© ZEIT ONLINE 29.9.2008 - 17:49 Uhr
Der österreichische Politikwissenschaftler Emmerich Tálos über den Rechtsruck nach den Parlamentswahlen in Österreich, die politische Kultur des Landes und mögliche zukünftige Koalitionen
ZEIT ONLINE: Wie sehr hat Sie der Ausgang der Wahl überrascht?
Emmerich Tálos: Mich hat vor allem das Ausmaß der Verschiebungen, das Zulegen der BZÖ und der krasse Absturz der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) überrascht.
ZEIT ONLINE: Die beiden Rechtsparteien FPÖ und BZÖ haben gemeinsam fast am meisten Stimmen erhalten. Kann man von einem Rechtsruck sprechen?
Tálos: Beide Rechtsparteien konnten stark zulegen. Ob dies ein dauerhafter Rechtsruck ist, wage ich zu bezweifeln. Das Zulegen dieser beiden Parteien verdankt sich ihrer Oppositionsrolle und dem enormen Versagen von SPÖ und ÖVP. Diese Koalition war ein Verhängnis. Beide Parteien haben sich gegenseitig massiv beschädigt und Wähler von der Urne vertrieben.
ZEIT ONLINE: Ist durch die Wahl eine Wiedervereinigung des rechten Lagers wahrscheinlicher geworden?
Tálos: Das kann ich mir nicht vorstellen. Heinz Christian Strache (Parteichef FPÖ) hat es auch gar nicht nötig, sich wiederzuvereinen. Wenn Strache Jörg Haiders Strategie der neunziger Jahre kopiert und gleichzeitig sich nicht in die Regierung einbinden lässt, dann wird er bei der nächsten Wahl noch stärker werden.
ZEIT ONLINE: Haben nicht auch SPÖ und ÖVP einen Rechtsruck vollzogen. Die SPÖ mit ihrer populistischen Haltung zur EU und die ÖVP mit ihrer Asylpolitik?
Tálos: Ja, die ÖVP mag zwar „Keine Zuwanderung ohne Deutschkurs“ plakatiert haben, aber FPÖ und BZÖ sind in Sachen Ausländerfeindlichkeit deutlich glaubwürdiger.
ZEIT ONLINE: Würde eine neuerliche Große Koalition bedeuten, dass die rechten Parteien weiter wachsen?
Tálos: Ich geh davon aus. Ich glaube nicht, dass eine neue Große Koalition sehr viel erfolgreicher wäre als die vorangegangene.
ZEIT ONLINE: Welche Koalitionsvarianten halten Sie für am wahrscheinlichsten?
Tálos: Es gibt drei Möglichkeiten: Die nicht unwahrscheinliche Variante einer Großen Koalition, weil sie eine breite Mehrheit hätte. Die zweite Möglichkeit wäre ein Dreierbündnis von ÖVP, FPÖ und BZÖ unter der Bedingung, dass die Parteispitze der ÖVP ausgetauscht würde. Die dritte Möglichkeit ist eine Minderheitenregierung. Da FPÖ und BZÖ aber aufgrund ihrer starken Zugewinne den Regierungsanspruch stellen, halte ich das für wenig wahrscheinlich. FPÖ, BZÖ und ÖVP würden eine Minderheitenregierung nur blockieren.
ZEIT ONLINE: Das Liberale Forum scheiterte am Wiedereinzug ins Parlament, und die Grünen haben Stimmen verloren. Gibt es in Österreich kein Potenzial mehr für liberale Politik?
Tálos: Grundsätzlich ist es so, dass liberale Politik in den vergangenen 100 Jahren in Österreich noch nie ein Leiberl hatte. Es gab nie eine eigenständige liberale Kraft als solche. Im Unterschied zu Deutschland haben sich liberale Elemente in den großen Parteien gehalten. Sie sehen es in den neunziger Jahren, als das Liberale Forum gegründet wurde. Sie haben praktisch kaum die Füße auf den Boden bekommen und blieben letztlich ein Elitenprojekt. Die Basis fehlte.
ZEIT ONLINE: Kam es durch die Regierungsbeteiligung der rechten Parteien seit dem Jahr 2000 zu einer Verrohung der politischen Kultur in Österreich?
Tálos: Nicht allein aufgrund der Regierungsbeteiligung durch die FPÖ. Da hat die ÖVP schon mitgespielt. Ausländerfeindlichkeit hat sich aber in der Regierungspolitik stärker niedergeschlagen und die verschiedenen Institutionen wurden natürlich politisch umgefärbt.
ZEIT ONLINE: Im Wahlkampf tauchten Jugendfotos von Strache auf, die ihn bei Wehrsportübungen mit einschlägig bekannten Rechtsextremisten zeigten. Wäre so etwas vor zehn Jahren ohne Rücktritt denkbar gewesen?
Tálos: Ja, natürlich. Als Haider im Jahr 1991 die Beschäftigungspolitik im Dritten Reich gelobt hat, ist er als Landeshauptmann auch nicht freiwillig zurückgetreten. Es ist aber offenbar ein Zeichen dafür, dass rechtspopulistische Parteien bei uns ein beträchtliches Maß an Akzeptanz genießen. Jugendfotos von Strache, die ihn in Wehrsportuniformen zeigen, scheinen seine Wähler völlig unbeeindruckt zu lassen.
Emmerich Tálos lehrt Politikwissenschaft am Institut für Staatswissenschaft in Wien.
Die Fragen stellte Martin Gantner
2008/09/30
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