2009/01/21

Herr Macek grüßt die Götter





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Dieter Macek hat 5640 Götter zu einem gigantischen Stammbaum antiker Mythologie vereinigt

Text: Martin Gantner



Vor kurzem hat Dieter Macek noch einen Gott gefunden. Keinen, an den er glauben würde - Macek ist schon vor Jahren aus der Kirche ausgetreten -, sondern einen, den er verwaltet und inventarisiert wie davor bereits 5639 andere Götter: Er trägt ihn an passender Stelle auf eine Leinwand auf und legt ein eigenes Kapitel in einem Handbuch an. Macek kennt alle in der antiken Literatur erwähnten Götter- und Heldenfiguren und hat diese in 33 Jahren Arbeit zu einer einzigartige Genealogie der griechischen Götterfiguren zusammengetragen: 5640 mit Hand geschriebene Namen auf 65 Quadratmetern, dazu ganze 10.600 Seiten mit Begleittexten. Ein Mammut-, vor allem aber auch ein Lebenswerk. Der Gott Kronos neben dem blutigen Geschlecht der Tantaliden, Medea neben Poseidon und über allen Gottheiten das Chaos, aus dem diese einst hervorgegangen waren.

Macek sitzt in einem italienischen Lokal in Bregenz. Der 66-Jährige muss sich konzentrieren, um Zeus, dessen Kinder und Kindeskinder, um die sieben Todesarten des Odysseus, die Liebschaften des Herakles und die Heldentaten des Agamemnon nicht durcheinanderzubringen. Er nennt ein um die andere Jahreszahl: Salbungen, Krönungen, Legenden und noch mehr Mythen.

Salzburg -Paris - Egg

Hier spricht kein Gelehrter, kein Universitätsprofessor, sondern ein pensionierter Bahnhofsvorsteher der Österreichischen Bundesbahnen. Er sieht zufrieden aus. Gemeinsam mit dem Schriftsteller Michael Köhlmeier präsentierte Macek vergangene Woche sein Werk in der Vorarlberger Landesbibliothek der Öffentlichkeit. "Es ist ein Zeichen der Aufklärung", sagt er frei von Ironie. "Es ist in erster Linie ein politisches, kein wissenschaftliches Werk."

Um zu erklären, was er damit meint, holt Macek aus und erzählt von Homers "Odyssee" und der Odyssee seines eigenen Lebens; von seiner Zeit als Kochlehrling in Salzburg; von den ersten Opernaufführungen bei den Festspielen, die er nicht verstand; von den Pariser Maiunruhen im Jahr 1968. Macek war dabei und wurde in dieser Zeit politisiert wie so viele andere auch, begeisterte sich für linke Ideen, alternative Lebensformen, vor allem aber für die Aufklärung: "Ich wollte die Aufklärung in den Bregenzerwald bringen."

Religionen sind relativ

Nach drei Monaten Paris kehrt er zurück ins tiefkatholische Vorarlberg - nach Egg im Bregenzerwald. Gemeinsam mit Freunden veranstaltet er Diskussionsabende und lädt Universitätsprofessoren in Gemeindesäle. "Die Aufklärung hat sich heute durchgesetzt", sagt Macek 40 Jahre später. Selbstverständlich sei das jedoch nicht. "Jeder Mensch, jede Generation muss immer wieder von neuem aufgeklärt werden."

In jener Zeit organisiert er auch ein erstes multikulturelles Fest - die ersten türkischen Gastarbeiterfamilien waren gerade nach Vorarlberg gekommen. Religion ist ein Thema, das ihn bis heute bewegt und das ihn während seiner Arbeit an der Genealogie der Götter ständig begleitet hat. "Ich will anhand der griechischen Mythologie zeigen, wie sich Religionen über Jahrhunderte verändern und letztlich relativieren. Deshalb ist mein Werk ein politisches Werk. Religionen entstehen und vergehen."

Die Kenntnis der Götter und der Heldentaten lasse die heutigen Religionen in einem anderen Licht erscheinen. So waren viele Traditionen des Christentums bereits vorhanden, noch bevor es dieses überhaupt gab: Asklepios konnte Tote zum Leben erwecken, Erginos und Orion konnten übers Wasser laufen, die Oinotropoi Wasser in Wein verwandeln, Hippolytos fuhr nach seinem Tod in den Himmel, und Minos erinnert an Moses, erhielt er doch von Zeus Gesetze, die ihn befähigen sollten, die Menschheit zu führen.

Freiheitsdrang und Mythos

"Lesen Sie Homers, Odyssee'", empfiehlt Macek in strengem Ton. "Mit ihr beginnt die Aufklärung. Odysseus war der Erste, der sich gegen den Willen der Götter gestellt hat." Der Drang des Menschen nach Freiheit liege bereits im Mythos begründet, erklärt der ehemalige Eisenbahner ein wenig aufgeregt. "In der griechischen Mythologie kommt bereits alles vor. Deshalb finden sich auch so viele Menschen in diesen Geschichten wieder." Auch Macek fand sich in ihnen wieder und folgte den Pfaden seiner Götter auf dem Fahrrad. In vier Wochen überquerte er die Peloponnes - "ein ständiges Auf und Ab"; er reiste rund 30 Mal nach Rom. Seine Genealogie der Götter ist ein Projekt, das nun nach über drei Jahrzehnten ein vorläufiges Ende gefunden hat.

Innerhalb der nächsten zehn Jahre möchte Dieter Macek sein Handbuch überarbeiten, redigieren, ergänzen, kürzen und - ganz im Sinne der Aufklärung - "noch einmal von vorne beginnen".

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