2009/01/27

Bevor der Nebel kam



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Verursachten Nebelgranaten des Heeres eine tödliche Massenkarambolage? Es wäre nicht das erste Mal


Bericht: S. Apfl,M. Gantner, J. Gepp


Ein „Nebel des Grauens“ habe sich über die Fahrbahn gelegt, so schnell und dicht, der konnte „nicht auf natürliche Weise“ entstanden sein. Das berichtete die NÖN im Dezember 2003. „Die Sicht war gleich null. Die Nebelwand einfach plötzlich da“, schilderte das Blatt damals eine Massenkarambolage nahe Matzendorf, Niederösterreich, bei der drei Menschen starben.

Die angebliche Ursache des rätselhaften Schlechtwettereinbruchs: Nebelwerfer des Heeres. Auf einem nahen Truppenplatz sei damals Rauch „aus einem Nebeltopf des Bundesheers entwichen“. Die Übung sollte einen „Brandfall“ simulieren. Wegen fahrlässiger Gemeingefährdung landeten zwei Offiziere vor dem Wiener Neustädter Landesgericht, 2004 allerdings wurde das Verfahren eingestellt.

Donnerstag, 22. Jänner 2009, auf der Donauuferautobahn nahe Korneuburg: eine ähnliche Situation wie fünf Jahre zuvor. „Der Nebel kam ganz plötzlich“, erzählt ein anonymer Augenzeuge dem Falter. Er stand zum Unfallzeitpunkt auf einer Tankstelle, nur wenige Meter vom Ort des Geschehens entfernt. „Der Rauch war grau-weiß und wurde immer dichter. Nach ein paar Minuten sah ich die eigene Hand vor den Augen nicht mehr“, erzählt er. Dann wieder das Krachen von Autos. Sieben Menschen wurden verletzt, eine Tschechin konnte nur mehr tot aus ihrem ausgebrannten Wagen geborgen werden. „Kurz bevor der Nebel kam“, berichtet der Augenzeuge aus Korneuburg, „hörte ich zwei Explosionen in unmittelbarer Nähe.“

Wieder die Augenzeugenberichte über die rätselhafte Nebelwand, die plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht und sich über die Fahrspuren gesenkt haben soll. Wieder trainierte das Bundesheer in unmittelbarer Nähe, in einem kleinen Auwäldchen neben der Autobahn. Und diesmal waren sogar Detonationen zu hören. Könnte auch diesmal eine Heeresübung die Massenkarambolage verursacht haben?

„Was den Auslöser für den Unfall betrifft, tappen Polizisten und Sachverständige im Dunkeln“, schrieb der Kurier am Tag nach der Karambolage. Zusatz: „Eine Rauchgranate könnte den Todescrash ausgelöst haben.“ Die Korneuburger Staatsanwaltschaft untersucht derzeit einen Zusammenhang zwischen der Bundesheerübung und dem Unfall. Das Militärkommando Niederösterreich hat einen Offizier, einen Militärjuristen und einen Waffenexperten abgestellt, die die Vorwürfe überprüfen. Das Verteidigungsministerium will nicht einmal über die Type der mobilen Nebelmaschine Auskunft geben, solange die beauftragte Kommission keine Ergebnisse vorgelegt hat. Ihr Sprecher ist für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Stattdessen gibt ein Experte aus Justizkreisen dem Falter Auskunft: Mehrere Leuchtraketen und vier Nebelgranaten vom Typ HC-NbHG 74 habe man an diesem Abend abgeschossen, sagt der renommierte Fachmann. Bei Bundesheerübungen gehören die Granaten zum Standardrepertoire: Fotos auf Heereswebseiten zeigen hohe Säulen von blickdichtem weißem Rauch, die sich von einer ansonsten sonnenklaren Berglandschaft abheben. „Heute allerdings werden nur noch Restbestände dieses Waffentyps aufgebraucht“, sagt der Experte. Ein Grund: Vor zwanzig Jahren sei in Oberösterreich ein Rekrut ums Leben gekommen, nachdem der Rauch einer Granate durch den Kontakt mit hoher Luftfeuchtigkeit Salzsäure gebildet habe.

Ob für den Unfall die Granate oder herkömmlicher Nebel ausschlaggend war, wird derzeit ausgewertet: Der Fachmann glaubt an „multiple Ursachen“. Anwesende dagegen beschreiben den „plötzlich auftretenden Nebel“. Die Polizei sagt, dass „vermutlich durch die Zündung pyrotechnischer Gegenstände“ starker Rauch aufgetreten sei. Mehrere Grundwehrdiener geben den Nebelwerfern die Schuld am Unfall. „Wir waren keine hundert Meter von der Autobahn entfernt“, erzählte einer von ihnen der Tageszeitung Österreich. „Der Rauch der Übungsgranaten zog über die Fahrbahn, dann hörten wir es krachen.“

Korneuburg ist ein zusammengedrängtes Städtchen. Das Hofau-Wäldchen liegt eingezwängt zwischen dem Donauufer, Einfamilienhäusern und der Uferautobahn. An seiner breitesten Stelle ist der Wald keinen Kilometer breit. Die ABC-Abwehrschule des Heeres liegt nicht weit entfernt, Schilder in der Hofau warnen vor sporadischen Truppenübungen.

Am Unfallabend wehte laut Meteorologen ein mäßiger Wind aus dem Osten. Auf die Autobahn, die östlich der Hofau verläuft, hätte er den Rauch eigentlich nicht tragen dürfen. Gelangte er trotzdem zwischen die Autos?

Fest steht jedenfalls, dass Donnerstagsabend in der Hofau eine „Nacht-Lehrvorführung“ stattfand. Gegenstand von Ermittlungen ist dabei nicht nur der Granateneinsatz: Die Rekruten berichten auch, dass ihre Vorgesetzten sie an Hilfeleistungen gehindert hätten. Manche der Wehrdiener studieren Medizin, andere hatten gerade einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert: „Wir wollten zur Unfallstelle laufen, aber die Ausbildner haben es verboten. Wir mussten tatenlos zuschauen“, erzählte ein Rekrut Österreich. Später habe der „Oberstabswachtmeister mit Strafen gedroht, falls wir an die Öffentlichkeit gehen“.

Sollten diese Vorwürfe stimmen, dann wäre nicht nur das Zünden der Nebelgranaten ein Tatbestand, den die Ausbildner begangen haben. Paragraph 95 im Strafgesetzbuch verpflichtet nämlich alle Anwesenden im Katastrophenfall zur Hilfeleistung, sofern sie sich dadurch nicht selbst in Gefahr bringen. Das zu unterlassen, wird mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft.

Ob sofortige Hilfe der Soldaten den Feuertod der Autofahrerin verhindern hätte können, ist noch unklar. Die am Einsatz beteiligten Rettungskräfte von Feuerwehr und Rotem Kreuz haben Sprechverbot und verweisen offiziell an die Staatsanwaltschaft. „Wenn die Soldaten schuld sind, dann war das grob fahrlässig“, sagt ein ranghoher Sanitäter im Hintergrund. „Die werden dann tief in die Tasche greifen müssen wegen dem bisschen Nebel.“

2009/01/21

Herr Macek grüßt die Götter





www.falter.at



Dieter Macek hat 5640 Götter zu einem gigantischen Stammbaum antiker Mythologie vereinigt

Text: Martin Gantner



Vor kurzem hat Dieter Macek noch einen Gott gefunden. Keinen, an den er glauben würde - Macek ist schon vor Jahren aus der Kirche ausgetreten -, sondern einen, den er verwaltet und inventarisiert wie davor bereits 5639 andere Götter: Er trägt ihn an passender Stelle auf eine Leinwand auf und legt ein eigenes Kapitel in einem Handbuch an. Macek kennt alle in der antiken Literatur erwähnten Götter- und Heldenfiguren und hat diese in 33 Jahren Arbeit zu einer einzigartige Genealogie der griechischen Götterfiguren zusammengetragen: 5640 mit Hand geschriebene Namen auf 65 Quadratmetern, dazu ganze 10.600 Seiten mit Begleittexten. Ein Mammut-, vor allem aber auch ein Lebenswerk. Der Gott Kronos neben dem blutigen Geschlecht der Tantaliden, Medea neben Poseidon und über allen Gottheiten das Chaos, aus dem diese einst hervorgegangen waren.

Macek sitzt in einem italienischen Lokal in Bregenz. Der 66-Jährige muss sich konzentrieren, um Zeus, dessen Kinder und Kindeskinder, um die sieben Todesarten des Odysseus, die Liebschaften des Herakles und die Heldentaten des Agamemnon nicht durcheinanderzubringen. Er nennt ein um die andere Jahreszahl: Salbungen, Krönungen, Legenden und noch mehr Mythen.

Salzburg -Paris - Egg

Hier spricht kein Gelehrter, kein Universitätsprofessor, sondern ein pensionierter Bahnhofsvorsteher der Österreichischen Bundesbahnen. Er sieht zufrieden aus. Gemeinsam mit dem Schriftsteller Michael Köhlmeier präsentierte Macek vergangene Woche sein Werk in der Vorarlberger Landesbibliothek der Öffentlichkeit. "Es ist ein Zeichen der Aufklärung", sagt er frei von Ironie. "Es ist in erster Linie ein politisches, kein wissenschaftliches Werk."

Um zu erklären, was er damit meint, holt Macek aus und erzählt von Homers "Odyssee" und der Odyssee seines eigenen Lebens; von seiner Zeit als Kochlehrling in Salzburg; von den ersten Opernaufführungen bei den Festspielen, die er nicht verstand; von den Pariser Maiunruhen im Jahr 1968. Macek war dabei und wurde in dieser Zeit politisiert wie so viele andere auch, begeisterte sich für linke Ideen, alternative Lebensformen, vor allem aber für die Aufklärung: "Ich wollte die Aufklärung in den Bregenzerwald bringen."

Religionen sind relativ

Nach drei Monaten Paris kehrt er zurück ins tiefkatholische Vorarlberg - nach Egg im Bregenzerwald. Gemeinsam mit Freunden veranstaltet er Diskussionsabende und lädt Universitätsprofessoren in Gemeindesäle. "Die Aufklärung hat sich heute durchgesetzt", sagt Macek 40 Jahre später. Selbstverständlich sei das jedoch nicht. "Jeder Mensch, jede Generation muss immer wieder von neuem aufgeklärt werden."

In jener Zeit organisiert er auch ein erstes multikulturelles Fest - die ersten türkischen Gastarbeiterfamilien waren gerade nach Vorarlberg gekommen. Religion ist ein Thema, das ihn bis heute bewegt und das ihn während seiner Arbeit an der Genealogie der Götter ständig begleitet hat. "Ich will anhand der griechischen Mythologie zeigen, wie sich Religionen über Jahrhunderte verändern und letztlich relativieren. Deshalb ist mein Werk ein politisches Werk. Religionen entstehen und vergehen."

Die Kenntnis der Götter und der Heldentaten lasse die heutigen Religionen in einem anderen Licht erscheinen. So waren viele Traditionen des Christentums bereits vorhanden, noch bevor es dieses überhaupt gab: Asklepios konnte Tote zum Leben erwecken, Erginos und Orion konnten übers Wasser laufen, die Oinotropoi Wasser in Wein verwandeln, Hippolytos fuhr nach seinem Tod in den Himmel, und Minos erinnert an Moses, erhielt er doch von Zeus Gesetze, die ihn befähigen sollten, die Menschheit zu führen.

Freiheitsdrang und Mythos

"Lesen Sie Homers, Odyssee'", empfiehlt Macek in strengem Ton. "Mit ihr beginnt die Aufklärung. Odysseus war der Erste, der sich gegen den Willen der Götter gestellt hat." Der Drang des Menschen nach Freiheit liege bereits im Mythos begründet, erklärt der ehemalige Eisenbahner ein wenig aufgeregt. "In der griechischen Mythologie kommt bereits alles vor. Deshalb finden sich auch so viele Menschen in diesen Geschichten wieder." Auch Macek fand sich in ihnen wieder und folgte den Pfaden seiner Götter auf dem Fahrrad. In vier Wochen überquerte er die Peloponnes - "ein ständiges Auf und Ab"; er reiste rund 30 Mal nach Rom. Seine Genealogie der Götter ist ein Projekt, das nun nach über drei Jahrzehnten ein vorläufiges Ende gefunden hat.

Innerhalb der nächsten zehn Jahre möchte Dieter Macek sein Handbuch überarbeiten, redigieren, ergänzen, kürzen und - ganz im Sinne der Aufklärung - "noch einmal von vorne beginnen".

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"Falter" Nr. 04/09


Immer mehr Leute verlosen ihre Häuser - auch in Wien. Wer profitiert davon?


Bericht: Martin Gantner


Radu Adria zappt stolz durch seine Filmsammlung. 1300 Dokus und Actionfilme säumen die Regale in seinem kleinen Privatkino: Leinwand, Lederfauteuils ein kleiner Beistelltisch. Wände, Decke und Boden sind wie im Lugner-Kino mit schwarzem Stoff verkleidet. "High Definition und Dolby-Surround." Nein, ins Kino gehe er nicht mehr, sagt Adria. Das könnte sich ändern. Es hängt davon ab, ob in seinem neuen Heim Platz für ein Kino sein wird. Denn Adria verlost sein Haus - wie so viele andere auch in diesen Tagen. Schon bald wird es jemandem gehören, der nur 99 Euro dafür bezahlt und dessen größte Sorge es sein könnte, woher die ganzen Möbel nehmen, um 380 Quadratmeter Wohnfläche einzurichten. Denn Adria übergibt das schmucke Stück "völlig lastenfrei".


Das alte Fuhrwerkerhaus im 16.Bezirk haben vor dem Falter schon die Damen von News besichtigt. Davor ATV. Adria selbst erfuhr im Dezember in Woman von dem neuen Trend, kurz bevor sich auch der ORF auf das Thema setzte und während jener Zeit, als in Österreich andauernd über die jeweils neuen Verlosungsobjekte berichtet wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte Adria schon seit drei Monaten vergebens versucht, sein 1,2 Millionen Euro teures Anwesen per Annonce zu verkaufen. Dann kam ein Anruf aus der Steiermark: Bernd Asbeck von der Plattform Auxionit ( www.auxionit.at) hatte Adrias Inserat gelesen und bot ihm an, er möge sein Haus doch auf seiner Webseite zur Verlosung freigeben.

Plattformen wie Auxionit sind in den vergangenen Tagen zahlreiche aufgetaucht. Sie alle rittern um eine künftige Vorherrschaft am Immobilienmarkt, sollte sich das Geschäft mit der Verlosung tatsächlich etablieren. Und solange berichtet wird, läuft der Laden, auch wenn bislang in Österreich nur das Haus am Wörthersee tatsächlich auch verlost wurde. Georg Scherrer, Betreiber der Seite raffle.at verweist auf 590.000 Zugriffe in zwölf Tagen. "Jetzt wird das noch belächelt", sagt er verheißungsvoll, "aber das könnte auch so verlaufen wie bei eBay damals." Auch Christian Mandl von lospoint.at spricht von einem regelrechten Boom: "Vor ein Uhr früh hab ich das Büro in den letzten Tagen nicht verlassen."

Veranstalter dieser Plattformen bewegen sich auf rechtlich dünnem Eis. Zuletzt wies die Notariatskammer warnend auf offene Detailfragen hin. Auch Arbeiterkammer und Konsumentenschützer mahnten zur Vorsicht. Das Finanzministerium, zuständig für die Hütung des staatlichen Glücksspielmonopols, gab jedoch grünes Licht, solange die Verlosungen nicht gewerblich organisiert werden und kein veranstaltender, organisierender oder mitwirkender Unternehmer für die Verlosungen verantwortlich zeichnet. Kurz: Einer Verlosung eines Objektes durch eine Privatperson stünde nichts im Weg. Die meisten Plattformbetreiber schneiden bei den Verlosungen finanziell kräftig mit. Bei Auxionit sollen etwa zwischen einem und drei Prozent jedes verkauften Loses an den Plattformbetreiber Asbeck gehen. Asbeck selbst sagt, dass die Objekte mittlerweile einen Gegenwert von rund 12,5 Millionen Euro hätten.


Würden also für alle diese Objekte auch genügend Lose verkauft und durchschnittlich zwei Prozent Gebühren verrechnet, würde Asbeck immerhin eine Viertelmillion Euro verdienen. "Das ist eine Kostendeckung und keine Provision", sagt Asbeck. Organisieren müsse der Verloser selber, man stelle nur die Seite und somit Öffentlichkeit zur Verfügung.

Bei lospoint.at und raffle.at soll nicht direkt am Losverkauf mitgeschnitten werden, sondern es wird eine Beratungsleistung in Rechnung gestellt. Im Falle von lospoint.at handelt es sich um eine Pauschale von 1200 Euro pro Beratung. Alle Anbieter betonen jedoch, nicht organisierend oder veranstaltend an den Verlosungen mitzuwirken. Asbeck sagt, er habe auch keine potenziellen Hausverloser für die Seite angeworben, also nicht gezielt nach Leuten gesucht, die ihr Haus verkaufen wollten. Neben Adria dürfte er aber zumindest auch versucht haben, den Verloser des Anwesens am Semmering für seine Webseite zu gewinnen. Dieser lehnte ab und stellte seinen "Luxusbungalow" selbst ins Netz.


Auch Radu Adria selbst hat nun eine eigene Seite ( www.hausverlosung-wien.at), um nicht länger mit dem Verkauf der Lose für sein Ottakringer Anwesen warten zu müssen. Doch auch seine Stimmung könnte noch getrübt werden. Bislang war unklar, wann die vom Finanzamt in Rechnung gestellte Wettgebühr von zwölf Prozent je verkauftes Los zu entrichten ist. Harald Waiglein, Pressesprecher im Finanzministerium, stellt jedoch klar: "Unabhängig davon, ob die Verlosung stattfindet oder nicht und wie viele Lose verkauft werden, für die verkauften Lose ist die Gebühr zu entrichten."


Das heißt, verkauft Adria nur 15.000 anstelle der zur Durchführung der Verlosung notwendigen 16.000 Lose, würden auch ihm Kosten von knapp 180.000 Euro entstehen die freilich nicht er selbst zu tragen hätte, sondern Kosten, die dem einzelnen Losverkäufer gegenverrechnet würden. Vorerst plant Adria jedoch, noch kommende Woche mit dem Losverkauf zu beginnen. Wohin er später ziehen wird, kann er noch nicht sagen. Möglicherweise auf den Semmering. Auch er hat sich ein 99-Euro-Los für den Luxusbungalow gekauft.

2009/01/13

Ausweitung der Kampfzone















"Falter" Nr. 03/09 vom 14.01.2009





Im Gazakrieg werden Journalisten ausgesperrt. Blogs, YouTube und Facebook ersetzen ihre Arbeit kaum


Text: Martin Gantner

Hören Sie die Flugzeuge?", fragt Karim El-Gawhary mit lauter Stimme ins Telefon. "Vielleicht knallt's gleich wieder." El-Gawhary steht am Rand einer belebten Straße der geteilten Stadt Rafah. Er befindet sich auf der ägyptischen Seite, möchte jedoch in den palästinensischen Stadtteil hinüber. El-Gawhary ist Korrespondent des ORF im Nahen Osten, und er ist frustriert. Der Grund: Der seit knapp drei Wochen andauernde Krieg im Gazastreifen findet ohne ihn und seine Kollegen statt. Die israelische Armee hat ausländischen Medienvertretern den Zugang zu dem 40 Kilometer kleinen Landstrich schon vor zwei Monaten, also lange vor den israelischen Angriffen auf den Gazastreifen, untersagt. Während die Zivilbevölkerung nicht aus dem Krisengebiet rauskann, kommen die Journalisten nicht hinein. El-Gawhary nennt den Gazastreifen deshalb ein großes Freiluftgefängnis und den Umgang mit Medienvertretern Zensur. "Ich habe schon einige Krisen erlebt, aber nur auf andere Quellen angewiesen zu sein, nicht vor Ort sein zu können, das ist sehr frustrierend.

Andere Quellen, damit meint er Telefonate mit palästinensischen Familien im Krisengebiet, mit Ärzten und mit seinen Kontakten vor Ort. El-Gawhary meint Medienberichte junger palästinensischer Journalisten und die neuen Medien: Blogs, Onlinemedien, Social-Networking-Plattformen wie Facebook, flickr, YouTube und Twitter. Doch eben jene neuen Medien geraten in der aktuellen Krise ins Zwielicht. Denn der Krieg zwischen Israelis und Palästinensern findet nicht mehr nur in Gaza und Umgebung statt, der Krieg wurde mittlerweile auch zu einem Krieg der Medien selbst.

"Die Blogosphäre und die neuen Medien sind eine weitere Kriegszone", sagte selbst eine Sprecherin der israelischen Armee (IDF). "Wir müssen dort präsent sein." Seit Ende Dezember gibt es auf YouTube einen eigenen Videokanal des IDF. 35 Videos sind online. Darauf zu sehen war beispielsweise ein gezielter Beschuss eines Transporters, den palästinensische Kämpfer angeblich mit Grad-Raketen beladen. Wie die israelische Menschenrechtsorganisation Betselem später berichtete, handelte es sich bei den Raketen um Sauerstoffflaschen, bei den Terroristen um einfache Zivilisten. Acht Menschen kamen dabei ums Leben. Ein anderes Video zeigt einen Angriff auf eine Moschee, die als Waffenversteck der Hamas gedient haben soll. Über 200.000 User haben den Kurzfilm schon geklickt. YouTube hatte anfangs noch vereinzelte Videos vom Netz genommen und untersucht. Nachdem keine Verletzungen von Nutzungsbedingungen vorgelegen seien, wurden die Videos wieder online abrufbar gemacht.

Aber auch die radikale Palästinenserorganisation Hamas führt einen Onlinekrieg gegen die Israelis. Islamistische Hacker haben bis dato rund 10.000 israelische Webseiten gehackt und mit antiisraelischen Parolen und Bildern versehen. Die meisten Angriffe sollen aus Marokko, dem Libanon, der Türkei und aus dem Iran kommen. Das israelische Militär konterte vergangene Woche mit einer Radiobotschaft im Gazastreifen. Darin wurde laut französischer Nachrichtenagentur AFP verkündet, dass sich die Hamas-Führung in Bunkern und Krankenhäusern verstecke.

Es hat den Anschein, als seien die Zeiten vorbei, da es politischen Aktivisten und Regimekritikern zwischen Syrien, China, Iran und Irak vorbehalten war, sich im Netz zu organisieren. Die Regierungen haben dazugelernt. Sie zensurieren die Inhalte nicht mehr nur, wie in China oder im Iran, sie werden - wie der aktuelle Krieg zeigt - selbst zu Bloggern, stellen Videos online und informieren die Bevölkerung über neue Medienkanäle wie Barack Obama die Amerikaner zu Wahlkampfzeiten. Nachrichtenselektion und Aufbereitung von Themen soll dabei nicht den etablierten Massenmedien überlassen werden.

Doch Macht und Ohnmacht der Regierungen im Umgang mit dem Internet liegen nah beieinander. Letztere offenbart sich dem, der einen Blick in den letzten Jahresbericht von Reporter ohne Grenzen wirft (ROG): Das Jahr 2008 wird dabei auch als jenes Jahr in Erinnerung bleiben, in dem erstmals ein Mann getötet wurde, der sich als "Bürgerjournalist" im Internet engagierte. Kommunale Polizeibeamte erschlugen den chinesischen Unternehmer Wie Wenhua, als er am 7. Jänner des vergangenen Jahres einen Zusammenstoß zwischen Demonstranten und der chinesischen Polizei filmte.

Weltweit sitzen zurzeit 72 Blogger hinter Gittern. Zuletzt sorgte der Fall des burmesischen Bloggers Zarganar für Aufsehen, weil er im November 2008 zu 59 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Kurz zuvor war auch der Blogger Nay Phone Latt zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Insgesamt wurden in 37 Ländern Fälle von Onlinezensur dokumentiert: Allen voran Syrien mit 162 zensierten Webseiten, China mit 93 sowie der Iran mit 38 Seiten. In China gibt es hierfür eigens ein an die Regierung angegliedertes Büro für Internetpropaganda sowie ein Büro für Information und öffentliche Meinung und ein sogenanntes Internetbüro. Laut ROG sind die beiden Letzteren Ableger der ehemaligen Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei. Aus diesem Grund hatte die Non-Profit-Organisation das weltweit erste "Handbuch für Blogger und Internet-Dissidenten" herausgegeben, das erklären soll, wie man online anonym bleiben und der staatlichen Zensur und somit jahrzehntelanger Haft entgehen kann.

Für El-Gawhary waren Blogs im Irak- und Libanonkrieg ebenfalls eine bedeutende Informationsquelle. Auch in der aktuellen Krise in Gaza sind es nicht nur die israelische Regierung und die Hamas, welche das Web für ihre jeweils einseitige Sicht des Krieges nutzen. Es gibt auch hier kritische Beobachter, Blogger und Bürgerjournalisten, die von den Geschehnissen aus ihrem unmittelbaren Umfeld berichten. Auf Webseiten wie crisiswire und socialmention wird auf solch unparteiische Stellen verwiesen. Wann El-Gawhary wieder in den Gazastreifen reisen kann, weiß derzeit wohl nur die israelische Regierung. Der Journalist ist überzeugt, dass diese Informationspolitik nicht erfolgreich sein wird. "Man kann Journalisten aussperren, aber nicht Informationen."