2008/05/15


Falter 20/08



Piraten a. D.


MEDIEN Seit zehn Jahren gibt es Privatradio in Österreich. Erkämpft wurde es auch von einer Gruppe junger Radiopiraten, die, von Hubschraubern gehetzt, im Wienerwald funkten. Eine Erinnerung.


Thomas Madersbacher sitzt in seinem Büro im siebten Bezirk, Dachgeschoß, Blick über Wien. Es ist schlicht eingerichtet, an der Wand ein Flachbildschirm, auf ihm läuft gotv - eine Erfindung von Madersbacher. Der gebürtige Tiroler trägt dezentes Schwarz, er überschlägt die Beine, blickt konzentriert zu Boden, wenn er sich erinnert, und erzählt - vom Leben eines Piraten in der kargen österreichischen Medienlandschaft Anfang der 90er-Jahre. Er spricht dann von Aktionismus, von medientheoretischen Diskursen, von gelebter Demokratie und Meinungsvielfalt. Irgendwann im Gespräch richtet er den Blick auf die verglaste Fensterfront und zeigt mit dem Finger auf Cobenzl und Kahlenberg. Madersbacher kennt die Gegenden gut, er saß in Baumkronen, installierte Antennen und beschallte Wien mit einem illegalen Radiosignal. Das Programm: Radio Boiler, 103,3 MHz. Einer von rund 30 illegalen Piratensendern. Madersbacher spricht von "massiven Verfolgungen durch Post und Polizei" und "von kriegsähnlichen Zuständen". Von einem tieffliegenden Hubschrauber sei er verfolgt worden. Madersbacher rannte vom Cobenzl bis nach Grinzing und entkam. Während in Europa Privatradio schon lange Normalität war, machten in Österreich bewaffnete Beamte Jagd auf Piraten.

Ende der 80er-Jahre gab es im Osten Österreichs keine Alternative zum ORF-Monopol: FS1 und FS2 im Kastl, Ö1 bis Ö3 im Radio. Das war's. "Man war schon froh, wenn man in Linz über Antenne ARD und ZDF schauen konnte oder wenn man das Glück hatte, in verkabelte Haushalte eingeladen zu werden. Das war noch was", erinnert sich Rüdiger Landgraf, Radiopirat der ersten Stunde, heute Programmchef von Kronehit-Radio. Zu einem Zeitpunkt, da dualer - also öffentlich-rechtlicher und privater Rundfunk - in Europa die Regel war, bildete Österreich mit einer ORF-Monokultur die Ausnahme: Privat-TV und privates Radio waren gesetzlich verboten. Erst seit zehn Jahren gibt es private Radiostationen und seit elf Jahren privates Fernsehen. "Freiwillig wurde in diesem Land noch nie Medienpolitik gemacht", sagt Madersbacher. Landgraf bemüht Berthold Brecht: "Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht." Die Piraten wurden aktiv - wider das Monopol, für Meinungsfreiheit und gelebte Demokratie. Spaßige Aufklärung, angereichert mit viel Adrenalin. Tote Briefkästen mit selbstgebastelten Sendern, konspirative Treffen im Café Rüdigerhof und in diversen Wohnungen in der Triester Straße und in der Rembrandtstraße, ständig Gefahr laufend, von Polizei und Post, die für die Frequenzen zuständig war, hopsgenommen zu werden. Hausdurchsuchungen standen auf der Tagesordnung. Zwischen 1991 und 1993 spielten Piraten und Gesetzeshüter Räuber und Gendarm. Die einen sendeten, die anderen peilten. Die Piraten wollten nicht akzeptieren, dass es in Österreich zwar möglich ist, Zeitungen zu verlegen, Privat- und freies Radio zu machen aber verboten sein soll. Eine illegale, bunte und bald bundesweite Radioszene war so entstanden. Von Radio Föhn in Vorarlberg bis Radio Hotzenplotz in Wien - insgesamt funkten 30 "Rundfunkanstalten" schwarz. "Jeder konnte mitmachen. Es war eine sehr pluralistische, undogmatische Struktur", erinnert sich Madersbacher.

Die Sender hießen Zorn, Boiler, Breifrei oder Radio Filzlaus, das erste Wiener Warmenradio. Ihre DJs gaben sich Synonyme, um unerkannt zu bleiben: Lotte Bonanza von Boiler, Hak Finn bei Radio Zorn und Luke Skywalker (Landgraf) bei Hotzenplotz. Die Themen waren ganz verschieden: Für die einen stand Musik im Vordergrund, für die anderen Politik, die Gleichstellung von Männern, Frauen oder Homosexuellen. Links-Linke, Marxisten, Feministinnen und Liberale gaben sich das Mikrofon in die Hand und sendeten über den Äther - auf 103,3 MHz.

Das war ein wenig Farbe in der grauen Radiowelt, in der es sich die Politik heimelig eingerichtet hatte. Seit Jahren war eine duale Medienlandschaft Thema in der Alpenrepublik, schließlich begann der deutsche Markt sukzessive heimische Werbegelder abzuschöpfen. Doch es blieb bei langen Diskussionen, die großen Koalitionen konnten sich nie auf ein Gesetz einigen. "Die bestehende Situation war für die Politik zu schön, schließlich hatte man das Medium unter Kontrolle", sagt Madersbacher und meint den nach den Gesetzen des Proporzes funktionierenden ORF. Landgraf glaubt, dass "sich vor allem die SPÖ vor privatem Kapital in den Medien gefürchtet hat. Man ging von einer enormen Meinungsbildungskraft des Radios aus". Konsequent nannte die Truppe um Landgraf, zu diesem Zeitpunkt Programmmacher von Radio Hotzenplotz ("wir suchten nach einem positiv besetzten Begriff für Illegalität"), ihren ersten Sender "Franzi" - Bundeskanzler Franz Vranitzky stand Pate, er galt den Piraten als "Betonierer", stellvertretend für alle anderen Politiker, die sich auf kein Gesetz einigen konnten. Franzi war ein 5-Watt-Sender, mit Endverstärker auf 40 Watt aufgemotzt - an Stereo war dabei nicht zu denken, doch für Mono reichte Franzi allemal.

Auch Doris Knecht war damals mit von der Partie. Die heutige Falter- und Kurier-Kolumnistin lebte in einer WG mit sechs anderen Piraten von Boiler, einer Truppe rund um Flex-Leute. Auch Madersbacher ging dort aus und ein. "Ein bisschen Post-68 und ein revolutionäres Ding", sagt sie heute. Damals begann sie einen Artikel für den Falter mit den Worten: "Der fünfte sonntägliche Livesendenachmittag der vereinigten Piraten Wiens hat mit der sofortigen und mehrheitlichen Ablehnung eines von irgendwem geforderten Alkoholverbots begonnen." Die Konsequenz: Man verlor mitunter an Deutlichkeit. Anlass zum Funkprotest war für sie, wie für viele andere auch, dass der ORF die "Musicbox" einstellte. "Dann gab es gar nichts mehr, wo unsere Musik gespielt wurde." Ein eigener Sender musste her. Am 31.3.1991 fand der erste Wiener Piratentag statt - die heiße Phase der Radiopiraterie begann. Polizei und Post waren überfordert. In den kommenden Monaten, bis Jahresende 1991, wurden 1400 Überstunden geschrieben, 6500 Kilometer mit Peilwägen der Post zurückgelegt. Hubschrauber kamen zum Einsatz.

Nicht ganz so viel Glück wie Madersbacher, der dem Hubschrauber entkam, hatte Wolfgang Hirner, heute Landesgeschäftsführer der Grünen in Salzburg und damals Gründer von Radio Bongo. Nach einer Sendung auf dem Untersberg rannte Hirner Richtung Stadt. Hinter ihm: ein Hubschrauber der Polizei, drinnen Polizisten mit Waffen im Anschlag. Hirner wurde mit einem Kollegen festgenommen. "Da ist mir das Lachen vergangen."

Das Spiel war dabei immer dasselbe: Piraten installieren eine Antenne auf einem möglichst hochgelegenen Punkt in oder um Wien. Zu Beginn der Schwarzfunkerei wurde hauptsächlich vom Wienerwald aus gesendet, später konnten die Piraten von den Universitäten aus on Air gehen. Anfangs sendete man einmal die Woche, nach einer gewissen Zeit gab es ein fixes Sendeschema: täglich von 17 bis 24 Uhr, am Wochenende schon ab 14 Uhr. Sobald man also eine vorproduzierte Sendung startete, die Kassette lief, musste man rennen, um den Beamten zu entkommen. Im Arsenal stellten die Angestellten der Funküberwachung derweil ein Signal auf ihrem Spektrenanalyzer fest, das da nicht hingehörte: jenes des Piratensenders. Obgleich sie auf den Analyzer auch hätten verzichten können, schließlich druckten Arbeiterzeitung und Standard das Piratenprogramm ab. Wurde dieses Signal festgestellt, wurde mit drei fixen Stationen in Wien eine Grobpeilung veranlasst, die Peilwägen der Post wurden losgeschickt, um die Piraten genauer zu lokalisieren. Die Piraten ihrerseits haben immer von wechselnden Standorten aus gesendet, um den Beamten das Leben schwerzumachen.

Gegen Ende der Piratenära, eine politische Einigung wurde immer konkreter, kam es dann zu einem "Gentlemen's Agreement" zwischen Piraten und Behörde. Seitens der Funküberwachung garantiert man freies Geleit trotz Schwarzfunk, im Gegenzug bekommen die Beamten einmal im Monat einen Sender überreicht - "eine österreichische Lösung", sagt Madersbacher.

Formal gesehen begingen Piraten eine Verwaltungsübertretung, ähnlich dem Falschparken. Das Problem: "Damals gab es noch unbedingte Haftstrafen bei Verwaltungsübertretungen", sagt Landgraf, "aber eingesperrt wurde meines Wissens niemand." Der Verstoß gegen das Fernmeldegesetz konnte bis zu 15.000 Schilling kosten. Insgesamt hat die Post bis Mitte 1993 rund 35 Sender beschlagnahmt. Diese kosteten ihrerseits auch einige tausend Schilling und wollten finanziert sein. Die Piraten führten also eine Piratensteuer ein. Auf Konzerten im Flex, der Arena und im Wuk wurden den Besuchern zehn Schilling abgeknöpft. "Die meisten haben auch brav gezahlt", erzählt Knecht. Das Geld wurde für Sender und Anwälte verwendet.

Und während die Piraten im Wienerwald von Bäumen sendeten, pendelten andere mehrmals die Woche zwischen Wien und Sopron (Antenne Austria) oder Wien und Bratislava. Georg Spatt ist einer von ihnen. Heute ist er Chef von Ö3, damals war er Chef von Radio CD, das von Bratislava aus Wien mit Musik versorgte. Ein slowakischer Staatssender, um die Bedürfnisse der Österreicher zu befriedigen. "Es war eine wilde Konstruktion: Österreichische Geschäftsleute, die mit der CÇSSR, dann mit der CÇSFR und schließlich mit dem slowakischen Rundfunk über Verträge festhalten, dass wir auf slowakischer Frequenz deutschsprachiges Programm für Österreich und die Slowakei machen." Ein Sender aus der ehemaligen Sowjetunion bot den Österreichern, was deren Staat nicht zu organisieren vermochte: Privatradio. Piraterie mit legalen Mitteln. Landgraf formuliert es so: "Die Leute von Radio CD waren keine echten Piraten. Die haben einfach eine Tatsache ausgenutzt, nämlich dass elektromagnetische Wellen auf österreichische Gesetze pfeifen." Die Motive der echten Piraten unterschieden sich tatsächlich von jenen der falschen. Radio CD ist von Beginn an als klassisches Privatradio konzipiert - mit Werbung und allem, was dazugehört. Den echten Piraten ging es dahingegen vor allem um politische Partizipation. Radio sollte jeder machen können. Die eine Szene hatte mit der anderen nichts zu tun. Doch die Zielrichtung war die gleiche: gegen das Establishment, gegen das Monopol, gegen den ORF. Und auch falsche Piraten erlebten Abenteuerliches. "Wir waren Gast in einem System, mit dem wir uns ständig arrangieren mussten." Spatt lebte eineinhalb Jahre in Bratislava, teilte sich eine WG mit anderen Radiomachern, im Schichtbetrieb pendelte er zwischen Wien und der Slowakei. "Es war ein ständiges Angewiesensein auf die Launen der Grenzkontrollen." Zigaretten und CDs im Gegenzug für zügiges Passieren waren keine Seltenheit.

Madersbacher beschreibt die Bedeutung beider - echter und falscher Piraten - heute so: "Es war eine Art Zangenbewegung. Haben die Piraten eher Druck auf die SPÖ ausgeübt, so waren die Privaten der ÖVP lästig." Letztlich war es eine Melange, die für die heutige Gesetzeslage verantwortlich ist - eine Melange aus ganzer und halber Piraterie, versehen mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Einige freie Radios hatten Österreich vor dem EGMR wegen Verletzung der freien Meinungsäußerung angeklagt. Gleichzeitig arbeitete die Pressuregroup "Freies Radio" Gesetzesentwürfe aus, die den Politikern übergeben wurden. Die Verurteilung durch den EGMR ist schlussendlich Anlass für die große Koalition, 1993 ein Regionalradiogesetz zu verabschieden. Doch selbst dann sollte es noch fünf weitere Jahre, bis 1998, dauern, ehe Privatradio tatsächlich möglich war. Heute, zehn Jahre später, fällt die Bilanz unterschiedlich aus: Es gibt zwölf freie, nicht kommerzielle und rund 50 private Radiostationen in ganz Österreich. Piraten von einst hören die Privaten von heute nicht so gerne. Die Privaten von heute sind grundsätzlich zufrieden mit der Situation: "Aus einem Monopol wurde ein Oligopol. Ich kann heute hier sitzen und werde nicht verfolgt. Private Firmen können Nachrichten machen. Es gibt Pluralismus, und die Menschen haben die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Sendern zu wählen. Vielleicht hat man sich vor einigen Jahren mehr erwartet", sagt Landgraf. Aber man dürfe nicht vergessen: "In Österreich hören 70 Prozent der Menschen Privatradio. Dummerweise hört die Hälfte von ihnen Ö3." Doch das wird sich ändern, ist sich Landgraf sicher. Piraten außer Dienst, aber nicht im Ruhestand.

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