2009/04/21
Hybrid aus Hure und Söldner
Ein junger österreichischer Banker in London spricht über die Krise seiner Branche
Erschienen im FALTER
Wenn T. zu Bett geht, weiß er, wie die Börsen geschlossen haben, und er hat eine Vorstellung, wie sie am nächsten Tag öffnen werden. T. ist Banker bei einer internationalen Großbank in der City of London - neben der Wall Street das zweite Epizentrum des globalen Bebens. "London liegt unter einer Wolke der Depression", sagt T.
Es ist eine gänzlich andere Stadt als jene, die er vor drei Jahren kennengelernt hat, als er hierherzog. Die Stadt an der Themse war der Big Apple Europas. "Du hattest die Möglichkeit, in wenigen Jahren sehr viel zu arbeiten und noch mehr zu verdienen." Junge Universitätsabsolventen aus ganz Europa folgten diesem Versprechen in die britische Hauptstadt. "Alle glaubten, es ginge nur nach oben." Für einige Jahre sollte dies auch stimmen. T. arbeitet oft 120 Stunden an sieben Tagen in der Woche. Oft verlässt T. seinen Terminal mit mehreren Bildschirmen erst nach Mitternacht. An Tagen, an denen weniger los ist, gehen er und seine Kollegen in Anzug und Krawatte ins gegenüberliegende Pub. Sie trinken ein, zwei Bier und schauen Fußball. In den vergangenen Monaten gab es öfter Bier, die Arbeit wurde weniger. "Die Luft ist draußen", sagt T. Die Krise mag in den USA ihren Anfang genommen haben, doch in Zeiten einer internationalen Finanzarchitektur ist New York gleich London und London gleich Tokio.
Der 29. September 2008 bereitete T.s Team besonderes Kopfzerbrechen. An jenem Tag gab es nur ein Thema in der Morgenbesprechung: den Staatsbankrott Islands. Erst ein Notkredit des Internationalen Währungsfonds konnte die drohende Insolvenz der Insel abwenden. Ab nun war klar: Die Krise ist in Europa angekommen, und sie wurde immer mehr auch zu einer Krise einer ganzen Branche.
Mit den riskanten Derivaten und "strukturierten Produkten", die für die Krise verantwortlich gemacht werden, habe er nichts zu tun gehabt, sagt der Wiener. Er ist für Unternehmensfinanzierung zuständig. Deutsche Industrieunternehmen oder Städte wie Wien wenden sich an den 27-Jährigen, wenn sie Geld benötigen. Im Handumdrehen organisiert er eine Milliarde Euro am Kapitalmarkt. "Es ist ein spannender, abwechslungsreicher Job. Du drehst an einem großen Rad und übernimmst Verantwortung." Das Team, in dem er arbeitet, ist jung, keiner älter als 35 Jahre, eine eingeschworene Truppe. Sein Erfolg bemisst sich an schwierigen Transaktionen, die er im Markt durchbringt, an neuen Lösungen, die er für Kunden findet, und am Gehalt, das er verdient. "Es war wie im Sport", sagt T., "die Saison lief gut, du hast immer gewonnen. Eine einzige, riesige Party."
Schon während des Studiums wollte er nach London. Der Wunsch brachte den Verzicht auf Reisen in den Sommermonaten und dreimonatige Praktika bei Banken in Deutschland und in der Schweiz mit sich. Von der letzten Prüfung zum Praktikum und wieder zurück auf die Universität. Auf die Bewerbung folgten Workshops in Wien, Interviews und ein zweitägiges Assessment-Center in London - irgendwann kamen die Angebote der Banken. Anfangs hielt T. eine Bank für sympathischer als die andere, heute weiß er, dass im Grunde eine wie die andere funktioniert und dass die Regeln des freien Marktes vor allem auch für den Arbeitsmarkt der Banker gelten.
"Sie wollen nur deine Leistung sehen. Die Bank wird dir gegenüber nie loyal sein, und genauso ist kein Banker gegenüber seiner Bank loyal. Wir sind eine Mischung aus Prostituierten und Söldnern." Widerspruch steht nicht hoch im Kurs. "Man hält sich an die Spielregeln, die dir die Bank vorsetzt. Du kannst nicht sagen, du machst diese oder jene Transaktion nicht, weil du sie für unmoralisch hältst. Dann ist deine Karriere innerhalb kürzester Zeit zu Ende." In den vergangenen Monaten mussten viele ihr Terminal räumen. Allein in T.s Abteilung arbeiteten vor der Krise rund 100 Leute, in der Zwischenzeit wurden knapp 30 gekündigt. Sarkasmus und Galgenhumor prägen die Gespräche. Die große Party ist vorerst zu Ende.
Viele Leute haben London bereits den Rücken gekehrt oder suchen nach neuen Jobs. Üppige Bonuszahlungen dürften in den kommenden Jahren ebenfalls keine überwiesen werden. "Natürlich fragst du dich dann, wieso du dir den ganzen Stress noch antust oder ob sich die Entbehrungen lohnen." Ohne Bonus ist das Leben in London selbst mit Grundgehalt von 40.000 Euro teuer. T. zahlt viermal so viel Miete wie einst in Wien. Die Wohnung ist nicht einmal halb so groß. "Eine Familie kann ich mir so nicht leisten." Dass die Boni zu Jahresende, die 50 Prozent des Grundgehalts oder mehr ausmachen, jetzt wegfallen, verschlechtert die finanzielle Situation merklich.
Doch sind das zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt die richtigen Nöte und Fragen? Wäre es nicht angebracht, sich selbst die Frage nach der eigenen Verantwortung zu stellen? T. sagt, es waren nur einige wenige Banker, die mit ihren riskanten Spekulationen die Krise auslösten. Obwohl: "Natürlich waren auch die Banken zu gierig." Doch die Gier sei nicht auf Banker beschränkt. "Die Leute wollten diesen Konsum, und die Banken haben ihn ermöglicht." Der Markt - so ist er überzeugt - werde sich irgendwann selbst heilen, auch wenn die goldenen Zeiten fürs Erste vorbei sind. "Dann beginnt es wieder von vorne, die nächste Blase kommt bestimmt."
bild auf flickr.com von Cathrine
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