2007/08/29

Gott, Salzburg, Gaskammer

"Falter" Nr. 35/07 vom 29.08.2007


ZEITGESCHICHTE In Salzburg tobt ein Streit um die angeblich braune Vergangenheit des renommierten Journalisten René Marcic. Die "Salzburger Nachrichten" sehen sich als Opfer einer "grotesken Nazijagd".

Salzburg, Weihnachten 1949. Seit vier Jahren herrscht Frieden im besetzten Österreich, das Land sucht seine neue Identität. In den damaligen Ausgaben der Salzburger Nachrichten kann man die Welt von einst aufspüren: Bei den Salzburger Festspielen dirigiert Wilhelm Furtwängler, dem die Amerikaner kurz nach dem Krieg wegen seiner Nähe zum Dritten Reich Berufsverbot erteilt hatten. Von einer "Weihnachtsamnestie für Kriegsverbrecher" ist in den Chronikspalten zu lesen. Und in einem Leitartikel schreibt SN-Herausgeber Gustav Canaval über das Wesen des Menschen, "vor dem wir zittern müssen, weil wir nimmer mehr wissen, was sein Hass verbunden mit seinem Können morgen über uns alle bringen kann".

Die Weihnachtsausgabe der SN hatte 1949 stolze 28 Seiten, es gab endlich wieder Inserate, auch ein Zeichen des kommenden Aufschwungs. Texte von Erich Kästner und Alfons Dalma wurden gedruckt, und einer des Redakteurs René Marcic. Der erörterte in einem Artikel mit dem Titel "Strahlungen und Gegenstrahlungen" die notwendige Hingabe zu Gott mit verstörenden Worten: "Wer über Gott und das Gebet Spott treibt, oder wer in Gott höchstens ein Es, jedoch keine Person, kein Du erfährt, der darf sich nicht wundern, wenn er die Abwertung seines Wesens am eigenen Leibe zu spüren bekommt und eines Tages in die Gaskammer gesteckt wird. Mendelssohn und seinesgleichen haben selber die Welt heraufbeschworen, von der sie dann verfolgt wurden." Ge-münzt war dieses Zitat auf den jüdischen Schriftsteller und Journalisten Peter de Mendelssohn, der ein Werk von Ernst Jünger verissen hatte.

Was wollte Marcic damit zum Ausdruck bringen? Dass jene die Gaskammer verdienen, die nicht an Gott glauben? Dass die Juden letztlich selbst schuld seien am Holocaust? Oder dass die Gaskammer droht, wenn Gott nicht mehr geehrt wird, weil dann die Welt nur noch des Teufels sei? Um Marcics Text wird heute noch heftig und leidenschaftlich gestritten. Denn der Journalist galt jahrzehntelang als einer der renommiertesten Publizisten Salzburgs. Landeshauptfrau Gabriele Burgstaller (SPÖ) sollte, geht es nach den Salzburger Nachrichten und der ÖVP, bald schon wieder einen Journalistenpreis verleihen, der nach Marcic benannt ist. Es ist ein staatlich finanzierter Preis.

Doch Burgstaller will die Verleihung des 7300-Euro-Preises erneut "ausfallen lassen" und eine Neugestaltung des Preises 2009 durchsetzen. Diesen Mittwoch wird Burgstaller jedoch einen Zwischenbericht einer Studie übergeben, die von der Jury des Marcic-Preises in Auftrag gegeben wurde. Michael Schmolke, Juryvorsitzender, sagt: "Bei einer Untersuchung der Texte Marcics zwischen 1946 und 1955 wurde kein vergleichbares Zitat gefunden."

Dennoch tobt ein Streit darum, ob ein Preis nach einem wie Marcic benannt werden kann. Nein, sagen Grüne und SPÖ, und stützen sich dabei auf die Forschungen des Wiener Universitätsprofessors Fritz Hausjell. Der machte bereits Ende der Achtzigerjahre auf Marcics Rolle während des Zweiten Weltkriegs aufmerksam. Während des Krieges war der gebürtige Wiener nämlich Presse- und Kulturreferent des klerikalfaschistischen UstasÇa-Regimes in Wien gewesen. Also jenes Regimes, das im Konzentrationslager Jasenovac in Kroatien - laut Zahlen des Simon-Wiesenthal-Zentrums - 600.000 Menschen ermorden ließ. "Marcic", sagt Hausjell, "war offizieller Vertreter des klerikalfaschistischen Kroatien in Wien, hatte aber keine hochrangige Position inne."

Ronald Barazon, ehemaliger Chefredakteur der bürgerlichen Salzburger Nachrichten, weist solche Kritik an Marcic hingegen zurück. Er warnt vor "gefährlichen und grotesken Nazijägern", welche nicht nur Marcic, sondern die ganze Zeitung in ein rechtes Eck stellen wollen, wo sie nicht hingehöre. In der Tat: Barazon betont in einer E-Mail an den Falter, selbst Jude zu sein, seine Verwandten wurden in Konzentrationslagern der Nazis ermordet. Der Herausgeber des Blattes, Maximilian Dasch jun., kritisiert das "links angehauchte Wiener Publizistikinstitut" und betont, Marcics Zitat sei "aus dem Zusammenhang gerissen".

Hausjell jedoch steht zu seiner Kritik. Er schlug vor, den Preis auf "Friederike- und-Stefan-Zweig-Preis für Europa und Frieden" umzubenennen. Ein Vorschlag, der Burgstaller zu gefallen scheint - zumindest signalisiert das ihr Büro. Doch die SPÖ koaliert mit der ÖVP, die sich gegen eine Umbenennung des Preises sträubt.

Der Kampf um Marcic offenbart etwas Grundsätzliches. Kann einer, der sich einem faschistischen Regime verpflichtet fühlte, ein geläuterter Demokrat, ein Vertreter der bürgerlichen Presse werden, nachdem heute noch Landespreise benannt werden? Marcic begann als Gerichtsreporter für die SN, er verließ das Blatt als Chefredakteur. In dieser Zeit engagierte er sich am Wiederaufbau der Universität Salzburg. In den Siebzigern machte sich Marcic einen Namen als Rechtsphilosoph an der Universität. In seinen Schriften predigte er den Widerstand gegen die Tyrannei. Michael Fischer, Assistent Marcics, beschreibt seinen Lehrer als "offenen und toleranten Universitätsprofessor". Er glaubt an einen Wandel, den Marcic über die Jahre durchgemacht habe. In seinen Büchern fänden sich keinerlei Hinweise auf neonazistisches Gedankengut. Den Grund, weshalb gerade die ÖVP und die bürgerliche SN an Marcic festhalten, glaubt Fischer zu kennen: "Marcic war ein klassischer Vordenker der Ära Lechner (Landeshauptmann von 1961 bis 1977, Anm. d. Red.) bis hin zur Ära Haslauer in den Siebzigerjahren."

Marcic glaubte, genau so wie Jünger, dass die Zukunft des Menschen von der Frage abhänge, ob der Mensch wieder glauben können wird oder nicht.

Ob aber die Ausführungen Marcics in all seinen Schriften bloße Fassade sind oder einen tatsächlichen inneren Wandel illustrieren, kann rückblickend schwer festgestellt werden. 1966, fünf Jahre vor seinem Tod, bat Marcic schriftlich um Verzeihung: "Ich bitte Sie und alle, die ich ahnungslos gekränkt habe, freilich allen voran: Peter de Mendelssohn, um Verzeihung. Ich wollte helfen, nicht kränken." Für die Publizistin Hilde Spiel, die Frau des angegriffenen Mendelssohn, war diese Entschuldigung nicht glaubwürdig. Spiel war mehrere Jahrzehnte mit Mendelssohn verheiratet und gilt als eine der publizistischen Größen Österreichs. Ein Jahr vor ihrem Tod, im Jahr 1989, erklärte sie in einem Interview mit Hausjell: "Bei aller Wandlung, die er vielleicht nachher durchgemacht hat, und bei allen Versuchen, sich dann als großer Moralist, christlicher Theoretiker und Verfechter des Naturrechts zu gerieren, bei all den Versuchen kann man nicht vergessen, wie sich dieser Mann nach dem Krieg geäußert hat. (...) Das sind Dinge, die in einem heutigen Österreich nicht mit einem Journalistenpreis verbunden sein sollten." Hausjell kann sich einen Wandel Marcics zwar vorstellen, "wenn aber immer argumentiert wird, das Zitat sei aus dem Zusammenhang gerissen, dann möge mir bitte jemand jenen Zusammenhang erklären, welcher solch eine Aussage und schließlich solch einen Preis rechtfertigt."

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