2007/12/19

Fernsehen, bis der Arzt kommt


"Falter" Nr. 51-52/07


Ressort: Medien
Martin Gantner


WERBUNG Nicht die Angst vor Langeweile, sondern die Hoffnung auf Profit lässt Werbesender in Arztpraxen sprießen. So wird der Patient nicht nur Kunde des Arztes, sondern auch der Werbewirtschaft.



In der Ambulanz des Sanatoriums Hera im neunten Bezirk starren die Patienten in einen Bildschirm. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig. Missfällt dem Publikum das Fernsehprogramm, kann es nicht umschalten. Es gibt nur einen Sender, den dafür auf drei 42 Zoll großen Plasmabildschirmen: medscreen. News aus In- und Ausland, Kinotrailer, SMS- Gewinnspiel, Wetter, Gesundheitstipps, den neuen Hüftgelenksersatz und Tratsch aus der Society, eingebettet in kurze Werbespots. Laufend online aktualisiert. Medscreen ist nicht der einzige derartige Sender in Österreich. Seit Februar berieseln insgesamt fünf dieser Special-Interest-Kanäle die Patienten in Arztpraxen und Spitalsambulanzen. Bereits die Sendernamen deuten auf monothematisches Programm: MedTV, VitaTV, medscreen, y-doc und Wartezimmer-TV. Laut Eigendefinition betreiben die Sender Aufklärungs-TV in den Vorzimmern der Götter in Weiß. Sie wollen den Patienten die Angst vor der Behandlung nehmen, sie über medizinische Sachverhalte aufklären, vor Grippezeiten oder einer vergrößerten Prostata warnen. Der Arzt seinerseits soll die Möglichkeit haben, seine Praxis vorzustellen, über Öffnungszeiten und Vertretung zu informieren und seine Leistungen anzubieten. Auch solche, die durch die Krankenkassa nicht gedeckt sind, für die der Patient also extra bezahlen muss: Fettabsaugungen, das Entfernen von Tattoos oder spezielle Impfungen etwa.

Praxis-TV ist also, wie alle Fernsehsender, Informations- und Werbeplattform zugleich - für den Arzt und für Dritte. Der Sender y-doc wendet sich auf seiner Website an die Ärzte mit der Empfehlung: "Heben Sie sich von Tankstellen und Trafiken ab - und holen Sie noch mehr aus ihrer Ordination." Medscreen prophezeit "Umsatzsteigerungen von bis zu dreißig Prozent" und aufgrund der medizinischen Aufklärung im Wartesaal weniger Arbeit für die Ärzteschaft: "Und sparen Sie beim Beratungsgespräch bis zu zwanzig Prozent Zeit." Stimmen die Verheißungen von medscreen, dann ist das für den Arzt leichtverdientes Geld. Denn bei VitaTV sind Bildschirm und Programm für den Arzt völlig kostenlos, bei y-doc sind einmalig 699 Euro zu zahlen. Medscreen verlangt eine monatliche Flatrate von 290 Euro, die aber "als Werbekosten absetzbar" sind. Und der Patient? Ihm wird zumindest Kurzweil geboten. Der Patient als Kunde - des Arztes und der Werbewirtschaft.

Den Sendern geht es freilich nicht nur um Aufklärung und um ein besseres Arzt-Patient-Verhältnis. Es geht um sehr viel Geld. Das belegen auch die jüngsten Entwicklungen auf dem heimischen Markt. Im Februar gesellte sich der neueste Sender zu den bereits vorhandenen vier: VitaTV, ein Produkt der Werbefirma Epamedia. Epamedia ist der neben Gewista größte Plakatierer des Landes und verantwortlich für 150 sogenannte Überkopfmonitore in der Shopping City Süd. Man hat das Potenzial der digitalen Flächenwerbung erkannt. Für den Inhalt von VitaTV ist Interspot Film verantwortlich, die auch die "Seitenblicke" und "Frisch gekocht" produziert. Die Technik liefern Telekom Austria und Kapsch BusinessCom. Derzeit werden laut Eigenaussagen bereits 270 Ärzte und 27 Ambulanzen von VitaTV bespielt. Alle Anbieter zusammen kommen auf ungefähr 1600 Praxen und 130 Ambulanzen in ganz Österreich. Medscreen etwa wirbt mit einer Million Werbekontakten im Monat, der harten Währung in der Werbebranche. Den großen Vorteil gegenüber herkömmlicher Fernseh- und Onlinewerbung beschreibt medscreen auf seiner Homepage: Es gibt "kein Wegklicken, kein Wegzappen, kein Umblättern, sondern volle Aufmerksamkeit".

Auch ein anderes Beispiel zeigt, wie profitabel das Geschäft mit Praxis-TV sein kann: Gerhard Andlinger, ein Linzer Investor, der in die USA ausgewandert ist, hat sich beim Sender medscreen groß eingekauft. Das Startup-Unternehmen wurde erst 2006 gegründet, ein Jahr später hat es sich bereits an der Spitze der hiesigen Praxis-TV-Sender etabliert, und "nun ist auch ein Börsengang langfristig vorstellbar", sagt Gerald Buchas, Geschäftsführer von medscreen. Eine beachtliche Performance für ein Unternehmen, das es noch nicht lange gibt und das dennoch bereits dreißig Mitarbeiter zählt. Wieso Produkte wie medscreen für die Werbewirtschaft so interessant sind, erklärt Gerhard Unterganschnigg, Manager bei Andlinger & Co, dem Konzern des "reichen Onkels aus Amerika" Gerhard Andlinger: "Die Möglichkeit, so zielgruppengerecht zu werben, war auch für uns ein Kriterium. Die Situation im Wartezimmer ist eine besondere. Der Kunde ist praktisch gezwungen, auf den Bildschirm zu schauen. Die Qualität des Kontakts ist dabei besser als bei anderen Medien im öffentlichen Raum." Die Firma y-doc wird noch deutlicher. Ein Schreiben, das offensichtlich für Werbekunden gedacht ist und das dem Falter vorliegt, verrät, was sich Kunden von einer Werbeeinschaltung auf ihrem Sender erwarten dürfen: Demnach habe eine "unabhängige Studie" ergeben, "dass bereits nach wenigen Wochen Werbeeinschaltung für ein OTC-Präparat etwa zwanzig Prozent der befragten Ärzte dieses aktiv den Patienten empfehlen". OTC(Over the Counter)-Präparate sind nicht verschreibungspflichtige Medikamente, wie etwa Aspirin oder Mexalen, die jeder Kunde ohne Rezept in der Apotheke kaufen kann. Klarerweise haben vor allem Pharmafirmen und bekannte Marken ein besonderes Interesse an Werbeeinschaltungen in Arztpraxen. In diesem Schreiben wird auch auf "sechzig Prozent der Top-30-Pharmaunternehmen" verwiesen, die zu den Kunden von y-doc zählen sollen, darunter Firmen wie Schering, Bayer oder Kwizda. Neben Pharmaunternehmen kaufen aber auch Firmen wie Nestlé, Zeiss oder Hakle Werbespots, ebenfalls interessiert zeigen sich die Tourismusbranche und Firmen aus dem Wellnessbereich.

Die inserierenden Unternehmen geben sich bedeckt. Eine Mitarbeiterin einer Pharmafirma möchte namentlich nicht genannt werden, nimmt in einem kurzen Telefonat aber zumindest zu dem Vorwurf Stellung, Patienten könnten manipuliert werden und allein höhere Absätze seien das Ziel der Pharmafirmen. Sie wiegelt ab und verweist auf die strengen Werberichtlinien: "Es dürfen keine rezeptpflichtigen Arzneien beworben und keine Therapievorschläge gemacht werden. Nur im OTC-Bereich ist jegliche Werbung möglich. Doch das ist nicht neu." Denn das Arzneimittelgesetz ist bei Werbung mit Medikamenten sehr streng. Laienwerbung für rezeptpflichtige Medikamente ist untersagt. Erlaubt sind aber sogenannte Indikationen, etwa Spots oder Plakate anlässlich der bevorstehenden Grippezeit, ohne jedoch den Namen eines Medikaments zu nennen. Aber die Werbenden hoffen, dass mehr Menschen sich impfen lassen, nachdem sie einen solchen Spot gesehen haben. Geht es nach Gerald Bachinger, dem Chef der österreichischen Patientenanwälte, dürften die Gesetze bei Praxis-TV ruhig strenger sein: "Ich könnte mir etwa ein Qualitätsgütesiegel für solche Sender gut vorstellen." Validität und Qualität der Informationen könnten so sichergestellt werden. Er würde es zwar begrüßen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gestärkt würde, "dass aber auch Leistungen beworben werden, die nicht in Kassenverträgen vereinbart sind, sehe ich als sehr problematisch an". Birgit Merz von der Österreichischen Ärztekammer findet an Praxis-TV "grundsätzlich nichts Schlechtes, solange der Arzt wahrheitsgemäß informiert". Es habe aber auch schon Flugzettelaktionen gegeben, bei denen eine schönheitschirurgische Restplatzbörse beworben wurde. "So marktschreierisch darf das Ganze nicht sein."

Was bringt Praxis-TV also den Patienten, wenn sich einerseits Pharmabetriebe eine angeblich zwanzigprozentige Absatzsteigerung ihrer Produkte erwarten können und Ärzte andererseits mit einer Umsatzsteigerung von dreißig Prozent rechnen dürfen? Kinotrailer, News aus In- und Ausland, Societytratsch. Und vielleicht den einen oder anderen zusätzlichen Eintrag in den Impfpass.

1 Kommentar:

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