2008/08/17

tom waits - wolf im schafspelz, schaf im wolfspelz. ein konzertbericht

mailand - im juli. es kommt nicht oft vor, dass der mann aus kalifornien auf reisen geht. und weil man im alter nicht mehr ohne familie unterwegs sein mag, nimmt tom waits die seinige kurzerhand mit auf tour - ja sogar mit auf die bühne des teatro degli arcimboldi in mailand. die erwartungen sind hoch, wenn waits mit seinem bauchladen voll mit musik auf tour geht. neun jahre ist es her, im alten jahrtausend, als ich waits zum ersten mal sah. damals in florenz, einem theater mit roten samtsesseln und barocker anmutung. als damals das licht ausging, eine stunde später als angekündigt, brach das publikum in hysterie aus. ich dachte: jetzt ist es soweit. doch die menge feierte nicht den sänger waits, sondern den schauspieler begnini, der nach allen anderen seinen sitzplatz suchte und in den vorderen reihen fand. heute neun jahre später kommt waits wieder nach italien. glitter and doom. das theater nicht mehr ganz so barock wie in florenz. gediegen allemal. waits kommt wieder zu spät, auch wenn er schon seit tagen in der stadt ist. es ist der dritte abend, den er in mailand absolviert.




im finstern betritt er mit seinen musikern die bühne. das publikum rast vor begeisterung. ich rase mit. spot on. schwarzer anzug. waits, beide arme in der höhe, good evening, den hut in der einen hand, die finger der anderen gespreizt, thank you. eine dunkle erscheinung.
ein bisschen priester, wanderprediger, alter mann auf der walz. ein wolf im schafspelz und ein schaf im wolfspelz - das publikum nimmt dankenswerter weise alles zugleich. erster takt, waits stampft in den boden als stünde er nicht auf der bühne, sondern vor seinem haus in kalifornien . jeder tritt auf den boden lässt staub hochwirbeln, trockene erde, es hat lange nicht geregnet in kalifornien, lange nicht geregnet auf der bühne. lucinda/ain´t going down to the well no more. waits brüllt. das publikum jetzt andächtig und ein wenig verunsichert. er trifft die töne schlecht, als ließe die stimme nicht mehr die ganze bandbreite an höhen und tiefen zu. eine viertel stunde später ist dieses problem behoben. waits trifft und die tontechniker bekommen den priester in den griff.


waits wird an diesem abend lange singen. ebenso wie die abende zuvor. ebenso wie die abende danach. rund zwanzig stationen umfasst die tour glitter and doom, die in einer pressekonferenz angekündigt wurde, die so nie stattfand. . der alte waits inszeniert sich wie eh und je und dient dabei als projektionsfläche für alle wünsche, die an ihn gerichtet werden. er erzählt geschichten in und abseits der songs, frei erfunden, erfrischend komisch. erzählte sie der sitznachbar beim bier nach dem konzert, müsste man sich wohl ein lächeln abringen. waits erzählt den alltag mit tiefer stimme, dazwischen akkorde spielend, sodass der zuhörer dem sog nicht auskommt, die seine geschichten erzeugen. geschichten, die allesamt gelogen sind und schöne märchen erzählen. sie klingen süß like a chocolate jesus, sind schokolade fürs ohr. waits anzug ist bereits völlig nass, es ist heiß, der boden noch immer trocken, die kehle fleht nach ein klein wenig regen. waits schreit gen himmel make it rain, maaake it raiiiiiiiin und es regnet. am ende wird er seine arme wieder in den himmel strecken, alle finger gespreizt, thank you good evening. wir sagen danke.

fotos www.flickr.com von mv978, mr_mojorising

http://www.youtube.com/watch?v=EOrG1r3S6ZA

http://www.youtube.com/watch?v=ushHlD9v_m8

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