2009/06/10
Die stille Revolution
Die Notebooks werden zum ständigen Begleiter. Ihre rasante Verbreitung hebt auch die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit auf
für Falter
Der Mann an der Buchausgabe der Österreichischen Nationalbibliothek zuckt angesichts der genervten Studentin unbeholfen mit den Schultern. „Tut mir leid, aber das Internet muss überlastet sein.“ Die Funkverbindung ist unterbrochen. Das Problem sind die zu vielen Studierenden, die alle gleichzeitig eines wollen: surfen – um zu lernen, um sich abzulenken oder um zu arbeiten. Die Welt dieses Bibliothekars besteht aus Lexika, Signaturen, Zettelkästen und Katalogen, mit Laptops, die ihren Weg ins Internet nicht finden und mit überlasteten Leitungen möchte er möglichst nichts zu tun haben. „Bitte wenden Sie sich an den Informationsschalter. Wir sind hier nur die Entlehnung und Buchrückgabe“, sagt er schon fast flehend.
Ob es dem Bibliothekar nun recht ist oder nicht, die vielzitierte digitale Revolution findet statt. Keine fünf Meter von der Buchrückgabe entfernt, hinter einer Glasschiebetür, kann man inmitten der größten Bibliothek Österreichs beobachten, wie sich unsere Gesellschaft in wenigen Jahren bereits verändert hat, und erahnen, wie sie sich weiter verändern wird: Zur Mittagszeit ist der große Lesesaal voll mit Studenten. Fast vor jedem der 200 Besucher steht ein technisches Gerät: größere Notebooks, mittelgroße Sub-Notebooks und die noch kleineren Netbooks. Daneben das Handy. Über allem das leise Surren der Prozessoren. So oder so ähnlich sehen die großen Bibliotheken der Ersten und Zweiten Welt heute aus – ganz gleich ob in Wien, Paris, Belgrad oder Tokio. Hier treffen Buchdruck- und Computergesellschaft aufeinander.
Noch vor 2004 gab es in der Nationalbibliothek einen eigens abgetrennten kleinen Raum, der ausschließlich für Computertätigkeiten vorgesehen war, erzählt Ingrid Tanzberger vom Informationsschalter. Besucher, die ungestört Bücher lesen wollten, sollten von Computerbenutzern nicht belästigt werden. Jene Spezies Bibliotheksbenutzer ist heute ein Exot, und die Beschwerden über das Laptopsurren und die Tippgeräusche werden seltener. Sogar die Nationalbibliothek selbst hat längst begonnen, ihre Bestände zu digitalisieren. Künftig werden neben historischen Zeitungen, Plakaten und Tonträgern etwa auch die Inhaltsverzeichnisse wissenschaftlicher Sammelwerke und die Webseiten von österreichischen Nachrichtenseiten gespeichert.
Doch Notebook-Besitzer prägen nicht nur das Bild an den Bibliotheken, auch aus Kaffeehäusern, Hörsälen, Zügen oder Parks sind arbeitende Jungunternehmer, vielbeschäftigte Geschäftsleute oder spielende Jugendliche nicht mehr wegzudenken. Rund 70 Prozent der österreichischen Haushalte verfügen über Breitbandanschluss, und knapp 30 Prozent der Bevölkerung nutzen mobiles Internet. Tendenz steigend. Dadurch und durch den raschen technologischen Wandel ist die Wahrscheinlichkeit, dass die kleinen Rechner im öffentlichen Raum noch präsenter werden, ausgesprochen groß. Zwar glaubt das Marktforschungsinstitut Gartner aus den USA, dass die gegenwärtige Wirtschaftskrise auch an der Computerindustrie nicht spurlos vorübergehen wird, dennoch sind die Absatzzahlen nach wie vor enorm: Das Institut rechnet für 2009 mit 257 Millionen verkauften Computern weltweit. Die Hoffnungen der IT-Branche ruhen auf mobilen Endgeräten, also vor allem auf Notebooks und den noch kleineren und deutlich billigeren Netbooks. Gerade Letztere erlebten im Vorjahr trotz oder gerade wegen der kleinen Bildschirmgröße (bis zu zehn Zoll) und des im Vergleich günstigeren Preises (zwischen 300 und 600 Euro) einen regelrechten Boom. Weltweit wurden zwölf Millionen solcher Netbooks verkauft. 2009 könnten es nach Einschätzungen der Experten bereits fast doppelt so viele sein.
Der Traum einer Wissensgesellschaft scheint mit Riesenschritten Realität zu werden. Wissen ist – zumindest in der Theorie – für jedermann jederzeit verfügbar. Doch ist eine Gesellschaft, die ständig kommuniziert, auch gezwungenermaßen eine klügere Gesellschaft? Oder aber macht die Vielzahl möglicher Kommunikationen – E-Mail, Twitter, Foren und Facebook – produktives Arbeiten und somit Wissen immer unwahrscheinlicher und uns selbst zu Knechten eines nie enden wollenden Kommunikationsstroms, dem sich zu entziehen immer schwerer fällt?
Der Blick in einen Hörsaal an der TU Wien bietet eine mögliche Antwort auf diese Fragen. Bereits mehr als die Hälfte der Studenten verfügt über Note- oder Netbook, um sich während der Vorlesungen Notizen zu machen, Unklarheiten zu beseitigen oder einfach nur um zu surfen. Peter Purgathofer lehrt am Institut für Gestaltungs- und Wirkungsforschung an der Technischen Universität Wien. Er weiß, dass ein Notebook allein einen Studenten noch nicht zwingend gescheiter machen muss: „Wir haben festgestellt, dass viele Studenten ihr Notebook mit in den Hörsaal nehmen, in der Hoffnung, es sinnvoll nutzen zu können. Das Problem: Es fehlte bislang an Angeboten, wie das funktionieren kann.“ Er entwickelte daher ein System, das es den Studierenden ermöglicht, in Echtzeit seine Folien öffentlich oder privat zu kommentieren, zu erweitern und später wieder darauf zurückzugreifen. „Das Ergebnis geht meist weit über das hinaus, was in der Vorlesung vorgetragen wurde. Schließlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass es unter meinen Studenten auch Leute gibt, die von dem, was ich gerade vortrage, in manchen Bereichen mehr verstehen als ich, sehr groß.“ Das Wissen eines einzelnen soll so gleichzeitig mit allen Studierenden geteilt werden können. „Der Computer und das Internet haben unsere Art zu lernen bereits radikal verändert. Studenten ahnen heute immer schon, dass Wissen auch abseits des Hörsaals permanent verfüg- und auch abrufbar ist.“
Dabei ist Technologie nicht immer nur ein Segen: Das mobile Büro kann zur echten Belastung werden – zur ständigen Verpflichtung, immer und überall erreichbar zu sein. Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit, Büro und Zuhause, Off- und Online verschwimmt dabei zusehends. Der Arbeitsplatz ist da, wo Empfang vorhanden und Strom verfügbar ist. Der Arbeitnehmer wird heute an der Schnelligkeit seiner Kommunikation gemessen. Ein moderner Büroarbeiter springt alle drei Minuten zu einer neuen Aufgabe. Die amerikanische Journalistin Maggie Jackson nennt dies „Klima der Ablenkung“, Psychologen sprechen von der „Continuous Partial Attention“: der Unfähigkeit, im Internet zur Ruhe zu kommen. Die Freiheit, sich am Notebook für viele Dinge gleichzeitig entscheiden zu können, wird nicht mehr als Freiheit, sondern als Belastung wahrgenommen. Der User als Getriebener seiner kommunikativen Möglichkeiten. Für viele Menschen, vor allem jene, die den Umgang mit Computer und Internet nicht von Kindesbeinen an gelernt haben, wird es dabei immer schwieriger, mit der Gleichzeitigkeit verschiedener Kommunikationsmöglichkeiten klarzukommen.
Nicht so für den Studenten Stephan Meier, der mit seinem richtigen Namen nicht in der Zeitung stehen will. Er steht in der Garderobe der Nationalbibliothek und steckt gerade sein kleines Notebook in den Rucksack: „Ich habe in den letzten Monaten hier erfolgreich meine Diplomarbeit geschrieben und dabei gleichzeitig so viele Filme runtergeladen, wie es mit meinem Zugang zuhause nie möglich gewesen wäre.“ Das Notebook war sein ständiger Begleiter in die Nationalbibliothek, und die Grenze zwischen Uni und Privatvergnügen verschwand. Es ist eine stille Revolution, meist nur als leises Surren vieler Prozessoren wahrnehmbar. Laut wird sie nur dann, wenn das Netz wieder einmal überlastet ist und vor dem Herren an der Buchrückgabe wütende Laptop-Besitzer stehen.
foto flickr.com von bernd.karrenbauer
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