher: Indem wir sie nicht flacher führen. Es wird schwieriger. Politiker werden zunehmend geschult und wollen nur noch ihre Messages transportieren. Dem müssen Journalisten vorbeugen.

VN: Im Zusammenhang mit der ORF-Reform ist oft von Aufbruchstimmung die Rede. Wie sehen Sie das?

Thurnher: Ich spüre meine eigene Aufbruchstimmung. Es wird überall an neuen Sendungen gearbeitet. Wir können in dieser Phase kreativ sein, etwas Neues ausprobieren. Diese Möglichkeit gibt es nur selten.

VN: Was hat sich seit dem Amtsantritt von Alexander Wrabetz als Generaldirektor geändert?

Thurnher: Es ist Gott sei Dank alles neu. Lassen Sie uns also nicht über vergossene Milch diskutieren.

VN: Spürt man eigentlich - wenn man so intensiv mit Medien arbeitet - von Zeit zu Zeit eine Nachrichtenverdrossenheit?

Thurnher: Manchmal denkt man sich schon, gerade wenn man eine Zeit im Ausland verbringt, dass sich keine Schraube weitergedreht hat. Man kommt sich manchmal vor wie in diesen Soap Operas, wo es reichen würde, eine Folge in der Woche anzuschauen und man würde nichts dramatisch Wichtiges versäumen.

VN: Würde also eine ZiB pro Woche reichen?

Thurnher: Nein, nein, ich bin mir ganz sicher, dass die ZiB keine Seifenoper ist.

VN: Was verbindet Sie heute noch mit dem Ländle?

Thurnher: Die Sprache. Innerhalb der Familie sprechen wir nur Dialekt. Ansonsten kann ich das mit keinem Vorarlberger, auch nicht mit dem Elmar Oberhauser. Wenn man mich fragt, woher ich komme, würde ich nie sagen, dass ich aus Wien stamme. Ich bin immer eine Vorarlbergerin gewesen. Die Liebe zum Bregenzerwald und zu Kässpätzle sind mir auch geblieben. Und wahrscheinlich schlummert in mir auch ein bisschen "Schaffa, schaffa, Hüsle baua". Ausschließen würde ich es nicht.

ZUR PERSON

Ingrid Thurnher

Moderatorin

Geboren: 6. Juli 1962 in Bludenz Ausbildung: Publizistik, Theaterwissenschaften-, Wirtschaftsstudium Laufbahn: Seit 1985 beim ORF, seit 1995 Präsentation der ZiB 2. Im Zuge der Programmreform wird Thurnher ab 10. April die ZiB 1 moderieren.

Die gebürtige Bludenzerin Ingrid Thurnher moderiert ab 10. April die ZiB 1.

2007/03/26