2008/07/26

Ingrid Thurnher im Interview






erschienen in den VN, am 26.7.2008

„Man muss Fragen stellen, wie sie zu stellen sind“


Zwischen Elefanten und zwischen den Fronten. Ingrid Thurnher über österreichische Diskussionskultur, das mediale Auftreten des Noch-Kanzlers Alfred Gusenbauer und „unprofessionelle Kaffeesudleserei“.

Michael Frank von der Süddeutschen Zeitung meinte in einem Interview mit dem „Interview“-Magazin zum Thema „Inzestfall in Amstetten“: „Österreich ist das Königreich des Uneigentlichen.“ Es gebe keine Tradition mit Dingen offen umzugehen. Wie sehen Sie das?

Was die Sphäre des Politischen anbelangt, glaube ich nicht, dass es da in Österreich irgendwelche Hemmungen gibt, Dinge offen anzusprechen.

Als am siebten Juli die Neuwahlen angekündigt wurden und sie einen Runden Tisch leiteten, sagten sie in der Vorankündigung: „Wir freuen uns, da ist nämlich heute ausnahmsweise einmal mit klaren Worten zu rechnen."

Das war jener Runde Tisch, als die Journalisten eingeladen waren.

Ja, aber lassen österreichische Politiker „klare Worte“ oft vermissen?

Nein, aber sie sind gedrechselt und von Beratern vorformuliert. Ihre Antworten kommen halt selten aus dem Bauch, sondern sind vorher dreimal gedreht und gewendet und zurecht geschliffen worden. Aber das muss man halt wissen.

Wie kann man stereotype Antworten also unterbinden?

Indem man mit Fragen kontert. Man muss die Fragen so stellen, wie sie zu stellen sind und nicht selber in diese Drechselfalle tappen. Das ist, glaub ich, eine der schwierigsten Aufgaben in der Vorbereitung auf eine solche Konfrontation. Ich möchte das so machen wie beim letzten Mal: Gewisse Themenkreise hinlegen und da dann konkrete Antworten einfordern. Es soll klar sein, wo liegen Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Spitzenkandidaten.

Sieht man deutsche Diskussionssendungen entsteht der Eindruck, als wären die Politiker dort bereit, offener zu argumentieren und politische Zugeständnisse zu machen.

Das ist interessant, weil deutsche Kollegen berichten mir vom Gegenteil: Sie hätten das Gefühl, dass bei uns sehr viel mehr Diskussion möglich sei. Das ist schon sehr stark auch eine Frage der Wahrnehmung. Denn man muss schon auch eines sagen: Dass in Deutschland die Frau Bundeskanzlerin in einer Sendung zu Gast ist, kommt ja nicht oft vor. Bei uns schon eher. Aber Sie haben insofern Recht, als dass auch für uns die Situation immer schwieriger wird. Politiker gelangen immer häufiger zu der Auffassung, dass es ihnen lieber ist gar nicht zu kommen und die Auftritte so zu steuern, wie sie das selbst wollen – siehe Kronen Zeitung. Nach dem Motto: „Wir bestimmen, wann und wo wir welche Message platzieren.“

Ist es ein Fehler der Parteien, ihren Wahlkampf an wenigen symbolischen Dingen – wie Studiengebühren oder Abschaffung der Eurofighter – festzumachen?

Nein, das ist ja ganz logisch, dass dem so ist. Warum sollte jemand den Wahlkampf an etwas festmachen, was die Partei selbst nicht zu ihren Flaggschiffen kürt? In der Folge muss sich eine Partei auch an solchen Aussagen messen lassen. Der Umkehrschluss bedeutete ja, dass nur mehr sehr allgemeine Botschaften als Wahlkampfversprechen gegeben werden und dass nur noch sehr schwammig formuliert wird und irgendwelche Seifenblasen plakatiert werden, die keine messbare Kategorie enthalten. Aber ich kann mir vorstellen, dass sich die eine oder andere Partei aufgrund der Erfahrungen aus dem vergangenen Wahlkampf vor solch konkreten Versprechungen hüten wird.

Gleich die erste Begegnung zwischen BZÖ und FPÖ droht zu einer Schlammschlacht zu werden.

(lacht) Diese Befürchtung gab es auch letztes Mal schon.

Hat man da Sorge, dass einem so eine Diskussion entgleiten könnte?

Nein, eigentlich nicht. Weil beide wissen, dass sehr viele Menschen zuschauen werden und somit ist es für sie auch eine Möglichkeit, diese Menschen von ihren Ideen zu überzeugen. Ich kann nur hoffen, dass das bis zu einem gewissen Grad, in die Köpfe der Diskutierenden durchsickert. Ich erlebe das ja auch bei sehr vielen Diskussionen „Im Zentrum“, wo sich die Diskussionsteilnehmer im Anschluss beschweren, wie schrecklich das Diskussionsklima war, obwohl sie es ja selbst erzeugen. Niemand ist daran interessiert, dass es da wilde Schreiereien gibt.

Peter Westenthaler forderte in der Konfrontation 2006 die Deportation von 300.000 Illegalen aus Österreich. Überkommt sie nicht oft das Bedürfnis Aussagen in einer Sendung zu kommentieren?

Kommentierend im Sinne von „meine persönliche Meinung dazu abgeben“ sicher nicht. Denn das ist nicht mein Geschäft. Mein Geschäft ist, zu hinterfragen, wie sich der betreffende Politiker irgendwelche Dinge konkret vorstellt. Da müssen einfach Zahlen vorgelegt werden. Damit kann man dann auch sehr viel Emotion aus der Diskussion herausnehmen und zur Versachlichung beitragen.

Welche Themen werden ihrer Meinung nach eine besondere Rolle spielen?

Im Wesentlichen viele Themen, die auch im letzten Wahlkampf schon aktuell waren. Doch jetzt hört man ja, dass bei der Pflege mit dem Pflegegeld plötzlich etwas weitergehen soll. Da hab ich schon manchmal das Gefühl, dass allein die Ausrufung von Neuwahlen vieles ja doch plötzlich möglich zu machen scheint.

Werden die Konfrontationen ihrer Wirkung für den Wahlausgang überschätzt?

Das ist eine wirklich gute Frage.

Danke.

Nein, wirklich. Ich weiß es nicht. Vor einiger Zeit hat mir eine Studentin geschrieben, die über diese Frage eine Diplomarbeit schreiben möchte. Mich würde das wirklich selber interessieren. Aber ich denke mir, dass in diesem kurzen Wahlkampf diese Sendungen mehr Bedeutung haben könnten, als wenn ein Wahlkampf über Monate dauert.

Glauben sie, dass Alfred Gusenbauer bis zu einem gewissen Grad auch an den Medien gescheitert ist?

Ich habe mir gerade die Konfrontation von 2006 zwischen ihm und Heinz-Christian Strache angeschaut. Gusenbauer hat da einen ziemlich selbstbewussten Eindruck gemacht, der für mich damals auch ein wenig überraschend war. Es war ja auch so, dass Gusenbauer im Unterschied zu Wolfgang Schüssel bei allen Diskussionen selbst anwesend war. Er hat dabei nie unsicher gewirkt und war immer sehr klar in seinen Botschaften. Ich habe aber das Gefühl, dass ihm das mit der Zeit ein wenig verloren gegangen ist. Ob das für sein Scheitern maßgeblich war, weiß ich nicht. Ich denke mir aber, den Großteil hat schon seine eigene Partei besorgt.

Der ORF schreibt sich Objektivität auf die eigenen Fahnen. Haben Sie selbst auch eine subjektive, parteipolitische Meinung oder „nur“ eine politische?

Es gibt viele Leute, die mir ständig die Nähe zur einen oder anderen Partei unterstellen. Fakt ist, dass ich ungültig wähle, wenn ich die Wahl moderiere. Ich mach das ja auch nicht, um mir selbst eine Meinung zu bilden, sondern um dem Publikum zu helfen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Deshalb geh ich zwar in die Wahlkabine, gebe aber einen weißen Wahlzettel ab.

Moderatoren mit Migrationshintergrund sind in anderen öffentlich-rechtlichen Anstalten in Europa längst Normalität, nicht so im ORF.

Dem ORF ist glaub ich schon bewusst, dass in dieser Sache Nachholbedarf besteht.

Was glauben Sie wie in Österreich die Reaktionen ausfallen würden?

Ich glaube ganz normal. Für so etwas sollte eine reife Demokratie schon wirklich reif sein. Schon längst.

Sie haben ja selber eine Schauspielschule besucht. Welche Rolle würde denn zu Ihnen passen bzw. gehen sie noch ins Theater?

Ab und zu schon. Aber nicht mehr so häufig wie früher einmal. Als Schauspielstudentin hab ich immer gerne Rollen gespielt, die für mich damals viel zu alt waren. Zum Beispiel Virginia Woolf hab ich sehr gerne gehabt oder Musils „Schwärmer“. Die klassischen Liebhaberinnen-Rollen waren nicht so meins.

Mit welchem Argument wird Fritz Dinkhauser und Co die Teilnahme an einer Sendung verwehrt?

Ihnen wird die Teilnahme nicht verwehrt. Es gibt Zweierkonfrontationen zwischen den Parlamentsparteien und eine kleine Elefantenrunde zwischen jenen, die noch zusätzlich zur Wahl antreten. Ansonsten würden wir irgendwann bei 15 Konfrontationen landen. Und dann würde sich auch die Frage stellen: Wieso nur die Bundeslisten und nicht auch jene Parteien, die nur auf einer Landesliste kandidieren.

Wie wird die Wahl ausgehen?

Der Wahlkampf hat noch nicht begonnen. Noch ist alles offen. Insofern wäre das nur unprofessionelle Kaffeesudleserei.

Dachte ich mir, dass sie das sagen. Vielleicht wollen Sie mir aber verraten, wie die US-Wahl ausgeht?

Ich hoffe, dass Barack Obama gewinnt.


bild auf www.flickr.com von dmass

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