2008/09/05


Grüne "Eine Acht-Millionen-Republik braucht nicht 22 Kassen"

Über Mythen und fromme, grüne Genesungswünsche


Die Grünen fordern Qualitätsstandards und eine transparente Dokumentation erbrachter Leistungen.


Wien
. Kurt Grünewald sitzt mit gequältem Gesichtsausdruck in seinem Büro im grünen Parlamentsclub. Auf seinem Schreibtisch liegen aktuelle Studien zum Thema medizinische Pflege. Grünewald betreut das derzeit umstrittenste Politthema für die grüne Partei: Gesundheitspolitik. Die gescheiterte Reform war nicht irgendeine gescheiterte Reform, sie stand stellvertretend für das Scheitern der Großen Koalition. Aber auch Grünewald ist sich der Komplexität des Themas bewusst. Wo beginnen? "Wir brauchen eine tabufreie Diskussion", sagt er zu Beginn. Er vertritt eher eine Politik der kleinen Schritte, denn er weiß, Revolutionen sind im Gesundheitsbereich schwer möglich: "Ich glaube, dass nur eine schrittweise Reduktion der Finanzierungstöpfe möglich ist. Man muss schon froh sein, statt zehn Töpfen nur noch drei zu haben." Grünewald spricht von "überbordendem Föderalismus" und davon, dass "eine Kasse genügen müsste, wenngleich die Infrastruktur in den Ländern bestehen bleiben sollte. Das sind dann eben Filialen der einen Kasse. Aber ich wünsche mir schon, dass vom Boden- bis zum Neusiedlersee für gleiches Geld eine ähnliche Leistung geboten wird." Den Kassen oder "der einen Kasse" würde ein Gesundheitsminister Grünewald mehr gesundheitspolitische Verantwortung zukommen lassen. "Sie sollten nicht bloße Verwalter der Beiträge sein, sondern sie müssten ihre gesundheitspolitischen Kompetenzen noch mehr ausbauen." Er fordert "mehr Experten und weniger Funktionäre in den Kassen. Die Besten suchen, ihnen aber strukturell nicht unbedingt freie Hand lassen. Das Ziel muss sein, das Solidarsystem zu erhalten". Innerhalb dieser Übereinkunft sollten die Kassenmanager aber dann selbstständig agieren können.

Kompetenzen bündeln


Die Grünen fordern also nicht weniger als die Finanzierung aus einer Hand. Aus einer Hand, "die von der Sozialversicherung verwaltet wird". Jeder künftige Reformversuch müsse den Krankenanstaltenbereich (Länderkompetenz) und den niedergelassenen Bereich (Sozialversicherungs-Kompetenz) umfassen. Kurzfristig plädiert Grünewald dafür, den Kassen die Schulden zu erlassen. Langfristig bedürfe es aber einer Anhebung der Höchstbeitragsgrenze bei Kranken-und Unfallversicherung und einer Erweiterung der Bemessungsgrundlage. "Alles andere sind Defensivstrategien und kosmetische Notoperationen ohne strategisches Ziel."
Am Ende des Gesprächs spricht Grünewald wieder von der Notwendigkeit einer neuen Diskussionskultur. Derzeit würden laufend dieselben Mythen gebetsmühlenartig wiederholt, wie etwa:, Österreich hat das beste Gesundheitswesen der Welt'. Das verhindere "seit Jahrzehnten die realistische Sicht auf das Gesundheitswesen. Den meisten Menschen ist bewusst, dass der Zugang zu Gesundheitsleistungen mehr und mehr von der finanziellen Situation des Einzelnen abhängt."

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Diagnose-Medikation: Kurt Grünewald über


Finanzierung des Gesundheitssystems Die Defizite der Kassen müssen durch Anhebung der Höchstbeitragsgrenze bei Kranken- & Unfallversicherung und durch die Einbeziehung nicht lohnabhängiger Einkommen und Steuermittel egalisiert werden. Gemäß dem Finanzierungsanteil sind Kassen Verantwortung und Mitsprache in gesundheitspolitischen Fragen einzuräumen. Unser Ziel: Kassenzahl reduzieren und die Beiträge und Leistungen bundesweit harmonisieren. Regionale Spielräume sollen gewahrt bleiben. Langfristiges Ziel: Finanzierung aus einer Hand. Planung & Kontrolle soll durch alle Zahler gewichtet nach dem eingebrachten Budget erfolgen.

Ende mit Diskriminierung
Prioritäten bei Prävention, Rehabilitation, der Arbeits- & Umweltmedizin setzen. Mängel im Leistungsangebot der Pädiatrie und Geriatrie sowie einer flächendeckenden Psychotherapie auf Krankenschein beheben. Regelfinanzierung der Kassen von Leistungen des Hospizwesen und der Palliativmedizin.

Humane Arbeitsbedingungen
Gläserne Decken in der Laufbahnplanung und Schlechterstellung gegenüber ausländischer Konkurrenz werden reduziert. Personalbedarf und Einsatzplanung müssen mehr Zeit für Patientenkontakte schaffen. Das Arbeitszeitgesetz muss eingehalten werden können.

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Grünes Programm in Stichworten:


Die Grünen haben ihr Wahlprogramm in zehn Punkte verpackt. Ein Auszug:


Energie/Verkehr
Neues Ökostromgesetz für Ausbau von Wind- und Sonnenkraftwerken. Weiters: Gratis-Öffis für Kinder, Lehrlinge & Schüler. Flächendeckende Einhebung und Erhöhung der LKW-Maut.

Umwelt
Atomfreies Europa, Einhaltung des Temelin-Abkommens. Weiters: Verkehrsbeschränkungen in Feinstaub belasteten Gebieten. Strengeres Lärmschutzgesetz und bundesweites Naturschutzgesetz.

Teuerung Entlastung des Mittelstandes durch steuerrechtliche Maßnahmen (u.a. Senkung der Lohnsteuer). Einführung einer Vermögenssteuer und Reduktion der Steuerprivilegien für Stiftungen.

Familie
Gratis-Kindergärten, einkommensabhängiges Karenzgeld und Umsetzung des Papa-Monats.

Studenten
Abschaffung der Studiengebühren. Kostenloses Ticket von zu Hause zum Studienort. Für

Niedrigverdiener
Erhöhung der Negativsteuer, gesetzlicher Mindestlohn und Grundsicherung.

Frauen
Quotenregelung an Unis und in Aufsichtsräten, Koppelung von Wirtschafts- an Frauenförderung und Günstige Kredite für Unternehmensgründerinnen.

Kinder/Jugend
Gesamtschule der sechs- bis 15-Jährigen, Rechtsanspruch auf Nachmittagsbetreuung und Abschaffung der Wehrpflicht.

Datenschutz
Handy- und Internetüberwachung nur mit richterlichem Beschluss.

Ausländer
Verkürzung der Asylverfahren, gesetzliches Bleiberecht für gut Integrierte. Ab fünf Jahren rechtmäßigem Aufenthalt Chance auf Staatsbürgerschaft.

EU
Euweite Volksbefragung zu abgespeckten Reformvertrag, Harmonisierung der Unternehmenssteuern und soziale Mindeststandards.

Korruption
Gesetzliches Verbot für Politiker, Geld von Dritten anzunehmen. Ausweisung vonParteispenden über 5.000 Euro.

Landwirtschaft Aufrechterhaltung des Gentechnik-Verbots, nationale Importverbote für Genprodukte sollen ausgeweitet werden

www.flickr.com bild von tiefseefisch

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