2008/12/30

Überraschung zu Jahresende

www.orf.at punktet mit beeindruckender bildergalerie. gewohnt reduziert, aber gut gemacht.

Einzig das Bild aus Amstetten sollte man sich sparen

Rechts, aber nicht radikal







bild flickr.com von musikdieb










Text Martin Gantner | © ZEIT ONLINE 30.12.2008 - 13:29 Uhr

Proteste wie in Griechenland? Nicht in Österreich. Jung und Alt protestieren in diesem Land nicht auf der Straße, sondern in der Wahlkabine. Ein Land, das den Konflikt scheut.



Der Regen blieb aus an diesem Donnerstag im Oktober 2007. Die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz steht auf dem Wiener Ballhausplatz zwischen Bundeskanzleramt und Präsidentschaftskanzlei. Es ist 19 Uhr, um sie herum knapp 100 Demonstranten. Streeruwitz spricht von einer „untergegangenen Kultur“ – kein Zweifel: Sie hat mit mehr Leuten, mehr Transparenten, mit einem deutlicheren Signal gegen Asyl- und Fremdenrechtspolitik der Großen Koalition gerechnet. Sie wird die von ihr mitorganisierte Demonstration bereits nach einer Viertelstunde wieder verlassen – mit den Worten: „Vielleicht muss man sich etwas Neues einfallen lassen.“

Es war der gescheiterte Versuch, eine Wiener Institution, die so genannte Donnerstags-Demo, wieder zu beleben. In den ersten beiden Jahren der schwarz-blauen Koalition, unter Beteiligung der Partei des tödlich verunglückten Jörg Haiders, gingen anfangs 10.000 Leute, später ein paar Wenige friedlich auf die Straße. Wöchentlich. 112 Donnerstage in Folge. Gegen Jörg Haider, Fremdenhass, die FPÖ, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und die ÖVP.

Dieser zwei Jahre dauernde, wöchentliche Spaziergang von Jung und Alt, Schülern, Studenten und Berufstätigen auf der Wiener Ringstraße gibt Aufschluss über die Verfasstheit dieses Landes, über das Verhältnis zwischen Bürgern und dem Staat. Sie erklärt, warum Ausschreitungen wie in Griechenland in Österreich nicht zu erwarten sind. Denn die Geschichte der Donnerstags-Demo erzählt auch eine Geschichte der österreichischen Zivilgesellschaft. Und diese liebt den Konsens mehr als den Konflikt.

Denn jene Donnerstage in den Jahren 2000 und 2001 waren die Ausnahme. Die österreichische Normalität sieht anders aus. Der Protest, auch jener junger Leute, findet in Österreich nicht auf der Straße, sondern in der Wahlkabine statt. Bei den Nationalratswahlen im Oktober haben 33 Prozent der Unter-30-Jährigen die Freiheitliche Partei (FPÖ) von Heinz Christian Strache gewählt. Ein Kantersieg für die Rechts- und Protestparteien.

Zusammen erreichten FPÖ und Haiders Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) gar 43 Prozent der Stimmen unter den Jungwählern. Bei ungelernten Arbeitern erreichten sie mit ihrer Mischung aus sozialer, stark ausländerfeindlicher und nationalistischer Politik überhaupt die absolute Mehrheit.

„Nein, Proteste wie im Jahr 2000 blieben dieses Mal aus.“ Birgit Sauer sitzt wenige hundert Meter vom Wiener Ballhausplatz entfernt im Neuen Institutsgebäude der Universität Wien. Sauer ist Politikwissenschaftlerin und lebt seit 13 Jahren in der Bundeshauptstadt. Ursprünglich kommt sie aus Deutschland. Sie sagt, die Ausdauer der Demonstranten vor bald sieben Jahren hätte auch sie überrascht. Denn speziell für Österreich waren diese Proteste ungewöhnlich. „Die Jugendkultur, soziale Bewegungen überhaupt, sind in Österreich immer mit ein wenig Verspätung eingetroffen.“

Die beiden Großparteien hatten es über Jahrzehnte verstanden, jedweden Protest aufzufangen und in Verbänden und politischen Vorfeldorganisationen zu kanalisieren. „In Österreich steht Verhandlung anstelle der Konfrontation. Es ist eine Frage der politischen Kultur.“ Streiks wie in Deutschland, Frankreich oder in Italien gibt es nicht. Und außerdem geht es den Österreichern gut: Die Arbeitslosenquote ist lange niedrig, die wirtschaftlichen Eckdaten stimmen zwar aufgrund der aktuellen Finanzkrise nicht optimistisch, aber doch weniger pessimistisch als andernorts.

Doch was war dann im Jahr 2000 passiert? Wieso währte dieser Protest einer jungen Zivilgesellschaft ganze zwei Jahre lang? „Es war ein Aufbruch gegen diese totale politische Vereinnahmung, die es lange in Österreich gab und die es heute wieder gibt“, sagt Kurt Wendt. Er war bei den meisten Donnerstags-Demos dabei und gilt neben anderen als deren Mitbegründer. Die Politik suchte damals erstmals den Konflikt mit Arbeitnehmervertretern, schloss sie von Gesetzgebungsprozessen aus. Subventionen im Kulturbereich wurden gekürzt. Kurz: Die Politiker brachen mit Traditionen. Die jungen Wähler taten es ihnen gleich.

Es entstanden in dieser Zeit viele neue Medien, informelle Netzwerke, Plattformen und Newsletter. Kanzler Schüssel sprach von den für die Proteste Verantwortlichen als der „Internetgeneration“. Mit Mund (Medien unabhängiger Nachrichtendienst) entstand gar eine Online-Tageszeitung. Auch www.gegenschwarzblau.net wurde damals von einer jungen Wohngemeinschaft ins Netz gestellt. Jede Woche donnerstags wollte sich diese „Internetgeneration“ auf der politischen Bühne Gehör verschaffen - doch nicht, wie bis zu diesem Zeitpunkt üblich, hinter barocken Türen verschiedener Ministerien, sondern auf der Straße.

Heute, sieben Jahre später, sagt Wendt: „Jetzt ist wieder Grabesruh in Österreich eingekehrt.“ Österreich hat wieder eine Große Koalition. Die Rechtsparteien sitzen auf der Oppositionsbank, Gewerkschafter sollen wieder verstärkt mitreden dürfen, die Studiengebühren werden abgeschafft und die Einigkeit der beiden Regierungsparteien wird von diesen selbst gebetsmühlenartig betont. Momente, die zu einer großen Demonstration oder zu Protest Anlass bieten würden, sind, nach Meinung Wendts, bislang ausgeblieben.

Das Resümee der Schriftstellerin Streeruwitz fällt weniger versöhnlich aus. Sie sagt, die Proteste seien damals von Politik und Polizei nur verwaltet worden. Kommunikation habe nicht stattgefunden. „Wien war politischer denn je.“ Doch die Dynamik sei verpufft, weil sie ins Leere lief. Und nach dem dritten Donnerstag hätten auch die Polizisten den Dreh heraußen gehabt: Sie wussten, wie man eine riesige Gruppe von Demonstranten durch die Stadt lotst, ohne dabei den Verkehr allzu sehr zu blockieren. „Heute würde ich sagen: Weil es die Donnerstags-Demos gegeben hat und weil sie zu nichts geführt haben, haben sie letztlich eine Entpolitisierung gebracht, eine ganz starke Melancholie.“

Das Signal, das von der Politik ausgesendet worden sei: Protest und Demonstrationen sind zwecklos. Die Botschaft scheint angekommen. Meinungsforscher betonen nach Nationalratswahlen in Österreich gerne: Die Wähler würden rechte Politik wählen, ohne selbst wirklich rechts zu sein. Noch immer sei vielen Österreichern die Große Koalition die liebste Regierungsform, doch die Wähler würden sich ein starkes Korrektiv wünschen. Und die innerparlamentarische Opposition, die beiden ausländerfeindlichen Parteien FPÖ und BZÖ sehen sie hierzu offenbar besser in der Lage als sich selbst.


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Jugend in Aufruhr

Jugendbewegungen finden wieder vermehrt auf der Straße statt, organisieren tun sie sich heute aber im Internet. Auf der Straße kam es zuletzt auch zur nackten Gewalt, wie in Athen oder zuvor den Pariser Banlieues. Aber wie politisch ist die Jugend heute? Gibt es politische Organisationsformen, Jugendidole? Was treibt sie? Eine Serie über Jugendbewegungen in Westeuropa und den USA.
Mehr hierzu auf ZEIT ONLINE

2008/12/25

"Sie wollten uns umlegen"










"Falter" Nr. 52/08

Ex-Spiegel-Chef Stefan Aust über die Gnade gegenüber RAF-Mördern und die Krise in der Medienlandschaft

Interview: Martin Gantner


Die blutige Geschichte des Kampfes der Roten Armee Fraktion gegen den Staat ist in sechzig Meter Aktenordnern im Polizeiarchiv gesammelt. Der langjährige Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust schrieb 1985 daraus "Der Baader-Meinhof-Komplex". Vor kurzem kam eine Verfilmung des Buches in die Kinos. Der Falter sprach mit Aust über das Phänomen RAF und die Krise in der Medienbranche.


Falter: Herr Aust, der wegen mehrfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilte RAF-Terrorist Christian Klar wurde eben freigelassen, obwohl er bis heute keine Reue zeigt. Was sagen Sie dazu?

Stefan Aust
: Wir haben in Deutschland glücklicherweise keine Todesstrafe. Eine lebenslange Haftstrafe ist in der Regel nach 26 Jahren beendet. Das ist richtig, weil man den Leuten auch die Chance geben soll, sich mit ihren Taten auseinanderzusetzen. Man darf für Terroristen keine Sondergesetze machen. Also muss das auch für einen politisch motivierten Mörder wie Klar gelten.

Ihm wird nun eine Gnade zuteil, die er selbst nicht walten ließ. Liegt darin ein demokratisches Moment, das seinen Ursprung in den Tagen des deutschen Terrorismus hat?

Aust: Der Staat hat sich in dieser Zeit im Großen und Ganzen rechtsstaatlich verhalten.

Der Staat hat also alles richtig gemacht?

Aust: Natürlich wurden für den Stammheimer Prozess eigens Gesetze gemacht, und die Polizei hat Befugnisse bekommen, die sie nicht hätte haben sollen. Aber aus der zeitlichen Perspektive betrachtet, passierte dies in einem rechtsstaatlichen Rahmen. Der Deutsche Herbst hat gezeigt, dass der Staat in der Lage ist, sich mit einer sehr ernsten Bedrohung auseinanderzusetzen.

Sie kannten Ulrike Meinhof von der Zeitschrift "konkret".

Aust: Sie war eine eindrucksvolle Persönlichkeit und konnte sehr gut argumentieren. Wenn sie in Redaktionskonferenzen etwas gesagt hat, wagte keiner zu widersprechen. Sie war von einer sehr festen politischen Grundüberzeugung, aber auch ideologisch starrsinnig und mit einem gewissen intellektuellen Hochmut ausgestattet. Sie hat Sekretärinnen behandelt, wie man das heute nicht mehr machen würde. Und ich glaube, dass sie depressiv war.

Ich hingegen war eher der bürgerliche Liberale in der Firma. Ich habe den Journalismus als Selbstzweck verstanden und nicht als Mittel zur Erreichung politischer Ziele.

Die Sprache der RAF war sehr monoton, mechanisch und emotionslos.

Aust: Es war eine Mischung aus politischem Soziologen-Kauderwelsch und Proletariatssprache. Der Versuch, Intellekt und Arbeiterklasse zu vereinen. Die Sprache ist wahnsinnig abstrakt und dadurch scheinbar bedeutungsvoll, in Wirklichkeit aber oft nichtssagend. Natürlich war die Sprache auch sehr kalt und emotionslos, weil man sich ja sonst der Ungeheuerlichkeit des eigenen Tuns bewusst sein hätte müssen. Die Terroristen begaben sich in die Position des Vollstreckers höherer Gewalt, in die Position der Geschichtsvollstrecker.

Ihnen wird gerne unterstellt, selbst einen Baader-Meinhof-Komplex zu haben, schließlich ist die RAF Ihr Lebensthema.

Aust: Ich habe viele Lebensthemen. Vielleicht hatte eher Gudrun Ensslin den Baader-Meinhof-Komplex. Ihr kann es nicht recht gewesen sein, dass die "Firmenbezeichnung" ihren Namen nicht beinhaltete. Der RAF-Terror hatte ja auch etwas von einer "heiligen Selbstverwirklichung", wie es Ensslins Vater einmal formulierte. Dann dürfte sie auch gewollt haben, dass ihr Name draufsteht.

Sie bestreiten, dass Sie der RAF erlegen sind. Was ist es dann, was sie so fasziniert hat über all die Jahre?

Aust: Es ist einfach eine wahnsinnig spannende Geschichte, andernfalls säßen wir beide jetzt nicht hier.

Sie haben auch die Töchter von Meinhof in Sizilien befreit, die als kleine Kinder in ein Terroristencamp nach Jordanien abgeschoben werden sollten. Wie kam es zu der Befreiungsaktion?

Aust: Ein Freund von mir, Peter Homann, wohnte damals mit Meinhof zusammen und geriet deswegen fälschlicherweise in Verdacht, an der Baader-Befreiung beteiligt gewesen zu sein. Und da er nicht zu Unrecht ins Gefängnis gehen wollte, hielt er es für schlauer, sich mit anderen in den Nahen Osten abzusetzen. Dort hat er erfahren, dass die siebenjährigen Zwillinge in ein Kindercamp der Fatah geschickt werden sollten. Später erfuhren wir, wo die Mädchen versteckt waren, ich flog nach Sizilien und habe die Kinder abgeholt. Das Codewort war "Professor Schnase".

Wieso?

Aust: Die Kinder hatten einen Gummifrosch als Spielzeug, den sie Professor Schnase nannten.

Die Aktion hätte Sie beinahe das Leben gekostet.

Aust: Eines Nachts kamen Andreas Baader und Horst Mahler und wollten uns umlegen. Wir wurden aber gewarnt und konnten die Wohnung über einen Seitenausgang verlassen.

Wird der Terrorismus der RAF in seiner Bedeutung für die deutsche Nachkriegsgeschichte überschätzt?

Aust: Der Terrorismus und der Deutsche Herbst stellten nach 1945 die bislang größte Bedrohung für den Staat dar. Das hat sich tief in das kollektive Bewusstsein der Deutschen eingefressen, ähnlich wie der 11. September in den USA.

Die Autorin Jilian Becker sprach auch von "Hitlers Kindern". Wie faschistisch war die RAF?

Aust: Die Menschenverachtung hatte Ähnlichkeit mit dem, was im Dritten Reich passiert ist. Andererseits sind die Terroristen auch ein Stück weit geprägt von dem Protest, der sich gegen die Nichtaufarbeitung der Nazivergangenheit ihrer Eltern gerichtet hat. Ich würde das Verhalten der Gruppe aber nicht als faschistisch bezeichnen, sondern von Menschenverachtung sprechen.

Im Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" steht ganz am Ende: "Hört auf, sie so zu sehen, wie sie nicht waren!" Wann haben Sie begonnen, die RAF zu sehen, wie sie war?

Aust: Mir war immer klar, wie die Sache ausgehen würde. Es hatte von Anfang an was absolut Mörderisches und Selbstmörderisches. Auch diese romantische Verklärung hab ich nie geteilt, zumal die eben auch mit gezogener Waffe vor meiner Wohnung gestanden haben.

Und das Bild in der Gesellschaft?

Aust: Spätestens mit den Bombenanschlägen und der Flugzeugentführung brach die Sympathie in sich zusammen. Da wurden in der Bevölkerung auch Rufe Richtung Todesstrafe laut.

In Sachen RAF bleibt die Frage, ob die Inhaftierten in der Nacht ihres Selbstmords abgehört wurden. Ob also die Behörden den Selbstmord hätten verhindern können.

Aust: Es waren ja Wanzen in den Zellen, auch wenn die Behörden immer behauptet haben, dass nur die Besucherzellen abgehört wurden. Das habe ich nie geglaubt, weil nicht die Gespräche zwischen Terroristen und Anwälten so interessant waren, sondern jene zwischen den Gefangenen. Es sprechen sehr viele Indizien dafür, aber nachgewiesen wurde es nicht.

Was sagt uns die Geschichte des Deutschen Herbst über den Terrorismus von heute?

Aust: Man muss daraus lernen, dass man nicht die Nerven verlieren, den Rechtsstaat nicht zerstören darf, um ihn zu erhalten. Die Einsicht, dass man nicht jedes neue Übel mit einem neuen Gesetz lösen kann. Der Blick in die USA, auf Guantánamo Bay, zeigt auch, was es heißen kann, wenn ein Präsident und seine Berater die Nerven verlieren.

Die Nerven dürften auch in der "Spiegel"-Redaktion öfter blankgelegen sein, als Sie noch Chefredakteur waren. Es heißt, die Redakteure fürchteten sich vor Ihrem rigiden Führungsstil.

Aust: Ich hab noch keinen getroffen, der sich vor mir gefürchtet hat. Wir erwarten schließlich von den Redakteuren, dass sie sich mit großen Firmen, mit Geheimdiensten, Regierungen und auch mit der Kanzlerin anlegen - da kann man doch keine Leute gebrauchen, die sich bereits vor dem Chefredakteur fürchten. Die wären beim Spiegel ohnedies falsch gewesen. Ich sage Ihnen: Wir haben mehr Geschichten gedruckt, die eigentlich nicht druckbar waren, als druckbare Geschichten nicht gedruckt.

Der "Spiegel" ist das einzige Unternehmen in Deutschland, in dem die Mitarbeiter aufgrund einer Firmenbeteiligung ihren Chef feuern können. Ist diese Konstellation sinnvoll?

Aust: Im Prinzip ja, wenn intelligente Leute gewählt werden. Die Konstruktion ist im Prinzip die richtige. Mit dieser Verantwortung muss man aber auch umgehen können.

Sie sagten einmal, Chefredakteur beim "Spiegel" zu sein, wäre der schönste Job. Fehlt er Ihnen?

Aust: Nein. Bücher schreiben und Filme machen ist eigentlich interessanter.

Es gab immer wieder Kritik, dass die rot-grüne Bundesregierung schon vor den Bundestagswahlen 2005 vom "Spiegel" niedergeschrieben wurde. War das ein Fehler?

Aust: Nein. Es waren mit die interessantesten Zeiten, in denen das Blatt seiner Rolle als kritischem Kontrollorgan gerecht wurde. Als Schröder Kanzler wurde, meinten manche, dass der Spiegel jetzt zum rot-grünen Hofberichterstatter würde. In dem Moment, wo wir deutlich machten, dass dem nicht so war, hieß es, wir würden die Regierung abzusägen versuchen. Wir sind mit der Regierung Schröder genauso kritisch umgegangen wie vorher mit der Regierung Kohl und später mit der Regierung Merkel.

Ist man für Politiker nur interessant, solange man Chefredakteur ist?

Aust: Natürlich. Ein Busfahrer ist für Sie auch nur in dem Moment von Interesse, wenn er den Bus fährt. Ich hatte eine bestimmte Funktion, und als diese stand ich auf verschiedenen Einladungslisten - als Chefredakteur eines bedeutenden Nachrichtenmagazins. Das war mir immer klar.

Von Beginn der Bundesrepublik an galt das Motto: Egal, was kommt, der "Spiegel" deckt es auf. Wird das Blatt diesem Anspruch heute noch gerecht ?

Aust: Ich glaube, der Spiegel ist heute nicht weniger bedeutsam als in den 50er-Jahren. Das kollektive Denken in diesem Land findet nach wie vor in dieser Zeitschrift statt. Das wird auch noch lange so sein.

Sind Sie sich da so sicher? Der Journalismus in Deutschland und in den USA ist schon jetzt stark von der Finanzkrise betroffen.

Aust: Krisen beschleunigen immer Trends, die ohnehin vorhanden sind. Schlecht geführte Unternehmen sind eben besonders anfällig für Krisen.

Auch beim "Spiegel" soll es Mitarbeiter geben, die das ganze Jahr über keine Zeile schreiben.

Aust: Das soll es geben.

Ist man da dann gut gerüstet für die Krise?

Aust: Sicher. Ich glaube, der Spiegel wird eine Krise besser überstehen können als andere Produkte am Markt.

Sehen Sie die Medienvielfalt durch die Einsparungen nicht in Gefahr?

Aust: Überhaupt nicht. Es gibt heute viel mehr Zeitschriften als noch vor 20 Jahren. Es ist im Gegenteil so, dass die Verlage in den vergangenen Jahren mit den Anzeigen so viel Geld verdient haben, dass sie immer neue Titel auf den Markt geworfen haben, nur um das Anzeigenvolumen auszuschöpfen. Dass es nun eine gewisse Marktbereinigung gibt und dass Titel eingestellt werden, ist normal.

In Österreich klagt man darüber, keine "Süddeutsche Zeitung" oder keinen "Spiegel" zu haben. Woran liegt das?

Aust: Es gab in Österreich mit dem profil immer ein Pendant zum Spiegel. Dann kamen hier wie dort neue Magazine auf den Markt. In Deutschland Focus und in Österreich News. Wir haben uns dann so positioniert, dass Focus uns nicht überholen konnte. In Österreich hat News profil übernommen. Das hätte analog in Deutschland auch passieren können. Ist es aber nicht.

Ihr Auflösungsvertrag als Chefredakteur läuft noch bis 31.12. 2008. Was bringt 2009?

Aust: Ich bin Journalist, und das werde ich auch weiterhin bleiben. Aber sonst keine weiteren Details.

Erinnern Sie sich eigentlich noch an Ihre erste Geschichte?

Aust: Nein. Ich habe anfangs wenig geschrieben, weil ich etwa bei der Schülerzeitung Leute hatte, die das besser konnten. Ich wollte immer Blatt machen, Ideen entwickeln, Titel und Zeilen texten. Das Schreiben musste ich mir mühsam aneignen. Das habe ich erst gelernt, als ich Filmtexte und Bücher verfasste. Jetzt geht es einigermaßen.


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Zur Person

Stefan Aust ist deutscher Journalist und RAF-Experte. Er war mit der späteren RAF-Terroristin Ulrike Meinhof Redakteur bei der Zeitschrift konkret. Von 1994 bis 2008 war der heute 62-Jährige Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Mit Ende des Jahres läuft sein Spiegel-Vertrag aus. Aust wurde aber bereits im Februar 2008 vom Chefredakteursposten freigestellt. Mitarbeiter warfen ihm damals schlechten Führungsstil und mangelnde Innovationen vor


foto www.falter.at

2008/12/24

Der Kampf der Roten Armee Fraktion gegen den deutschen Staat












"Falter" Nr. 52/08

Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin - Namen, die wie keine anderen für den Terror stehen, der Deutschland vor allem in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts im Griff hatte. 34 Morde, zahlreiche Banküberfälle, Bombenanschläge und eine Flugzeugentführung gehen auf das Konto der Roten Armee Fraktion, auch Baader-Meinhof-Gruppe genannt.

Ihr Terror richtet sich gegen Vietnamkrieg, Kapital, bürgerliches Leben und den nicht aufgearbeiteten Nationalsozialismus. Insgesamt drei Generationen, rund 60 Terroristen führen eine damals noch junge Republik an den Rand einer Staatskrise. Die Bilder des Terrors fanden Eingang in das kollektive Gedächtnis der Deutschen: der Radical Chic einer Gudrun Ensslin und eines Andreas Baader, mit Sonnenbrille und Zigarre im Gerichtssaal. Vor allem aber sind es Bilder wie jenes von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer, der von der RAF als Geisel genommen und ermordet wurde.

Der Höhepunkt des Terrors ist in den Monaten September und Oktober des Jahres 1977 erreicht - der Deutsche Herbst. Ziel ist, die RAF-Mitglieder der sogenannten Ersten Generation freizupressen. Meinhof beging bereits 1976 in ihrer Zelle Selbstmord.

Als am 18. Oktober 1977 die Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut in Mogadischu gewaltsam beendet wird, tun es ihr Baader, Ensslin und Raspe in Stammheim gleich. Der Journalist Stefan Aust schließt bis heute nicht aus, dass die Zelleninsassen in der Todesnacht belauscht wurden, ihr Selbstmord verhindert hätte werden können. Zu dieser Zeit tauchen erstmals prominente Namen wie Gerhard Schröder oder Otto Schily auf. Der spätere Bundeskanzler und Innenminister, beide SPD, waren Anwälte von RAF-Terroristen. Schröder vertrat Horst Mahler, Schily Gudrun Ensslin. Der Stoff wurde mehrmals verfilmt. Zuletzt unter der Regie von Uli Edel und Bernd Eichinger nach einer Buchvorlage von Stefan Aust.


foto auf www.flickr.com von yaratmak

2008/12/23

Die Krise verdirbt der Medienbranche die gute Laune

Zeitungen und Illustrierte


bild flickr.com von finistere




"Falter" Nr. 52/08


Die Situation ist pervers: Selten wurden Nachrichten so stark nachgefragt wie während der gegenwärtigen Finanzkrise. Gleichzeitig geht es den Zeitungen so schlecht wie lange nicht. Die Finanzkrise ist auch eine Medienkrise. Überall wird gespart, gekürzt oder umgesiedelt.

Die Probleme sind zum Teil altbekannt: Auflagenschwund durch das Internet sowie alte, unflexible Strukturen. Hinzu kommen immer niedrigere Anzeigenerlöse. Unternehmen sparen bei der Werbung und somit die Verleger beim Personal.

Die Betroffenen: renommierte Blätter wie Los Angeles Times, Chicago Tribune, Süddeutsche Zeitung oder Financial Times Deutschland. Die Verlagsgruppe Holtzbrinck muss bei Handelsblatt und Wirtschaftswoche sparen. Bei der Süddeutschen Zeitung ist ein deutlicher Stellenabbau geplant. Weitere 110 Mitarbeiter werden beim norddeutschen Verlag Gruner + Jahr (G+J hält 56 % an der Österreichischen News-Gruppe) eine Kündigung erhalten, Redaktionen in München und Köln werden geschlossen, 50 neue Stellen in Hamburg geschaffen. Einige Titel des Verlags sollen radikal umstrukturiert werden, Redakteure künftig für mehrere Produkte gleichzeitig arbeiten.

Die Essener WAZ-Gruppe will mindestens 30 Millionen Euro einsparen und den Umfang einiger Tageszeitungen reduzieren. Klassische Ressorts sollen aufgelöst und von zentralen "Content-Desks" beliefert werden. Etwa 260 Mitarbeiter könnten ihren Arbeitsplatz verlieren. Nicht nur Printmedien, auch die Fernsehbranche muss den Gürtel enger schnallen. Der ORF bastelt an einem Sparprogramm, die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft möchte 2009 zwanzig Millionen Franken weniger ausgeben.

Den deutschen Medien ist angesichts der Krise bereits das Feiern vergangen. Der Axel-Springer-Konzern, Herausgeber von Bild und Die Welt, hat kürzlich sämtliche Feiern, Empfänge und Galas im Jahr 2009 abgesagt.

2008/12/15

Porno, na und?














Von Martin Gantner | © ZEIT ONLINE 15.12.2008

Seit Jahren warnen Medien vor der "Generation Porno". Angeblich schwappt eine Welle von Sexsüchtigen übers Land, angetrieben durch leicht zugängliche Angebote im Internet. Auf Spurensuche zwischen Hysterie und Wirklichkeit.


"Ich habe als Teenie mit Selbstbefriedigung begonnen: hab Praline-Heftchen angekuckt, 'Eis-am-Stiel'-Videos geschaut. Doch mit dem Internet wurden auch harte Pornos täglich verfügbar."

Auftakt eines Gesprächs. Laurenz M.* ist 28 Jahre alt und hat soeben sein Studium abgeschlossen. Mathematik und Physik auf Lehramt. Das Gespräch mit ihm dauert eine Stunde. Er erzählt, wie sich sein Pornografie-Konsum allmählich gesteigert hat und wie er darunter gelitten hat, Tag für Tag vor seinem Computer zu sitzen und sich Pornos anzuschauen. "Die Videos wurden exzessiver im Inhalt. Harte Pornos mit allem drum und dran. Das Einfache hat irgendwann einfach nicht mehr gereicht."

Oft hält Laurenz inne, wägt ab und redet doch immer weiter. Er möchte anderen vermitteln, dass sie mit ihrem Problem nicht allein sind. Denn Laurenz und viele Experten sind sich sicher, dass "sie" viele sind. Viele, die bequem vom Schreibtisch aus ganze Nächte lang auf der Jagd nach dem perfekten Bild, dem perfekten Reiz sind.

Und verschiedenste Zahlen scheinen ihnen recht zu geben. Seit Jahren ist in den Medien die Rede von einer "Generation Porno", von einem Heer verrohter Jugendlicher und erwachsener Männer, die durch ihre Sucht abseits des Webs unfähig sind, Liebe und Sexualität erfüllt zu erleben, und die sich zunehmend selbst isolieren.

Volkssucht oder Hysterie?

Laut Internet Filter Reviews 2006 sind es inzwischen weltweit 72 Millionen User monatlich, die pornografische Seiten besuchen. Das Angebot steigt mit der Nachfrage. Täglich würden rund 266 neue Seiten mit pornografischem Inhalt ins Netz gestellt.

Laurenz merkte, dass die Online-Pornografie zu einem fixen Bestandteil seiner Sexualität wurde. Nach mehr als zehn Jahren meinte Laurenz, nicht mehr frei über sein Verhalten entscheiden zu können, und gestand sich ein: "Ja, ich bin süchtig."

Peer Briken will einer solchen Einschätzung nicht voreilig zustimmen. Briken arbeitet am Institut für Sexualforschung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Er sagt: "Die Wissenschaftler streiten schon lange darum, ob es sich bei solchen Phänomenen um eine Sucht handelt." Briken kennt Laurenz nicht und möchte sein Leid auch gar nicht in Abrede stellen. Wogegen sich Briken aber wehrt, ist die zunehmende mediale Hysterisierung, die in diesem Zusammenhang um sich greift.

"Wir wissen, dass es Menschen gibt, für die der Konsum von Pornografie problematisch und unter Umständen auch suchtähnlich werden kann. Andererseits ist das quantitative Ausmaß sexueller Aktivität allein kein hinreichender Maßstab für eine psychische Störung. Genau sagen kann man nicht, bei wie vielen Menschen ein Problem besteht. Empirische Daten fehlen." Briken vergleicht das mit der Debatte über die Wirkung von gewaltverherrlichenden Videospielen auf das Verhalten von Jugendlichen.

Gewissheit im Einzelfall sei weder bei Videospielen, noch beim Konsum von Pornografie gegeben. Die Scham der Betroffenen, offen über das Thema zu sprechen, ist enorm. Ein Effekt, der durch die aktuelle Berichterstattung noch verschärft wird.

Immer wieder wird der Eindruck vermittelt, Pornografie funktionierte im Netz wie eine Droge. Einmaliger Konsum könne genügen, um in Abhängigkeit zu geraten und um auf eigene perverse Neigungen aufmerksam zu werden, von denen man zuvor nichts wusste. Die Zeitschrift Emma hat in einer ihrer Ausgaben gar einen direkten Zusammenhang zwischen Online-Sexsucht und Pädophilie hergestellt. "Das Pornoangebot kann 'normale' Nutzer zu Pädophilen machen", heißt es in dem Artikel.

Seriöse Studien fehlen

Ein Rückschluss, den David Goecker nicht teilen kann. Goecker ist Mitarbeiter eines renommierten Projekts am Berliner Charité. In dem Projekt werden pädophile Männer therapiert. Die sexuelle Präferenz, sagt Goecker, liege bereits vor dem Konsum von Kinderpornografie vor.

"Inwieweit sich das sexuelle Verhalten eines Menschen durch den Konsum von Pornografie verändert, inwiefern Impulse auf das eigene Erleben von Sexualität übertragen werden, kann seriös nicht gesagt werden." Auch Laurenz kann diese Schlussfolgerungen nicht bestätigen. Er hatte auch neben dem Konsum von Pornografie noch regelmäßig Sex mit seiner Freundin. Mit Kinderpornografie kam er nie in Berührung.

Seit drei Monaten macht er nun eine Therapie mit Einzelgesprächen. Der Schritt an die Öffentlichkeit und die Gespräche in der Therapie haben ihm geholfen, mit seinem Problem umzugehen. Rückfälle hat es zwar gegeben, doch insgesamt schaut er wesentlich weniger Pornos.

Aber Laurenz muss sich vor sich selbst schützen: Der Computer ist mit speziellen Spamfiltern ausgestattet und wird überhaupt weniger genutzt. Er liest wieder mehr Bücher und zwingt sich abends, den Computer auszuschalten. Auch Computerspiele sind tabu. "Ich möchte meine Bedürfnisse im Griff haben", sagt er.

Doch die Frage bleibt: Sind Fälle wie jener von Laurenz Ausnahme oder Regel? Sind die Berichte von epidemischen Auswüchsen übertrieben? Der deutsch-österreichische Psychiater Richard von Krafft-Ebing beschrieb bereits Ende des 19. Jahrhunderts sich störend auswirkende Sexualitätsformen. In seiner Psychopathia sexualis schrieb Krafft-Ebing von einem "Geschlechtstrieb (...), der das ganze Denken und Fühlen in Beschlag nimmt, nichts anderes neben sich aufkommen lässt, (...) brunstartig nach Befriedigung verlangt, (..), sich mehr oder weniger impulsiv entäußert, (..) und gleichwohl, nach vollzogenem Geschlechtsakt nicht oder nur für kurze Zeit befriedigt".

Pornosuche als Symptom

Aber auch wenn die Sucht nach Sex sich schon damals ähnlich äußerte wie heute: Noch nie war es so einfach, an pornografisches Material zu kommen. Das wissen auch die Wissenschaftler Briken und Goecker. Doch "die Pornosuche im Netz ist meist nur ein Symptom", sagt Briken. "Oft liegen Bindungs- oder Beziehungsstörungen, manchmal auch Depressivität oder Ängste bei den Betroffenen vor."

Einig sind sich beide, dass der Konsum für erwachsene, in ihrer Sexualität gefestigte Personen auch durchaus unproblematisch und nutzvoll verwendet werden kann. Menschen mit suchtähnlichen Symptomen würden sicher nicht das Gros der Bevölkerung darstellen, auch wenn das immer wieder behauptet würde.

Die Öffentlichkeit der Sexualität

Unter Medizinern und Therapeuten ist es auch längst keine ausgemachte Sache, welche Diagnose und welche Therapieformen für die Betroffenen sinnvoll sind. Doch so viel steht fest: Viele, die sich selbst als sexsüchtig bezeichnen, sind es nach Einschätzung der Experten nicht. Laut Bricken gebe es eine Gruppe von Patienten, die man nach ausreichender Untersuchung einfach darüber aufzuklären sollte, dass ihr Verhalten in der Spannbreite des Normalen liege und dass sie nicht sexsüchtig seien. "Es dürfte vermutlich einfacher sein, dem Problem auf der Ebene des Individuums Abhilfe zu schaffen."

"Dass wir das Thema als so ein gewaltiges Problem wahrnehmen, steht auch für etwas anderes", sagt Bricken, "Sexualität wird heute einfach an sehr vielen Stellen, in den Medien und im öffentlichen Raum verhandelt. Es liegt meiner Ansicht nach an einem sehr voyeuristischen und exhibitionistischem Zugang zu dem Thema.“

*Name von der Redaktion geändert.



foto auf flickr von Sarah S Zanetti

2008/12/05

Ein Riese gerät ins Wanken

















Von Martin Gantner | © ZEIT ONLINE 5.12.2008

Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk droht in Österreich die Insolvenz. 1000 Stellen sollen abgebaut werden. Es ist die bislang größte Krise in der Geschichte des Senders


"Der österreichische Rundfunk sendet Nachrichten", lautet ein Uraltslogan des ORF. Man könnte hinzufügen: "In den letzten Wochen nur noch schlechte." Die Finanzkrise hat den Quasi-Monopolisten in Österreichs Rundfunklandschaft kalt erwischt: 100 Millionen Euro Schulden allein im Jahr 2008, weitere 30 Millionen sollen 2009 hinzukommen. Schuld an der derzeitigen Situation sind laut ORF-Geschäftsführung eine Troika aus Europameisterschaft, Olympischen Spielen und Finanzkrise. Durch Letztere verlor die Stiftung öffentlichen Rechts 20 Millionen Euro an Werbeeinnahmen. Auch die Wertpapiere des öffentlich-rechtlichen Senders haben stark unter der Wirtschaftskrise gelitten: Rund 40 Millionen Euro Verlust.


Was nun folgen soll, sorgt unternehmensintern für Aufregung. ORF-Chef Alexander Wrabetz kündigte ein umfassendes Sparpaket an, um den ORF vor der "Insolvenz" zu retten: Bis 2012 sollen 1000 der 3420 Stellen abgebaut und 300 Mitarbeiter in auszugliedernden Unternehmensteilen untergebracht werden. Facility-Management und Radio-Sinfonieorchester werden ausgelagert und auch der Standort am Küniglberg selbst steht zur Disposition. Fraglich ist laut Medienberichten außerdem, ob der ORF künftig – angesichts der hohen Kosten – die Rechte für Champions League, Formel 1 und Bundesliga weiterhin kaufen kann und will.

Dabei hatte vor zwei Jahren alles so viel versprechend begonnen. Als Wrabetz zum neuen Generaldirektor des ORF gewählt wurde, war ein Hauch Obamania in Österreich zu spüren. Er verkörperte den "Change" in einem Unternehmen, das Reformen bitter nötig hatte. Viel war im Frühjahr des Jahres 2006 von "Schwarzfunk" und "Kasernenhof" die Rede. Der ORF stand stark unter dem Einfluss der österreichischen Regierungsparteien. Mit Wrabetz gewann dann ein Außenseiter die Wahl zum neuen Chef des ORF.

"Er hat nun nahezu sein gesamtes Startkapital verspielt", sagt Gerhard Moser im Gespräch mit ZEIT ONLINE. Moser ist Zentralbetriebsratschef im ORF und steckt gerade in Lohnverhandlungen mit der Geschäftsführung. "Angst, Resignation und Wut", so beschreibt er die Stimmung in den einzelnen Redaktionen am Küniglberg. Noch vor vier Jahren hätte Wrabetz, damals als kaufmännischer Direktor, ein neues, fortschrittliches Dienstrecht maßgeblich mitgestaltet. Und eben jenes Dienstrecht steht nun wieder zur Disposition, ärgert sich Moser. Konkret müssen 300 Mitarbeiter mit einer Änderungskündigung rechnen. Das bedeutet, dass sie ihre Anstellung wieder verlieren sollen, um in der Folge weiterhin als freie Mitarbeiter für den ORF zu arbeiten. "Das ist neoliberale Wirtschaftspolitik."

Der Unmut ist seither enorm. Die Redakteure fürchten eine "Aushungerung redaktioneller Bereiche". Sie kritisieren, dass Wrabetz "zwar ausführlichste Vorstellungen zum Abbau hunderter Mitarbeiter und zur Verschlechterung von Verträgen - ausgenommen Direktorenverträge - präsentiert, aber keinerlei Vorstellungen zu grundsätzlichen Entwicklungen des Programmangebots". Problematisch könnte der Stellenabbau vor allem für junge Mitarbeiter werden, bei denen keine so hohe Vertragssicherheit gegeben ist wie bei alt gedienten Redakteuren, sagt Moser.

Das Kalkül dahinter: 2007 verrechnete der ORF durchschnittlich 92.000 Euro Personalkosten pro Mitarbeiter. Um einiges günstiger sind Beschäftigte in den ORF-Tochterunternehmen (durchschnittlich 35.000 Euro). Doch horrende Direktorengehälter und eine Jobgarantie für einen Programmdirektor, der maßgeblich für eine gescheiterte Programmreform verantwortlich gemacht wird, schwächen die Verhandlungsmacht von Wrabetz.

Moser hält die Gesprächsbasis mit der Geschäftsführung jedenfalls für "gestört". Viele Mitarbeiter nehmen dem ORF-Chef seinen Auftritt vergangene Woche noch immer übel. Ausgeleuchtet in einem Studio, in dem ansonsten das österreichische Pendant zu Deutschland sucht den Superstar produziert wird, überbrachte der ORF-Chef die Hiobsbotschaft via Intranet. In einem Separée anbei saßen Journalisten anderer Medien, um über die Sparpläne zu berichten. Seither wird die Zukunft des größten Mediums im Land öffentlich verhandelt. Selbst die Uraltidee einer Teilprivatisierung des ORF wurde wieder in den Ring geworfen. Ein Name, der in diesem Zusammenhang gerne genannt wird: Der jetzige RTL-Chef und frühere Generaldirektor des ORF Gerhard Zeiler. Doch Zeiler hat bereits öffentlich verlauten lassen, keinen der beiden ORF-Sender übernehmen zu wollen.

Falls es früher oder später tatsächlich zur Teilprivatisierung kommen sollte, böte sich auch Raiffeisen als Interessent an. Laut Tageszeitung Standard soll die Bank die Mehrheit an der ORF-Sendetechniktochter ORS übernehmen. "Wenn der ORF die Mehrheit abgibt, ist Raiffeisen bereit, diese zu übernehmen", wird ein Generaldirektor zitiert. Ob man sich auch den Kauf eines der beiden ORF-Sender vorstellen könne? "Ich schließe für die Zukunft nichts aus."

Doch soweit will es Moser gar nicht erst kommen lassen. "Der Betriebsrat hat durchaus fantasievolle Mitglieder und auch in der Belegschaft ist das kreative Potenzial groß." Und dieses Potenzial, so Moser, könne sich entweder am Verhandlungstisch oder in kreativen Protestmaßnahmen entfalten.


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Super Nannys im Vergleich















© ZEIT ONLINE 5.12.2008 - 11:00 Uhr

Der Kommunikationswissenschaftler Jürgen Grimm hat die deutsche Super Nanny mit denen aus Österreich und Großbritannien in einer Studie verglichen. Ein Interview


ZEIT ONLINE: Herr Grimm, wie unterscheidet sich die deutsche Nanny, Katharina Saalfrank, von ihren Kolleginnen in Großbritannien und Österreich?

Jürgen Grimm: Die britische Nanny ist von allen drei die wohl autoritärste mit den striktesten Erziehungsmaßnahmen. Sie arbeitet auch noch mit der sehr umstrittenen Maßnahme "Stille Treppe", also einem Ort, an den das Kind gebracht wird, wenn es rebelliert. Am wenigsten autoritär war die Nanny in Österreich, das Format wurde jedoch eingestellt. Die Super Nanny in Deutschland, Frau Saalfrank, befindet sich irgendwo dazwischen. Sie hat ihre Rolle im Laufe der Zeit auch anders angelegt.

ZEIT ONLINE: Zu welchem Ergebnis sind Sie in Ihrer Studie gekommen?

Grimm: Wir haben festgestellt, dass die Qualität der Ratschläge in diesen Sendungen besser ist, als es die kritische, öffentliche Debatte vermuten lässt. Die Super Nannys pflegen überwiegend einen demokratischen Erziehungsstil, der auch von einer Mehrheit der Pädagogen favorisiert wird. Wir haben auch die Reaktion des Publikums untersucht und ein klares Orientierungsbedürfnis festgestellt. Es geht weniger um Sensationslust, sondern um den Versuch, die dargestellten Situationen, die gegebenen Ratschläge und die eigene Lebenssituation miteinander zu vergleichen.

ZEIT ONLINE: Sind diese Sendungen also pädagogisch wertvoll?

Grimm: Sie können durchaus effektiv sein. Die Tatsache, dass vor Ort in den Familien agiert wird, scheint sehr sinnvoll zu sein. Aber auch die Gegenwart einer Kamera führt oft zu einer Reflexion der eigenen Situation. Die Beteiligten beginnen, über sich und die eigenen Probleme nachzudenken. Und das ist für die Veränderung einer problematischen Erziehungssituation durchaus förderlich.

ZEIT ONLINE: In Österreich wurde die Sendung jedoch abgesetzt.

Grimm: Warum das passiert ist, ist mir auch nicht völlig klar. Der Erfolg der Sendung hat in Wien auch dazu geführt, dass das Jugendamt das Konzept der Nanny aufgegriffen hat. Sandra Velásquez hilft hier mit, die Familienberatung zu reformieren. Sie hat Schulungen gegeben, um ihre Erfahrungen aus der Fernsehwelt mit den Mitarbeitern des Jugendamtes zu teilen.

ZEIT ONLINE: Die Sender leisten also erzieherische Maßnahmen?

Grimm: Natürlich geht es den Sendern erst einmal um Quote, aber in vielen Fällen können durch den Eingriff der Super Nanny die Familienverhältnisse verbessert werden. Wenn dann ein Fall scheitert, dann ist das keine Hiobsbotschaft. Diese Sendung kann sich über Widerstände und Probleme auch nur begrenzt hinwegsetzen. Es gibt auch für die Techniken der Super Nanny keine Erfolgsgarantie. Aber die Krise betrifft auch die professionelle Erziehungsberatung.

ZEIT ONLINE: Wo sehen Sie konkret Veränderungsbedarf am Format?

Grimm: Wir haben nach Veröffentlichung der Studie vor allem kritisiert, dass es eine starke Fixierung auf Mütter gibt. Väter spielten als Erzieher praktisch keine Rolle. Das hat sich verbessert. Ansonsten richtet sich die Kritik vor allem an einzelne Erziehungsratschläge, die erteilt werden: Beispielsweise steht bei der englischen Nanny die direkte Interaktion mit dem Kind stark im Vordergrund. Das hat manchmal einen sehr reglementierenden Charakter. In Österreich und Deutschland ist dahingegen die Arbeit mit den Eltern zentraler.

ZEIT ONLINE: Und aus Sicht der Teilnehmer?

Grimm: Es gibt einen Interessenskonflikt zwischen den Familien und den Zuschauern zu Hause. Für letztere bietet die Sendung vor allem Erfahrungsmaterial. Da ist es nicht entscheidend, ob vorbildhaft agiert wird oder nicht. Das Publikum macht sich seinen eigenen Reim auf die Sache. Wenn etwas schief läuft, ist es für die teilnehmenden Familien viel problematischer. Die Reaktionen sind daher auch sehr gemischt: Manche Teilnehmer waren wirklich begeistert und haben anschließend eine professionelle Beratung aufgesucht, andere wurden jedoch sehr enttäuscht.

ZEIT ONLINE: Worauf führen Sie den Erfolg der Reality-Formate zurück?

Grimm: Es gibt offenbar ein starkes Bedürfnis, gesellschaftliche Fragen öffentlich zu verhandeln. Die Sendung hat schließlich auch dazu geführt, dass das Erziehungsthema viel stärker diskutiert wurde. Im Gegensatz zu früher, als es nur öffentlich-rechtliche Sender gab, hat Fernsehen heute keinen bloßen erzieherischen Auftrag mehr. Es geht heute viel stärker um Bedürfnisse des Massenpublikums. Bildungsfernsehen ohne Frontalunterricht und ohne erzieherische Absicht.

ZEIT ONLINE: Sie sehen Reality-TV sozusagen stärker als Lebensberatung?

Grimm: Ja, auch ein Spielfilm bietet Orientierung. Man geht in die Figuren hinein und vergleicht sich mit ihnen. Das Publikum sucht ganz einfach nach Lösungsmöglichkeiten für ihre Probleme.

ZEIT ONLINE: Reality-TV wird ja immer wieder totgesagt. Zu früh?

Grimm: Ja, denn andernfalls müsste der Alltag selbst unproblematisch werden, was er aber nie wird. Es wird immer Situationen geben, in denen man sich behaupten muss, in denen man zu kämpfen hat und daher besteht auch immer Kommunikationsbedarf. Es hängt einzig von der Fantasie der Produzenten ab. Oft wissen die aber gar nicht, warum ihr Format erfolgreich ist oder nicht. Bei Big Brother hat sich das sehr schön gezeigt. Als nach der ersten Staffel die Quoten gesunken sind, haben sie versucht, mit mehr nackter Haut dagegenzuhalten. Das war aber exakt das, was nicht die Attraktivität des Programms für die Zuschauer ausgemacht hat. Der Vergleich mit der eigenen Lebenssituation hinkte dadurch auf einmal.

Fragen von Martin Gantner





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Jürgen Grimm

Jürgen Grimm ist seit 2004 Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien. Außerdem ist er Leiter des Methodenforums der Fakultät für Sozialwissenschaften. Er leitete eine Länder vergleichende Inhaltsanalyse der Super Nanny-Sendungen in Großbritannien, Deutschland und Österreich. Vor seiner Wiener Zeit lehrte und forschte Grimm an verschiedenen deutschen Universitäten.





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Profitabler Fußball in Krisenzeiten



















Von Martin Gantner | © ZEIT ONLINE 3.12.2008


Die TV-Rechte sind vergeben, der Spielplan wird geändert: Verlierer sind die Amateurfußballer. Für die Profiklubs könnte die Finanzkrise zur Gefahr werden


Vergangene Woche wurde es vollzogen: Die Deutsche Fußball Liga (DFL) kassiert in den kommenden vier Jahren satte 1,65 Milliarden Euro für die Fernsehrechte der Ersten und Zweiten Bundesliga. Das ist mehr als unter den widrigen Umständen erwartet worden war. Von Finanzkrise anscheinend keine Spur.

Im Gegenteil: Der Kontrakt spült den Profivereinen mit durchschnittlich 412 Millionen nach Angaben des Dachverbandes jährlich sogar sieben Millionen Euro mehr in die Kassen. Auch für die Fans vorm Fernseher bleibt prinzipiell alles beim Alten: Sie können sich Fußball wie bisher auf Premiere, ARD und ZDF anschauen.

Soweit so gut. Doch die neuen Gegebenheiten, allen voran die neuen "Salami"-Spielpläne, bringen auch Verlierer hervor: Frank Juchert, Vorsitzender des Bezirksligisten TuS Bodenteich macht sich Sorgen, weil ab der nächsten Saison ein Sonntagsspiel der Bundesliga um 15.30 Uhr angepfiffen wird und damit zur Kernzeit des Amateurfußballs. Die Allgemeine Zeitung zitiert aus einem Brief, den Juchert dem Vorsitzenden der Ehrenamtskommission des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Karl Rothmund, geschrieben hat: Das "Nebeneinander von Amateur- und Profifußball sichert den Amateuren Nachwuchs und Besucher, weil die Spiele nicht mit Übertragungen der Bundesliga kollidieren und dient der Kommunikation auf dem Sportplatz. Alles das wird durch eine Ausdehnung der Spielzeiten zerstört."

Letztlich sah sich auch DFB-Präsident Theo Zwanziger genötigt, laut über Ausgleichszahlungen für Amateurvereine nachzudenken: "Wird der Nachweis zweifelsfrei erbracht, sind für betroffene Vereine Ausgleichssysteme denkbar."

Unklar ist auch, was die neuen Verhältnisse für die Sportschau bedeuten werden. Zwar hat die ARD erstmals auch die Rechte für die Zusammenfassung der Sonntagsspiele erworben. Doch durch das neu eingeführte Spiel am Samstag um 18.30 Uhr, vermutlich oft ein Top-Spiel, bekommt die Sportschau zeitgleiche Konkurrenz auf Premiere.

Dirk Huefnagel hat die Entwicklungen der vergangenen Wochen sehr aufmerksam verfolgt. Huefnagel ist Vorsitzender der "S 20", der wichtigsten Interessenvertretung für Sponsoren in Deutschland. Seine Aufgabe ist es, Kunden wie adidas, Coca Cola, Telekom oder Toyota lukrative Sponsoring-Verträge zu verschaffen. "Das Samstagsspiel um 18.30 Uhr bei gleichzeitiger Zusammenfassung im Free-TV ist grundsätzlich eher kritisch zu sehen, da dies letztlich zulasten der Fans und eventuell auch der Sponsoren gehen könnte. Diese Entwicklung müssen wir genau beobachten." Verliert die Sportschau an Zuschauern, verlieren der Fußball und die Sponsoren an Reichweite.

Grundsätzlich begrüßt Huefnagel im Gespräch mit ZEIT ONLINE aber die Rechtevergabe und den neuen Spielplan. "Der Fußball wird auch weiter von der breiten Masse wahrgenommen werden." Wichtigste Währung für die Werber ist schließlich Öffentlichkeit. "Und neue Anstoßzeiten bieten die Möglichkeit, neue Sponsoring-Formate zu kreieren."

Von der Frage, wann ein Spiel wo gezeigt wird, hängen viele Dinge ab. Erläutern lässt sich das gut am FC Bayern München: Jürgen Klinsmanns Truppe ist seit Kurzem Nummer Eins in Europa – zumindest in der Frage, welche Mannschaft am meisten Geld für Trikotsponsoring erhält. Denn niemand gibt mehr Geld für Trikotwerbung aus als die Deutsche Telekom. Laut einer Studie des Kölner Instituts "Sport+Markt" erhält der Deutsche Meister 20 Millionen Euro für den Schriftzug auf den Trikots. "Sponsoren haben natürlich ein großes Interesse an der breiten Öffentlichkeit und daher an Formaten wie der Sportschau im Free-TV", sagt Stephan Schröder, Mitglied der Geschäftsführung "Sport+Markt".

Die Bundesliga liegt mit 102,9 Millionen Euro Sponsoring-Einnahmen deutlich vor ihrer Konkurrenz in anderen Ländern. Zum Vergleich: Englands Premiere League akquiriert 85,5 Millionen Euro, Spaniens Primera Division gar nur 42,2 Millionen Euro. Die Premiere League in England profitiert dagegen von traditionell hohen Einnahmen mit TV-Rechten, weit mehr als die Bundesliga.

Aus der Studie geht zudem hervor, dass die Finanz- und Versicherungsbranche mit 80,7 Millionen Euro europaweit am meisten Geld für Trikotsponsoring ausgibt. Nicht so in Deutschland. Zurzeit ist nur die Citibank bei Werder Bremen auf Spielertrikots zu finden. Versicherungen und Finanzdienstleister drucken ihre Namen in Deutschland nicht auf Trikots, sondern gleich auf ganze Stadien: Allianz Arena in München, der Signal Iduna Park in Dortmund, die Commerzbank-Arena in Frankfurt oder die Nordbank-Arena in Hamburg.

In Deutschland ist die Sponsoring-Landschaft breiter aufgestellt als in anderen Ländern, bestätigt Schröder. "Ich gehe aber dennoch davon aus, dass in den nächsten Jahren der ein oder andere Finanzdienstleister seine Verträge nicht mehr verlängern wird." Ein Grund, weshalb der europäische und auch der deutsche Fußballmarkt bis dato von der internationalen Finanzkrise noch nicht betroffen sind, liegt zum einen daran, dass Verträge längerfristig abgeschlossen werden und zum anderen an der Tatsache, dass Fußball nach wie vor eine der Topplattformen für Werbezwecke ist. "Aber die Gefahr besteht durchaus, dass, wie bei Sparmaßnahmen oft üblich, zuerst die Sponsoring-Verträge gekündigt werden, weil sie in ihrer Wirkung nur schwer messbar sind und hohe Streuverluste aufweisen.“ Für den deutschen Fußball könnte das Problem dann schlagender werden als für andere europäische Ligen.


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2008/12/02

Das Flex in Wien will nicht zusperren
















Newsletter
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JANFEBMARAPRMAIJUNJULAUGSEPOKTNOVDEZ 050607080910

ALLEFLEX FILESMEDIEN


Die polizeiliche Kulturarbeit im Flex

Seit August ist Schluss mit lustig. Beinahe täglich parken sich gegen 4 Uhr Polizeiautos und Busse vor dem Flex ein und kontrollieren die Einhaltung der gesetzlichen Barsperrstunde. Nun ist das Flex eigentlich keine Bar, sondern vielmehr ein Veranstaltungsort für moderne, urbane und alternative Musikgenres abseits von Kommerzhütten a la Praterdome und Nachtschicht. Genaugenommen, der erfolgreichste und beliebteste Club laut diversen Rankings, wie der 1. Platz als beliebtester Musik Club Österreichs im Radio FM4 Publikumsvoting 2007 belegt.

Besagte Kommerzdiscos haben selbstverständlich eine Sperrstundenerstreckung bis 6°°.
Diese wird dem Flex seit nunmehr 13 Jahren verweigert- von der Polizei als zuständige Behörde verweigert. Begründung: Das FLEX habe bereits die Sperrstunde übertreten und um das Lokal gäbe es zu viele Straftaten. Genaugenommen 600 polizeiliche Anzeigen im Zeitraum 1.Jänner 2008 bis September 2008, wegen Raubüberfall, Körperverletzung, Diebstahl, Drogenhandel und, und, und.

Dem möchten wir gar nicht widersprechen. Im Gegenteil: Die Dunkelziffer ist viel höher.
Gerade deswegen intervenieren wir vom Flex seit Jahren im Rathaus, dass die Polizei gegen die Drogenszene im Bereich Augartenbrücke und U- Bahn Station Schottenring vorgeht und unsere Gäste vor Übergriffen schützt. Genaugenommen begann der ganze Spuk vor 3 Jahren mit der Zerschlagung der "Drogenszene Schwedenplatz". Diese wurde dem Flex regelrecht vor die Haustür getrieben und es entwickelte sich im Bereich Augartenbrücke mangels polizeilicher Verfolgung eine Art Drogennaschmarkt inklusive Jahrmarktgeschrei.

Aufgrund unserer ständigen Beschwerden wurde ab Juli 2008 die Polizeiarbeit auf der Augartenbrücke und Umgebung intensiviert. Im Zuge dieser Offensive fiel einigen Inspektoren der alte leidige Flex Schwachpunkt, die Sperrstunde, wieder ein. Sogleich wurde dann täglich kontrolliert. Dabei kam es auch zu so absurden Situationen, wo die Dealer die ganze Nacht unbehelligt im Spalier beim Brückenabgang Heroin, Kokain, Ecstasy und Haschisch verkauften und die Polizei um 4°° mit 15 Mann das Flex schlossen und das oft in einem Tonfall, der allen Besuchern und Mitarbeitern das Gefühl geben musste, man sei böse und schlecht, wenn man überhaupt dort ist.

Selbstverständlich haben wir die Sperrstunde übertreten. Genaugenommen kann ein Club von der Grösse des Flex mit den vielen Künstlern, die sehr teuer eingeflogen werden ohne Sperrstundenverlängerung nicht überleben. Das ist genau der Punkt. Weite Teile des Polizeiapparates möchten das Flex gerne schliessen. Zumindest aber, uns das Leben so schwer wie möglich machen: Keine Dealerverfolgung ohne ständige Intervention und rigorose Sperrstundenkontrollen. Die Begleitkriminalität wird dem Flex in die Schuhe geschoben. Oft gehörter Satz von Polizisten: " Gäbe es kein Flex, gäbe es auch keine Drogen".
Jawohl, ohne Banken keine Banküberfälle und ohne Autos keine Autounfälle.

Diese polizeilichen Anfeindungen verfolgen uns seit 1993, als die Bauverhandlungen zur Errichtung des Flex stattfand. Seither fanden Dutzende Behördenverhandlungen statt.
Von der Polizei gab es ausschliesslich negative Stellungnahmen. Aufgestachelt vom damaligen leidenschaftlichen Flexgegner, ÖVP Berzirksvorsteher Dr. Richard Schmitz.

2008 etwas hat überlebt. Seit neuestem bekämpft auch die aktuelle ÖVP Bezirksvorsteherin Dr. Ursula Stenzel das Flex. Genaugenommen unterstützt Sie einen gewissen Dr. Johann Etienne Korab. Im Brotberuf Anwalt. Dieser wohnt neben der Polizeistation Deutschmeisterplatz und hat ein grosses Problem.

Erraten!! Dieses Problem heisst Flex. Seit nunmehr 3 Jahren arbeitet Herr Dr.Korab an seinem Projekt, das Flex zu schliessen. Mit beinahe biblischem Hass versucht er, Druck auf die Gemeinde Wien auszuüben, unseren Mietvertrag zu kündigen. Seine angebliche Motivation: Seinem Sohn, wurden bei der U-Station Schottenring Drogen angeboten, eine Kotzlacke vor seinem Haus, ein Kratzer in seinem Jaguar und die Tatsache, dass er von seiner wunderschönen Wohnung aus die Dealer nächtens an der Brücke stehen sieht. Daraus zieht er die Schlussfolgerung: Schuld an all dem ist das Flex.
Bloss, seine Wohnung liegt circa 500 Meter abseits des Flex und es gibt keinerlei Beweise, dass diese Delikte von Flexgästen verübt wurden.

Wir fordern daher:

Eine Sperrstundenerstreckung für das Flex bis 6°°, wie es für eine Musikweltstadt Wien würdig wäre!

Keine Polizeirepression gegen das Flex, sondern tägliche Verfolgung der Drogendealer im Bereich Augartenbrücke!

Thomas Eller
Flexgründer & Geschäftsführer



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2008/11/27

"Terror in dieser Dimension war nicht abzusehen"








































Christian Wagner ist Indien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Im Interview mit ZEIT ONLINE spricht er über Motive und Folgen der Anschläge




ZEIT ONLINE:
Angesichts der jüngsten Anschläge in Indien ist die Rede von einer neuen Qualität des Terrorismus. Wodurch zeichnet sich diese aus?

Christian Wagner: Die neue Qualität kommt daher, dass wir zum einen das erste Mal direkte Angriffe auf Ausländer, auf Touristen haben, zum anderen weil es vermutlich einheimische, indische Muslime sind, die diesen Terrroanschlag durchgeführt haben. Die Gruppe Deccan Mujahideen gab es zuvor noch nicht und ich vermute, sie gehört in das Umfeld der indischen Mujahedeen, die bereits in den letzten Wochen und Monaten für eine Reihe von kleineren Anschlägen in Delhi und in anderen Orten verantwortlich waren. Wenn es indische Muslime wären, dann würde das darauf hindeuten, dass sie Verbindungen haben zu internationalen Terrororganisationen. Vorbereitung, Durchführung, Logistik und Organisation sprechen dafür, dass wir es hier mit erfahrenen Terrorgruppen zu tun haben und das würde natürlich auf al-Quaida und auf islamistische Gruppen in Pakistan hindeuten.

ZEIT ONLINE: Wieso spricht man hier von der Handschrift von al-Quaida?

Wagner:
Zum einen, weil Ausländer und Touristen gezielt attackiert werden. al-Quaida hat Indien ja vor einigen Jahren den Krieg erklärt. Man will die Region Kaschmir befreien und die indische Union islamisieren. Hier aber ist es wohl vor allem der Angriff auf die westlichen Staatsbürger, der ein typisches al-Quaida-Merkmal aufweist.

ZEIT ONLINE:
Was sind das für Leute? Attentäter aus Indien selbst?

Wagner:
Das wird die große Frage sein. Die indische Regierung verweist ja auf Spuren, die außerhalb Indiens liegen. Was die Art und Weise der Durchführung anbelangt, kann das durchaus sein, aber es gibt auch die Diskussion in Indien, dass sich die Muslime in Indien selbst zunehmend radikalisiert haben und dass es vor allem unter der jüngeren Generation der Muslime hohe Unzufriedenheit gibt. Und wenn es militanten Gruppen gelingen sollte, aus diesem großen Reservoir Kämpfer zu rekrutieren, dann steht man hier wirklich vor einer neuen Qualität des Problems, einer neuen Qualität des Terrors.

ZEIT ONLINE:
Warum ausgerechnet jetzt?

Wagner: Es gibt eigentlich keinen ersichtlichen Grund. Diese Anschläge waren ja in der Vergangenheit immer wieder dazu gedacht, den Friedensprozess zwischen Indien und Pakistan zu torpedieren. Das hat nicht funktioniert. Wir haben gegenwärtig Landtagswahlen in Kaschmir. Für mich ist nicht eindeutig ersichtlich, weshalb die Anschläge ausgerechnet jetzt passiert sind.

ZEIT ONLINE:
15 Bombenanschläge in etwas mehr als fünf Jahren. War solch ein Anschlag absehbar oder gar zu verhindern?

Wagner: Es war vermutlich abzusehen, dass es in Indien eine Reihe von sozialen Konflikten gibt. Dass der Terror solch eine Dimension annimmt, war jedoch nicht abzusehen. Es gab und gibt einfach eine wachsende Unzufriedenheit bei den ärmeren Bevölkerungsgruppen, die nicht an den Früchten der Entwicklung der letzten Jahre beteiligt waren. Das stellt die indischen Sicherheitskräfte vor völlig neue Herausforderungen. Denn es gibt eine Vielzahl solcher Terrorgruppen, die nicht zu Verhandlungen bereit sind.

ZEIT ONLINE:
Wie sieht die Situation der muslimischen Minderheit in Indien aus?

Wagner:
Sie werden als gesellschaftliche Minderheit eher vernachlässigt. Das heißt sie haben weniger Zugang zu Bildung, Einkommen und Beschäftigung und somit haben sie weniger vom wirtschaftlichen Wachstum in den vergangenen Jahren profitiert.

ZEIT ONLINE: Wie funktioniert das Zusammenleben von Hindus und Moslems?

Wagner:
Es ist in den meisten Fällen ein friedliches Nebeneinander, aber es kommt im lokalen Kontext auch immer wieder zu Spannungen. Ich sehe auch nicht, dass sich die muslimische Minderheit mit den Terroristen solidarisiert. Es gibt einfach eine kleine Minderheit unter den Muslimen, die sich radikalisiert hat.

ZEIT ONLINE:
Welche Konsequenzen sehen sie für die muslimische Minderheit in Indien?

Wagner:
Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Tagen eine Reihe von Attacken auf Muslime in Bombay, aber auch in anderen Orten sehen werden. Es gibt in diesen Orten einfach die Tradition von religiösen Unruhen. So ein Anschlag schürt dann natürlich Rachegefühle seitens militanter Hindus.



ZEIT ONLINE:
Wie ist es zu bewerten, dass Pakistan sogleich die Zusammenarbeit auf geheimdienstlicher Ebene angeboten hat? Nach früheren Anschlägen stand Pakistan noch immer gleich unter Generalverdacht?

Wagner: Indien und Pakistan haben sich bereits vor einem Jahr dazu entschlossen, im Bereich des Terrorismus zusammenzuarbeiten. Das gelang bisher nur sehr schleppend. Es wäre natürlich eine völlig neue Qualität der bilateralen Beziehungen. Man wird abwarten müssen, ob die indische Regierung auf dieses Angebot eingehen wird. Beide Länder haben hier ja auch eine gemeinsame Sicherheitsbedrohung. Somit könnte es sein, dass dieser Anschlag gar den Prozess der Annäherung noch mal verstärkt, auch wenn das Ziel des Anschlags vermutlich war, diesen Prozess der Annäherung zu torpedieren.

ZEIT ONLINE: Ist also eine Beteiligung Pakistans an den Anschlägen auszuschließen?

Wagner:
Ich würde schon davon ausgehen, dass wir hier keine unmittelbare Beteiligung von pakistanischen Stellen vorliegt. Die Politik Pakistans zielt deutlicher als früher auf eine Annäherung mit Indien ab. Außerdem ist Pakistans Armee mittlerweile mit einem ähnlichen Problem an der Grenze zu Afghanistan konfrontiert. Und auch im Land selbst kommt es häufig zu terroristischen Angriffen von islamistischen Terrorgruppen. Daher glaube ich nicht, dass der Prozess der Annäherung beeinträchtigt wird. Im schlimmsten Fall wird es zu einer Pause in den Verhandlungen kommen.

ZEIT ONLINE: Muss man sich auf weitere Anschläge in nächster Zeit in Indien einstellen?

Wagner:
Ja, ich glaube wir werden noch eine Reihe von weiteren Anschlägen sehen. Nächstes Jahr sind Wahlen in Indien und das Thema "Innere Sicherheit" ist eines der beiden großen Themen neben der wirtschaftlichen Entwicklung. Und es gab ja bereits in den vergangenen Wochen immer wieder kleinere Anschläge, also ist davon auszugehen, dass wir weiterhin Terroranschläge in unterschiedlicher Form sehen werden. Vermutlich nicht in diesem Ausmaß.

ZEIT ONLINE:
Wie kann man sich Reaktionen von Hindus vorstellen. In Form von Übergriffen oder auch in Form von Anschlägen?

Wagner:
In Form von Übergriffen, eventuell auch in Form einzelner Anschläge. Man spricht in Indien mittlerweile auch von einem Hindu-Terrorismus. Hier wird man abwarten müssen, wie sich die militanten Hindus organisieren werden.

ZEIT ONLINE: Wie kann dem Problem in Indien Abhilfe geschaffen werden?

Wagner:
Wenn es indische Muslime waren, dann sind wohl die ökonomische Diskriminierung und die soziale Diskriminierung der Muslime für die Entwicklung verantwortlich. Dann müssten Entwicklungsmaßnahmen deutlich ausgeweitet werden. Das haben zwar Regierungen in der Vergangenheit immer wieder versprochen, aber wenig davon umgesetzt. Wenn es pakistanische Gruppen waren, denen es um die Torpedierung des Friedensprozesses ging, dann ist es vor allem ein Problem, das mit polizeilichen Mitteln bekämpft werden muss. Es könnte aber auch eine Mischung von beidem sein.

Die Fragen stellte Martin Gantner.


foto www.flickr.com von jusincase_ryc

2008/11/26

Die große Leere










© ZEIT ONLINE 26.11.2008




David Goecker arbeitet mit Menschen, die mit pädophilen Neigungen leben müssen. Ein Interview über Folgen und Motive des Konsums von Kinderpornografie



ZEIT ONLINE: Herr Goecker, was halten Sie von dem Vorschlag von Familienministerin Ursula von der Leyen, Websites mit kinderpornografischen Inhalten sperren zu lassen?

David Goecker: Ich begrüße den Vorschlag, weil zu hoffen ist, dass durch einen kleineren Markt auch weniger Kinder für die Herstellung pornografischen Materials sexuell missbraucht werden.


ZEIT ONLINE:
Das Problem hat durch das Internet eine neue Dynamik erhalten. Medien sprechen von einer "Generation Porno“, die Berichterstattung suggeriert, dass es auf einmal auch mehr pädophile Menschen gibt.

Goecker: In der Regel ist es so, dass die sexuelle Präferenz schon vor dem Konsum vorliegt. Auch wenn zahlreiche Betroffene glauben, erst durch den Konsum solcher Bilder pädophil geworden zu sein. In der Tat ist es aber so, dass pädosexuelle Wünsche zu dem Konsum von Kinderpornografie hinführen.


ZEIT ONLINE:
Hat der Konsum des Materials auch irgendwelche Auswirkungen auf das sexuelle Verhalten der Betroffenen?

Goecker: Wie sich der Konsum letztlich auf das Sexualverhalten auswirkt, das heißt, ob dadurch das Risiko eines realen sexuellen Übergriffs erhöht wird, darüber kann derzeit nur spekuliert werden.


ZEIT ONLINE:
Welche Rolle spielt der Konsum bei Pädophilen?

Goecker: Die meisten Pädophilen haben Erfahrungen mit kinderpornografischem Material. Es gibt einige, die schauen sich Unterhosen- oder Badehosen-Models an, andere betrachten Akt- und FKK-Bilder, wiederum andere jedoch auch sexuelle Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen.


ZEIT ONLINE:
Der kanadische Psychiater Norman Doidge sagt, die Mechanismen, die beim Konsum von Pornografie greifen, seien ähnlich wie das Phänomen des Pawlow´schen Hundes. Man würde konditioniert, verlange immer mehr und entdecke unter Umständen neue sexuelle Präferenzen.

Goecker: Das berichten auch teilweise Patienten von uns. Aber wenn man nicht pädophil ist, kann man noch so viel kinderpornografisches Material anschauen und wird in der Regel immer noch Abbildungen von Erwachsenen zur sexuellen Erregungssteigerung bevorzugen. Auf die sexuelle Präferenz hat der Konsum von Kinderpornografie vermutlich keine große Auswirkung. Dadurch dürfte es nicht mehr pädophile Menschen geben als zuvor. Es gibt einige, bei denen die Pädophilie nur einen Teil der sexuellen Präferenz ausmacht, die werden durch den Konsum möglicherweise eher auf ihr Verlangen aufmerksam gemacht.


ZEIT ONLINE:
Beschreiben Sie das Dilemma, in welchem sich Pädophile befinden.

Goecker: Es ist so, dass Pädophile ja keine Möglichkeit haben, ihre Sexualität mit dem gewünschten Sexualpartner, nämlich einem Kind, auszuleben. Sie fantasieren sexuelle Beziehungen mit Kindern und schauen sich kinderpornografische Bilder bis hin zum Orgasmus an. Allerdings hinterlässt das auch immer wieder ein Gefühl der Leere. Pädophile verlieben sich ja auch in die Kinder und wünschen sich eine Beziehung auf Augenhöhe mit ihnen. Diese Bedürfnisse werden durch den Konsum von Kinderpornografie aber nicht befriedigt. Und weil dieses Begehren unerfüllt bleibt, kann das auch dazu führen, dass der Konsum von kinderpornografischem Bildmaterial zunimmt.


ZEIT ONLINE: Leiden Pädophile unter Gewissensbissen?

Goecker: Es gibt einige Pädophile, die für sich eine Grenze gezogen haben und sich nur FKK-Bilder anschauen, aber dann gibt es auch einige, die sich sexuelle Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen anschauen und das Leid entweder ausblenden oder überhaupt leugnen. In einigen seltenen Fällen, wenn zusätzlich ein Sadismus vorliegt, kann das Leid der Kinder die sexuelle Erregung zusätzlich steigern.


ZEIT ONLINE: Pädophile Männer unterliegen ja oft der Vorstellung, die Kinder würden sich ebenfalls eine Beziehung zu ihnen wünschen. Wird das durch den Konsum noch weiter unterstützt?

Goecker: Wenn Pädophile sich Bilder mit sexuellen Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen anschauen, müssen sie sich dabei teilweise eingestehen, dass Kinder darunter leiden. Doch manche leugnen das auch, um sich sozusagen selbst zu schützen und den eigenen Konsum zu legitimieren.


Fragen von Martin Gantner




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Portrait

David Goecker

David Goecker ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Spezialist auf dem Gebiet der Sexualmedizin. Als solcher ist er als freier wissenschaftlicher Mitarbeiter in das Präventionsprojekt "Dunkelfeld" am Berliner Charité eingebunden und leitet in diesem Rahmen auch eine Therapiegruppe mit pädophilen Männern.

In dem nach Angaben der Klinik weltweit einmaligen Forschungsprojekt haben bisher rund 20 betroffene Männer, die sexuelle Neigungen gegenüber Kindern verspüren, eine Spezialtherapie beendet. Nach Ärzteangaben nahmen bei allen potentiellen Tätern Wahrnehmungsstörungen ab, wonach beispielsweise Kinder nach Sex verlangen.

2008/11/25

Viel Lob und ein wenig Tadel

Von Martin Gantner | © ZEIT ONLINE 25.11.2008


Der Vorschlag, kinderpornografische Seiten zu sperren, stößt auf Zustimmung. Gelöst ist das Problem jedoch nicht. Der Kampf kann nur an vielen Fronten gewonnen werden.




Mit dem Vorschlag, Seiten mit kinderpornografischen Inhalten sperren zu wollen, rennt Familienministerin Ursula von der Leyen offene Türen ein – bei anderen Parteien, Opferschutzorganisationen, Täterpräventionsstellen und verschiedenen Experten. "Ja wir begrüßen den Vorstoß", steht zu Beginn eines jeden Gesprächs, und am Ende dann ein leises "aber", das verdeutlichen will: Es kann nur ein Teil eines umfassenden Maßnahmenpakets sein, um Kinderpornografie effektiv entgegenzutreten. Denn der Kampf gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern im Internet ist ein Kampf an vielen Fronten. Die technische Front und die Frage, wie und ob solche Webblocking-Methoden greifen, ist nur eine unter vielen.


"Wir mähen den Rasen einmal ab, drehen uns um und stellen fest: Schon wieder alles nachgewachsen", sagt Peter Vogt. Vogt leitet die Zentralstelle zur Bekämpfung gewaltdarstellender und pornographischer Schriften in Sachsen-Anhalt. Er gilt als Koryphäe im Kampf gegen Kinderpornografie. "Wir haben gerade eine einschlägige Seite im Netz beobachtet: 49.000 Klicks in nur zehn Tagen. Die Nachfrage ist enorm."


Von der Leyen zitiert eine britische Studie, wonach 80 Prozent der betroffenen Kinder unter zehn Jahre alt sind, 33 Prozent unter drei und weitere zehn Prozent sogar jünger als zwei Jahre. Allein 2007 deckte die Polizei rund 9000 Fälle des Besitzes und der Beschaffung von einschlägigem Material auf. Und nun soll die „Datenautobahn für Kinderpornografie“ (Von der Leyen) geschlossen werden.


"Ich widerspreche niemandem, der den Kampf gegen Kinderpornografie aufnimmt, aber ich werde den Teufel tun und ihnen erklären, wie ich in 60 Sekunden solch eine Websperre umgangen habe", sagt Vogt. Er ist sicher, die Anbieter werden auf diese Strategien mit neuen Strategien antworten. "Aber das Leben wird Händlern und Konsumenten schwerer gemacht. Daher ist es auch eine gute Maßnahme. Denn jeder Klick zeigt den Anbietern: Hier ist ein Markt. Wenn weniger geklickt wird, werden auch weniger Kinder missbraucht."


Die Maßnahme wird den Brand bekämpfen, löschen kann es das Feuer nicht. Ein Grund hierfür ist, dass Kinderpornografie ein Markt ist, der mittlerweile zwar Milliardenumsätze generiert, der aber primär nicht monetär angetrieben wird. Korinna Kuhnen hat das Buch Kinderpornographie und Internet geschrieben und sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt. "Man schätzt, dass rund 70 Prozent der Täter Neigungstäter sind. Sie tauschen die Bilder untereinander unentgeltlich, verbreiten und konsumieren sie." Nur rund 30 Prozent des Konsums würden kommerzielle Angebote ausmachen.


Aber dass Leute pornografische Bilder von A nach B schicken, kann nicht verhindert werden. "Da machen wir uns was vor", sagt Vogt. Der Oberstaatsanwalt wurde viel kritisiert, weil er in einem Zeitungsinterview gesagt hat: "Wir haben den Kampf bereits verloren." Vogt steht weiterhin dazu. Bilder, die über Mail oder Chat gehandelt werden, könnten nicht verhindert werden. Einzig der industrielle Zweig kann und muss bekämpft werden. Und zwar schnell, denn das Problem hat an Schärfe gewonnen.


Vorbei sind die Zeiten, als komplizierte Briefkastensysteme und verklausulierte Zeitungsannoncen die Nachfrage nach Kinderpornografie zu befriedigen suchten. Heute genügen wenige Klicks am Schreibtisch. Und geklickt wird viel. Naiin ist eine Art Internetbeschwerdestelle, eine Initiative gegen Internet-Kriminalität. 75 Prozent der Beschwerden, knapp 20.000 jährlich, zeigen Seiten mit kinderpornografischen Inhalten an, sagt Dennis Grabowski.


Dass die Kinder immer jünger und die sexuellen Handlungen in ihrer Darstellung immer drastischer würden, wie Frau Von der Leyen behauptet, kann Grabowski "in der Tendenz bestätigen. Globalstatistiken gibt es aber keine." Auch er begrüßt die Initiative, nennt sie aber gleichzeitig, eine "Bankrotterklärung an Justiz und Politik". Deutschland würde durch das Gesetz zu einer Insel, an deren Grenzen kinderpornografischen Seiten die Einreise verboten wird. Die Inhalte bleiben im Netz, sie werden bloß vor deutschen Nutzern abgeschottet. Es bedeutet ein Eingeständnis, dass Kinderpornografie nicht unterbunden, sondern bestenfalls an immer neuen Fronten immer neu bekämpft werden kann.


Grabowski, Kuhnen und Vogt fordern daher zusätzliche Maßnahmen. Der Oberstaatsanwalt wünscht sich einen Schulterschluss mit der Kreditkartenwirtschaft: "Wir haben es bei Operation Mikado gesehen: Wir kamen weder an den Server, noch an Produzenten oder Konsumenten ran." Man suchte den Schulterschluss und fand jene, die sich die Bilder auf ihren Rechner geladen hatten. Über die Angaben der Kreditkartenfirmen wurde deutlich, wer einen bestimmten Betrag, wann auf ein bestimmtes Konto überwiesen hat. Kritiker sprachen von Rasterfahndung, Vogt sagt: "Den Neugierigen kann man durch Webblocking beikommen, pädophilen Konsumenten muss der Geldhahn abgedreht werden."


Auch Kuhnen dämpft die Erfolgsaussichten. "Zu sagen, ‘wir schließen die Datenautobahn für Kinderpornografie‘, ist purer Euphemismus." Finanzielle und personelle Engpässe bei der Auswertung von gesammelten Daten müssten behoben werden. Oftmals sei eine aktive Opferidentifizierung nicht möglich, und auch im Bereich der Täterprävention mangle es an Angeboten. "Denn Täterprävention heißt immer auch Opferprävention."

2008/11/24

Und täglich grüßen SPÖ und ÖVP

Von Martin Gantner | © ZEIT ONLINE 24.11.2008

Die Große Koalition ist neue alte Regierungsform in Österreich. Sie wird an ihrem Umgang mit dem rechten Lager gemessen werden müssen. Ein Kommentar


Nach 56 Tagen ist es so weit: Österreich hat eine neue Regierung, eine neuerliche rot-schwarze Koalition. Die einstigen Großparteien SPÖ und ÖVP haben sich am Sonntag auf Koalitionsprogramm und Ressortverteilung für die nächsten fünf Jahre geeinigt. Bundeskanzler wird der Chef der Sozialdemokratischen Partei Werner Faymann. Sein Vize, Parteichef der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), ist Josef Pröll.

Das erklärte Ziel der neuen Regierung heißt: es besser zu machen als die vorige Große Koalition unter Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ). Eine neue Form des Regierens, „Teamgeist und gute Zusammenarbeit“ sollen Österreich in Zeiten einer internationalen Finanzkrise führen, betonte Faymann auf einer Pressekonferenz. Man müsse der Politik zurückgeben, was ihr dringend Not tut: "Die Glaubwürdigkeit bei den Wählerinnen und Wählern."

Doch eine Regierung Faymann kann nicht nur an Bankenkrediten und Konjunkturpaketen gemessen werden. Ebenso ausschlaggebend wie ein neuer Stil, ein neues Miteinander zwischen SPÖ und ÖVP, wird auch der Umgang mit den wieder erstarkten Rechtsparteien FPÖ und BZÖ sein.

Zur Erinnerung: SPÖ und ÖVP erlitten bei der Wahl im September eine historische Niederlage. Beide landeten bei weniger als 30 Prozent der Stimmen. Das gespaltene rechte Lager kam gemeinsam auf annähernd gleich viel Stimmen wie der relative Wahlsieger SPÖ.

Das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) unter der Führung von Jörg Haider überholte gar die Grüne Partei. Haider selbst, der die österreichische Innenpolitik in den vergangenen 20 Jahren geprägt hat wie kein anderer Politiker, kam vor wenigen Wochen bei einem Autounfall ums Leben. Sein politisches Vermächtnis, populistische und ausländerfeindliche Politik, ist gemessen am Wahlergebnis lebendiger als je zuvor.

Den Regierungsmitgliedern stünde es angesichts dessen nicht schlecht an, würden sie sich zu Beginn der neuen Legislaturperiode die vergangenen 20 Monate noch einmal Revue passieren lassen. Der Erfolg der Rechtsparteien war nicht alleine das Verdienst von Haider oder Heinz Christian Strache (FPÖ), er ist vor allem auch der Politik von SPÖ und ÖVP verschuldet.

Beide Parteien sahen im vergangenen Wahlkampf davon ab, sich klar und eindeutig von den Parolen von FPÖ und BZÖ zu distanzieren. Im Gegenteil ließen sie sich Inhalte und Stil von Strache und Haider diktieren. Wie das Kaninchen vor der Schlange sprangen beide auf einen populistischen Kurs mit auf.

Die SPÖ ganz unverblümt, indem sie mittels Leserbrief in der Kronen Zeitung ihren EU-Kurs aufkündigte und sich künftig bei Vertragsränderungen für Volksabstimmungen im eigenen Land aussprach. Die ÖVP wollte mit einer schärferen Asylpolitik gefallen und verwies auf "Ausländergettos" in Wien.

Das Kalkül: Man wollte das nationalistische, EU-kritische Wählerpotenzial nicht den beiden Rechtsparteien überlassen und schon gar nicht dem direkten politischen Konkurrenten. Doch dieses Kalkül ist gescheitert. Das Dritte Lager mag gespalten sein, geschwächt ist es heute indes nicht.

Doch SPÖ und ÖVP hindert die gescheiterte Strategie nicht daran, weiterzumachen wie bisher. Im Gegenteil: Auf populistische, EU-feindliche Töne wird man auch in Zukunft bei beiden Parteien stoßen können. Sie werden weiterhin versuchen, am rechten Rand zu fischen und somit Inhalte und Stil der Rechtsparteien weiter legitimieren und salonfähig machen.

Die heikle EU-Frage, die im Juli noch für das endgültige Aus der Regierung gesorgt hatte, ist nun kein Hindernisgrund für eine Neuauflage der Großen Koalition. Die Frage wurde schlicht nicht eindeutig beantwortet und auf Eis gelegt.

Und auch die ÖVP scheint nur bedingt Lehren aus den vergangenen acht Jahren gezogen zu haben. Laut Tageszeitung Standard soll eine Gruppe rund um den ehemaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bis zuletzt versucht haben, BZÖ und FPÖ für eine neuerliche Koalition rechts der Mitte zu begeistern.

Bereits in der ersten Pressekonferenz nach der Wahl betonte Pröll, welch wichtige Rolle das Thema Sicherheit in der künftigen Regierung spielen werde, und kündigte eine „Sicherheitsoffensive“ an, damit sich die Menschen in Österreich auch in Zukunft nicht fürchten brauchen. Außerdem geht das zuletzt von der SPÖ liberal geführte Justizministerium an die Volkspartei. Verfassungsexperten sehen die Gewaltbalance im Rechtsstaat gefährdet, wenn eine Partei sowohl Innen- als auch Justizressort unter ihren Einfluss bringt. Wasser auf den Mühlen von BZÖ und FPÖ. Der politischen Glaubwürdigkeit ist damit nicht gedient.

2008/11/20

Bis in alle Ewigkeit






































Von Martin Gantner | © ZEIT ONLINE 20.11.2008


Der Tod ist sicher, nicht aber die letzte Ruhestätte - das zeigt der Diebstahl der Leiche Friedrich Karl Flicks. Friedhof, Weltraum und Almwiese im Sicherheitsvergleich



Den Unternehmer Karl Flick plagten in den letzten Jahren seines Lebens Sorgen um seine Sicherheit und die seiner Familie. Der Milliardär hatte allen Grund dazu: 1991 wurde der Bruder seiner Frau entführt. Die Entführer verlangten fünf Millionen Euro Lösegeld. Zur Übergabe kam es nicht, die Polizei konnte die Täter ausfindig machen und den Schwager befreien. Die Entführung ging glimpflich aus.


Bei Flick hat sie dennoch tiefe Spuren hinterlassen. Fortan überließ er nichts dem Zufall. Seine Villa am Wörthersee glich einer Festung, und seine Kinder wurden von Leibwächtern zur Schule gebracht. Zu sehr fürchtete er, seine Liebsten könnten ein weiteres Mal entführt werden.


Mehr als 15 Jahre später stehen die Kinder des einstigen Milliardärs erneut unter Personenschutz. Denn zwei Jahre nach seinem Tod wurde Flick selbst Opfer einer Entführung. Zu einem Zeitpunkt, da er sich dagegen nicht mehr schützen kann. So wie ihm ging es zuvor schon Pharaonen im alten Ägypten, aber auch Persönlichkeiten wie Charlie Chaplin und dem langjährigen sogenannten König der Mailänder Finanz, Enrico Cuccia.


In letzteren beiden Fällen wurden die gestohlenen Särge gefunden. Der von Chaplin vergraben in einem Acker in der Schweiz, und jener von Cuccia wenige Tage nach der Leichenfledderei im April 2001 in einer verlassenen Sennhütte in der Nähe von Turin. In beiden Fällen hatten die Diebe Lösegeld gefordert.


Auch wenn Millionäre und Milliardäre häufiger zu ihren Lebzeiten als nach dem Tod entführt werden, stellt sich die Frage, wie man der Leichenfledderei entgehen und einer sicheren letzten Ruhestätte gewiss sein kann.


Daniel Eickhoff glaubt zu wissen, wie das geht. Eickhoff ist Trauerberater bei Bestattungen Burger, einem bundesweit tätigen Unternehmen, das sich auf exklusive Bestattungsformen spezialisiert hat. Eickhoff sitzt im bayerischen Fürth. Er sagt: "Am sichersten ist die Bestattung im Weltraum. Wenn die gesamte Asche eines Menschen dort bestattet werden soll, kostet das 500.000 Euro.“


Posthum ins All kommt man allerdings auch billiger: 12.000 Euro kostet die Mini-Urne für etwa sieben Gramm Asche mit aufgedruckter Widmung. Der Abschuss des Bestattungssatelliten, der später wieder in die Erdatmosphäre eintritt und gleich einer Sternschnuppe verglüht, inklusive. Der Bayer würde in solchen Fällen mit Bestattungsunternehmen in Houston/Texas zusammenarbeiten – würde dieser Service nachgefragt werden, was bis heute noch nicht geschehen ist. Auch die Mondbestattung für 27.000 Euro, bei der die Asche des Verstorbenen auf der Mondoberfläche platziert wird, wollte noch niemand. "Bei dieser Bestattungsart ist eine lange Wartezeit für die Urne einzuplanen“, sagt Eickhoff. Aus Kostengründen werden in Houston Fahrgemeinschaften zum Mond gebildet.


Das schweizerische Unternehmen Algordanza mit Sitz in Chur bietet eine Diamantbestattung an. Aus dem Angehörigen wird ein einkarätiger, weißer oder bläulich schimmernder Diamant gefertigt. Dieser kann geschliffen an einer Kette um den Hals oder in einer Fassung am Finger getragen werden. Oder der Tote findet seine letzte Ruhestätte einfach im Safe der Familie. Hierzu wird der Kohlenstoff, der sich im Körper des Toten befindet, extrahiert, in Reaktoren zu Grafit umgewandelt, gereinigt und zu einem Diamanten gezüchtet. Das dauert knapp zwölf Wochen.


Auch Deutsche zeigen Interesse. "Unsere Kunden, die Hinterbliebenen, sind häufig mobil und haben keinen Bezug mehr zu Friedhöfen", sagt Eickhoff. 900 Menschen haben den Service im vergangenen Jahr nachgefragt, 15 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Je nachdem, wie hochkarätig der Diamant sein soll, kostet das zwischen 4600 und 13.200 Euro. Bis zu vier Diamanten können aus einem Toten gewonnen werden. Für den zweiten und jeden weiteren Stein reduziert sich der Preis um jeweils 352 Euro.


Rechtlich war diese Bestattungsform umstritten, denn in Deutschland herrscht Friedhofszwang. Ob Sarg oder Urne, beide gehören auf den Friedhof. "So wird der Tote aber nach Schweizer Recht bestattet. Die Rückführung als Diamant ist nicht strafbar, weil der Aschenanteil sehr gering ist.“ Eickhoff ist überzeugt: "Diese Bestattungsformen sind exklusiv und sicher.“


Wer sicher sein möchte, dass seine letzte Ruhestätte auch wirklich die letzte ist, dem bleibt nur das Exil im Orbit oder in der Schweiz. Eine Ballonbestattung in Holland oder eine Almwiesenbestattung in Österreich sind weitere Möglichkeiten. "Deutschland ist eines der letzten Länder in Europa mit Friedhofszwang.“


Für Erdbestattungen kann Eickhoff jedoch keine Garantien abgeben. Urnen werden in der Regel nur in 80 Zentimeter Tiefe vergraben, Särge aus Platzmangel oftmals übereinander gestapelt. Was Bestattungen Burger abseits von Diamanten, Mond- und Universumreisen bisher nicht anbietet, sind alarmgesicherte Gruften und Gräber.


foto/www.flickr.com/peterbreuer

2008/11/19

In der Piratenhochburg





























© ZEIT ONLINE 19.11.2008 - 14:04 Uhr

17 Schiffe und 340 Crewmitglieder gelten als vermisst. Völkerrecht und Europäische Union stoßen im Umgang mit Piraten an ihre Grenzen, sagt Expertin Kerstin Petretto



ZEIT ONLINE:
Frau Petretto, Sie beschäftigen sich viel mit Schiffsentführungen. Was sagen Ihnen die Entführungen in der Vergangenheit über die gegenwärtige?

Kerstin Petretto:
Solange Lösegeld gezahlt wird, verlaufen die meisten Entführungen unblutig. Ehemalige Geiseln berichten auch, dass ihre Entführer eher pfleglich mit ihnen umgegangen sind.


ZEIT ONLINE: Wie viele Leute sind derzeit in Gefangenschaft?

Petretto:
Etwa 340 Besatzungsmitglieder auf 17 Schiffen. Manche kommen nach einigen Wochen frei, andere nach wenigen Tagen. Im Fall der Sirius Star sieht es im Moment nicht so aus, als würde militärisch eingegriffen. Franzosen und Briten sind bereits hart gegen Piraten vorgegangen.

ZEIT ONLINE: Wieso also nicht auch in diesem Fall?

Petretto: Von militärischen Aktionen wird meistens abgesehen, weil es für die Entführungsopfer und wegen der Fracht viel zu gefährlich wäre. Das gilt auch für die Sirius Star. Würde die Situation eskalieren, könnte das aufgrund der Ölladung zur Katastrophe führen.

ZEIT ONLINE:
Wie verläuft eine solche Entführung für gewöhnlich?

Petretto:
Piraten nähern sich meistens nachts auf kleinen Booten. So werden sie nicht vom Radar erfasst. An Deck gelangen sie mit Enterhaken oder Leitern. Danach überwältigen sie die Crew. Die Sirius Star ist 330 Meter lang und 60 Meter breit, aber nur 25 Leute waren an Bord. Eine effektive Verteidigung ist da kaum möglich. Da liegt meines Erachtens auch eine große Verantwortung bei den Reedereien: Die Mannschaftsstärken wurden in den letzten Jahren immer weiter herabgesetzt.

ZEIT ONLINE:
Wie viele Piraten sind an so einer Entführung beteiligt?

Petretto:
Bei großen Entführungen können es bis zu 50 Piraten sein. Die Schiffe versuchen oft, durch Beschleunigung und durch Zickzackfahren zu entkommen. Doch die Piraten sind mittlerweile so gut ausgerüstet, dass dies nichts mehr nützt. Oft verfügen sie über Panzerabwehrraketen und Granaten.

ZEIT ONLINE: Welche Schiffe werden am meisten gekapert?

Petretto:
Meistens sind es Tanker und Containerschiffe, zum Teil Schiffe mit hochexplosiven Ladungen – auf ihnen ist die Besatzung aus Sicherheitsgründen nicht bewaffnet.

ZEIT ONLINE: Solche Schiffe können ja nicht vom Erdboden verschwinden. Wie geht es also weiter?

Petretto: Meistens ist klar, wo sich die Schiffe befinden. Es gibt beispielsweise einen Hafen in Eyl, in dem die meisten entführten Schiffe lagern. Das ist sozusagen die Piratenhochburg Somalias. Es kommt nur selten vor, dass Schiffe wirklich verschwinden. Es gab solche Fälle in Asien. Die Schiffe sind verschwunden und später mit neuem Namen, neuen Papieren und neuer Lackierung wieder aufgetaucht.

ZEIT ONLINE:
Von Verhaftungen ist bei Schiffsentführungen selten die Rede.

Petretto:
Die Entführer kommen in den meisten Fällen ungeschoren davon. Das hängt mit der politischen Situation in Somalia zusammen. Es gibt keine Gerichtsbarkeit und keine Strafverfolgungsbehörden, die den Kampf gegen die Piraten aufnehmen könnten.

ZEIT ONLINE: Man kann ja bereits von einem regelrechten Wirtschaftszweig sprechen. Wie lange ist das Problem schon so massiv?

Petretto:
Letztes Jahr nahmen die Entführungen bereits um zehn Prozent zu. Richtig angezogen hat es aber erst in diesem Jahr. 2008 gab es bislang allein vor Somalia 92 Attacken und 36 Entführungen.

ZEIT ONLINE:
Stößt das Völkerrecht im Umgang mit Piraten an seine Grenzen?

Petretto:
Die völkerrechtlichen Regeln sind derzeit unzureichend. Insbesondere die strafrechtliche Verfolgung ist nicht geklärt. Vor diesem Problem steht auch die Mission der Europäischen Union, die im Dezember beginnen soll und an der sich auch Deutschland mit einem Schiff beteiligen wird. Bislang ist die Regelung die, dass jeder Staat nach seinem nationalen Recht mit Piraten umgehen kann. Eine einheitliche Lösung wäre indes wünschenswert.

ZEIT ONLINE:
Mit welchen Problemen ist Somalia konfrontiert?

Petretto:
Es gibt seit 1991 keine Regierung und keine funktionierende Küstenwache. Verschiedene Gruppierungen kämpfen um die Macht. Wirtschaft und Infrastruktur liegen danieder. Und nachdem der Golf von Aden eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten ist, hat sich dieser regelrechte Wirtschaftszweig entwickelt. Solange die Situation an Land so prekär ist, wird es schwer, der Lage auf offener See Herr zu werden.

ZEIT ONLINE:
Was ist also zu tun?

Petretto:
An Land sind vor allem die Somalis selbst gefordert. Verhandlungsprozesse, die bereits stattfinden, müssen weiterhin unterstützt werden. Problematisch ist, dass Verhandlungen durch den Kampf gegen den Terror erschwert werden. Verschiedene Gruppierungen wie die Al Shabab werden von Gesprächen ausgeschlossen, weil sie des Terrorismus verdächtigt werden. Ohne sie wird es aber noch schwerer, eine Lösung zu finden.

ZEIT ONLINE:
Ist der Golf von Aden alternativenlos?

Petretto:
Man kann auch das Kap bei Südafrika umfahren, aber die Strecke ist etwa doppelt so lang. Das heißt: Die Kosten würden steigen, wohl auch für die Verbraucher. Ich fürchte, dass dieses Problem kurz- und mittelfristig nicht zu lösen ist. Geschützte Konvoifahrten können Abhilfe schaffen. Die müssen dann aber wirklich massiv geschützt sein.

Fragen Martin Gantner


foto auf www.flickr.com/unaone