30 Jahre Falter. Hierzu ein noch unveröffentlichtes Interview mit Zeitungsgründer Armin Thurnher aus dem Jahr 2006. Thurnher über Vorarlberg, Kässpätzle-Katastrophen fern der Heimat, die Fußballkünste des Landeshauptmanns und über Leben und Arbeit in Wien.
Wien, Marc-Aurelstraße 9, Bezirk Innere Stadt. Mitten in Wiens historischem Kern, dem ersten Bezirk, befindet sich die Redaktion der Wiener Stadtzeitung Falter. Nicht besonders groß, irgendwie provisorisch erstreckt sich die Redaktion über zwei Stockwerke. Schachteln und Stapel von Zeitungen stehen im Vorraum. Der Umzug innerhalb der eigenen vier Wände, innerhalb des Bestehenden ist hier Programm. Armin Thurnher, 57, ist 1977 mit dem Anspruch angetreten, Konventionen in der Medienlandschaft zu brechen und gründete den Falter. Heute, knapp 30 Jahre später, scheint es, als habe die Konvention in der Redaktion noch immer kein zu Hause. „Gegen das Falsche in Politik, Kultur und Programm. Für mehr Lebensfreude“, heißt es in der Offenlegung. Nicht nur bunte Wände zeugen von Lebensfreude, es herrscht positive Betriebsamkeit kurz vor dem 30. Geburtstag des Blattes im nächsten Jahr.
Ländle-Zeitungsmacher
Begonnen hat alles als ein großes Abenteuer. Freiheitspathos, Idealismus und Frustration waren im Spiel – „Frustration gerichtet auf eine Medienlandschaft“, die dem Jahrzehnt des gesellschaftlichen Aufbruchs nicht gerecht wurde. Von langer Hand geplant war nichts. Im Gegenteil: „spontanistisch“ ging es zu, „Freiräume sollten geöffnet“ werden, Konzepte waren tabu, wenn nicht gar verpönt. Doch den Falter als Relikt der 70er, als bloßes Kind seiner Zeit zu bezeichnen, wird der Sache nicht gerecht. Er wurde über die Jahre zu weitaus mehr, wurde qualitativ wertvoller und es gelang ihm tatsächlich, Freiräume zu öffnen und Öffentlichkeit herzustellen. Sei es wie im letzten Jahr das Aufdecken des Wiener Callgirlringes oder die Berichterstattung rund um den Umgang der Justiz mit Schubhäftlingen und Schwarzafrikanern.
Der Falter ist aus der Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken. Er ist sowohl Leitmedium, als auch Accessoire einer Generation, die ähnlich dem Gründer, Konventionen hinterfragt. Der Falter bezieht sich - und auf den Falter wird bezogen, in Politik und in Kultur. Öffentlichkeit ist Thurnher wichtig, gleich ob sie sich in literarischen Zirkeln, kleinen Zeitungen oder Seminaren gebärt – Öffentlichkeit müsse hergestellt und immer wieder aufs Neue verteidigt werden, gerade in Österreich. Der Falter ist vor allem in Wien Teil dieser Öffentlichkeit. Mit einer wöchentlichen Auflage von 45.000 Stück in Wien gelingt es der Zeitung, Öffentlichkeit herzustellen und selbst Teil dieser Öffentlichkeit zu sein. Doch das Unternehmen geht über den „bloßen“ Zeitungsverlag hinaus. Der Falter ist Unternehmen, Buchverlag, verlegt Magazine für einen Telefonnetzbetreiber und einen Kreditkartenkonzern und bilanziert heute mit einem Umsatz von 12 Millionen Euro.
„Ganz Wien…“
Geschrieben hat Armin Thurnher bereits vor dem Falter, doch in gänzlich anderem Fach. Mit 21 Jahren stieß er zu einer Theatergruppe und schrieb – ganz „demokratischer Schriftsteller“ – gemeinsam mit Heinz Ungar das Stück „Stoned Vienna“. Ein zumindest dem Titel nach Falko-eskes Stück, das rückblickend die Richtung bereits vorgab. Ging es doch in diesem Stück um einen Schwarzafrikaner, welcher der berühmten psychotherapeutischen Schule wegen nach Wien kommt, um sich behandeln zu lassen: Er möchte Weißer werden. Das Unmögliche gelingt. Als Weißer erstarrt er zu einem Denkmal seiner selbst und wird von den Wienern im Park ausgestellt. Das Stück wurde bei der ersten Wiener Festwochenarena 1970 gespielt und war ein Erfolg. Journalismus kam erst später, das Bücherschreiben ist noch heute. Er verfasste bis dato zahlreiche politische Bücher, für sein publizistisches Schaffen wurde er mehrfach ausgezeichnet (u.a. mit dem Ehrenpreis des Vorarlberger Buchhandels).
Jede Woche verfasst Thurnher den Leitartikel
im Falter/foto gantner
Nach eigenen Aussagen ist Thurnher zu zwei Dritteln Wiener, zu einem Drittel ist er Vorarlberger geblieben. Stimmt nicht ganz: „A bisserl“ ist der gebürtige Bregenzer auch New Yorker, schließlich studierte Thurnher ein Jahr Anglistik an der Ostküste der USA. Doch „so etwas wie eine fixe Identität gibt es nicht“. Die unterschiedlichen Bestandteile seiner Identität finden auch in Thurnhers sprachlichem Ausdruck ihre Entsprechung: Die Sprache nach der Schrift überwiegt, dann und wann ein „dialektisches“ „od´r“, einzig das Englische bleibt ungehört.
A bisserl Revolte
Thurnher erzählt, dass die ersten 18 Jahre seines Lebens in Vorarlberg bis heute prägend sind. „Bekanntlich wird in früher Kindheit vieles geprägt. Sprache und Habitus können sich über die Jahre ändern, doch gewisse Kerne und Schichten bleiben da“. Thurnher blickt auf eine relativ unbeschwerte Jugend zurück. Rock´n Roll und Revolte fanden auch in Bregenz statt. Rolling Stones und Beatles gingen auch an ihm nicht spurlos vorüber. „Sgt. Peppers von den Beatles wurde als umwälzendes Ereignis wahrgenommen“. Dennoch kann die Revolte in Bregenz als sanft beschrieben werden. Thurnher spricht von Konventionen, lange Haare galten als Affront. Die Revolution bot in Wirklichkeit nur zwei Alternativen: „Man konnte zwischen einem Dasein als Liberal-Katholik oder dem Eintritt in eine Verbindung wählen“. Er entschied sich für die Katholischen Mittelschüler. „Rote gab´s in der ganzen Schule sehr wenige. Die vereinzelten Roten, die es gab, hatten´s nicht leicht – heute kann man sich das Maß der Rigidität kaum mehr vorstellen“. Doch innerhalb dieser Rigidität konnte man „auch Freiräume schaffen“ und eine „durchschnittliche, lustige“ Jugend verbringen. Doch die Zeit ist auch im Ländle nicht stehen geblieben. Das weiß auch der Bregenzer: „An meinem Neffen sehe ich, dass sich die Gesellschaft in Vorarlberg stark verändert hat“. Überhaupt hat sich seine Sichtweise auf Vorarlberg über die Jahre geändert, seine Sicht wurde um die Perspektive aus der Distanz reicher. Mit der Möglichkeit des Vergleichs ist Pointierung möglich.
Das Kalifornien Österreichs
Nicht Steiermark, obgleich Gouverneur, sondern Vorarlberg sei das Kalifornien von Österreich. Vorarlberg profitiere von seiner geographischen Lage, eine gewisse Öffnung gegenüber dem Westen sei spürbar, „ein internationalerer Zug auch bei den Eliten“ die Folge. Wien sei, so Thurnher, in diesem Punkt provinzieller. Die Chancen, die sich für die Stadt Wien seit dem Fall der Mauer ergaben, seien nur schlecht genutzt worden. Auch mentale Unterschiede macht Thurnher aus: Eine direkte und stärker ökonomisch definierte Art sei den Vorarlbergern eigen, „feudales Gehabe“ sei ihnen hingegen fremd. Auf der anderen Seite fehle die „nachgiebige, weiche Schlamperei des Ostens“, die auch Freiräume schaffen könne, in Vorarlberg vollends.
Ein Beweis für Kalifornien sieht Thurnher in Vorarlbergs Architekturszene, die auch internationale Anerkennung findet. Ein Phänomen, das auf Vorarlberg beschränkt ist und so beispielsweise in Niederösterreich nicht existiert. Mentale, politische und ökonomische Voraussetzungen macht Thurnher für diesen Boom verantwortlich. Wie überhaupt er positive Worte für die Landesregierung übrig hat. Was doch einigermaßen verwundert, ist Thurnher doch einer der schärfsten Kritiker der Schwarz-Blauen-Orangen Regierung seit ihrem Entstehen im Jahr 2000. Doch in diesem Punkt differenziert Thurnher. In seinem Buch „Das Trauma, ein Leben“ schreibt er: „Die Politik manch bürgerlich regierter Länder ist in einem Ausmaß ökologisch und kulturpolitisch modern, dass sie mit dem überlieferten Bild von Konservatismus nur mehr sehr wenig zu tun hat“. Die ÖVP also doch Bürgermeisterpartei? Möglich. Jedenfalls seien ihr im Bereich ökologischer Landwirtschaft, aber eben auch in kulturpolitischen Bereichen, Thurnher erwähnt neben der Architekturszene die Bregenzer Festspiele, politische Erfolge zuzuschreiben. Im Gegensatz zur Bundespolitik: Hier würde eine „quasi-neoliberale Politik gemacht und mit dem Verkauf der Industrie der Staat diskreditiert“. Also alles eitel Wonne im Westen? Mitnichten.
60 Jahre bürgerliche Mehrheit in Vorarlberg bekomme weder der Demokratie, noch der Volkspartei selbst, konstatiert Thurnher. Also doch eine Gemeinsamkeit mit Wien, nur andersrum mit entgegen gesetzten Vorzeichen. Den Grund sieht Thurnher in der relativen Schwäche der Oppositionsparteien im Ländle, die nun bereits seit 60 Jahren über keinerlei Macht verfügen würden und somit keinerlei Macht zu vergeben hätten – damit für ein gewisses Klientel uninteressant seien.
60 Jahre Herbert Sausgruber? Unvoreingenommen kann Thurnher diese Frage nicht beantworten – milde fällt sein Urteil aus. Schließlich haben beide dieselbe Schule besucht. „Ich halt den Sausgruber für einen sehr sympatischen Politiker, außerdem hab ich ihn noch in Klothosen über den Schulhof wetzen sehen“. Thurnher glaubt sich zu erinnern, dass der Landeshauptmann ein guter Leichtathlet, aber ein wenig begabter Fußballer war.
60 Jahre Bregenzer Festspiele? Voll des Lobes ist Thurnher für die Spiele auf dem See. „Ein Geschick wie man es ganz selten findet, nämlich Spektakel mit neuer Musik und neuer Oper zu verbinden ohne dabei in der Größe zu übertreiben“.
Jede Woche verfasst Thurnher den Leitartikel
im Falter/foto gantner
Was bleibt…
…sind drei bis vier Besuche im Jahr, prägende Kindheitserinnerungen, alemannischer Spracheinfluss und Kässpätzle. Etwa vierteljährlich verschlägt es Thurnher in die Landeshauptstadt, „um Freunde und Familie zu besuchen“, wie er sagt. Seine Mutter lebt noch heute in Bregenz. Die Kässpätzle der Mutter – gottlob sie sollen ausgezeichnet sein – sind jedenfalls kein Grund, den Weg über den Arlberg zu nehmen. Denn Thunrnher ist überzeugt: „Ich weiß wie man sie richtig macht, im Unterschied zu den meisten anderen Vorarlbergern im Exil“. Die meisten würden bereits am Teig scheitern, „Katastrophen sind das – Kässpätzle-Katastrophen“, erklärt Thurnher spätzlefest. Nicht umsonst hat er bereits einige Kässpätzle-Rezepte publiziert.
Und wann erscheint der Falter in Vorarlberg? „Das wird noch länger dauern. Langfristig haben wir uns Ostösterreich vorgenommen. Die Vorarlberger müssen sich derweil mit der Zeitschrift Kultur zufrieden geben – auch nicht schlecht“. Recht hat er.
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