2009/01/13

Ausweitung der Kampfzone















"Falter" Nr. 03/09 vom 14.01.2009





Im Gazakrieg werden Journalisten ausgesperrt. Blogs, YouTube und Facebook ersetzen ihre Arbeit kaum


Text: Martin Gantner

Hören Sie die Flugzeuge?", fragt Karim El-Gawhary mit lauter Stimme ins Telefon. "Vielleicht knallt's gleich wieder." El-Gawhary steht am Rand einer belebten Straße der geteilten Stadt Rafah. Er befindet sich auf der ägyptischen Seite, möchte jedoch in den palästinensischen Stadtteil hinüber. El-Gawhary ist Korrespondent des ORF im Nahen Osten, und er ist frustriert. Der Grund: Der seit knapp drei Wochen andauernde Krieg im Gazastreifen findet ohne ihn und seine Kollegen statt. Die israelische Armee hat ausländischen Medienvertretern den Zugang zu dem 40 Kilometer kleinen Landstrich schon vor zwei Monaten, also lange vor den israelischen Angriffen auf den Gazastreifen, untersagt. Während die Zivilbevölkerung nicht aus dem Krisengebiet rauskann, kommen die Journalisten nicht hinein. El-Gawhary nennt den Gazastreifen deshalb ein großes Freiluftgefängnis und den Umgang mit Medienvertretern Zensur. "Ich habe schon einige Krisen erlebt, aber nur auf andere Quellen angewiesen zu sein, nicht vor Ort sein zu können, das ist sehr frustrierend.

Andere Quellen, damit meint er Telefonate mit palästinensischen Familien im Krisengebiet, mit Ärzten und mit seinen Kontakten vor Ort. El-Gawhary meint Medienberichte junger palästinensischer Journalisten und die neuen Medien: Blogs, Onlinemedien, Social-Networking-Plattformen wie Facebook, flickr, YouTube und Twitter. Doch eben jene neuen Medien geraten in der aktuellen Krise ins Zwielicht. Denn der Krieg zwischen Israelis und Palästinensern findet nicht mehr nur in Gaza und Umgebung statt, der Krieg wurde mittlerweile auch zu einem Krieg der Medien selbst.

"Die Blogosphäre und die neuen Medien sind eine weitere Kriegszone", sagte selbst eine Sprecherin der israelischen Armee (IDF). "Wir müssen dort präsent sein." Seit Ende Dezember gibt es auf YouTube einen eigenen Videokanal des IDF. 35 Videos sind online. Darauf zu sehen war beispielsweise ein gezielter Beschuss eines Transporters, den palästinensische Kämpfer angeblich mit Grad-Raketen beladen. Wie die israelische Menschenrechtsorganisation Betselem später berichtete, handelte es sich bei den Raketen um Sauerstoffflaschen, bei den Terroristen um einfache Zivilisten. Acht Menschen kamen dabei ums Leben. Ein anderes Video zeigt einen Angriff auf eine Moschee, die als Waffenversteck der Hamas gedient haben soll. Über 200.000 User haben den Kurzfilm schon geklickt. YouTube hatte anfangs noch vereinzelte Videos vom Netz genommen und untersucht. Nachdem keine Verletzungen von Nutzungsbedingungen vorgelegen seien, wurden die Videos wieder online abrufbar gemacht.

Aber auch die radikale Palästinenserorganisation Hamas führt einen Onlinekrieg gegen die Israelis. Islamistische Hacker haben bis dato rund 10.000 israelische Webseiten gehackt und mit antiisraelischen Parolen und Bildern versehen. Die meisten Angriffe sollen aus Marokko, dem Libanon, der Türkei und aus dem Iran kommen. Das israelische Militär konterte vergangene Woche mit einer Radiobotschaft im Gazastreifen. Darin wurde laut französischer Nachrichtenagentur AFP verkündet, dass sich die Hamas-Führung in Bunkern und Krankenhäusern verstecke.

Es hat den Anschein, als seien die Zeiten vorbei, da es politischen Aktivisten und Regimekritikern zwischen Syrien, China, Iran und Irak vorbehalten war, sich im Netz zu organisieren. Die Regierungen haben dazugelernt. Sie zensurieren die Inhalte nicht mehr nur, wie in China oder im Iran, sie werden - wie der aktuelle Krieg zeigt - selbst zu Bloggern, stellen Videos online und informieren die Bevölkerung über neue Medienkanäle wie Barack Obama die Amerikaner zu Wahlkampfzeiten. Nachrichtenselektion und Aufbereitung von Themen soll dabei nicht den etablierten Massenmedien überlassen werden.

Doch Macht und Ohnmacht der Regierungen im Umgang mit dem Internet liegen nah beieinander. Letztere offenbart sich dem, der einen Blick in den letzten Jahresbericht von Reporter ohne Grenzen wirft (ROG): Das Jahr 2008 wird dabei auch als jenes Jahr in Erinnerung bleiben, in dem erstmals ein Mann getötet wurde, der sich als "Bürgerjournalist" im Internet engagierte. Kommunale Polizeibeamte erschlugen den chinesischen Unternehmer Wie Wenhua, als er am 7. Jänner des vergangenen Jahres einen Zusammenstoß zwischen Demonstranten und der chinesischen Polizei filmte.

Weltweit sitzen zurzeit 72 Blogger hinter Gittern. Zuletzt sorgte der Fall des burmesischen Bloggers Zarganar für Aufsehen, weil er im November 2008 zu 59 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Kurz zuvor war auch der Blogger Nay Phone Latt zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Insgesamt wurden in 37 Ländern Fälle von Onlinezensur dokumentiert: Allen voran Syrien mit 162 zensierten Webseiten, China mit 93 sowie der Iran mit 38 Seiten. In China gibt es hierfür eigens ein an die Regierung angegliedertes Büro für Internetpropaganda sowie ein Büro für Information und öffentliche Meinung und ein sogenanntes Internetbüro. Laut ROG sind die beiden Letzteren Ableger der ehemaligen Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei. Aus diesem Grund hatte die Non-Profit-Organisation das weltweit erste "Handbuch für Blogger und Internet-Dissidenten" herausgegeben, das erklären soll, wie man online anonym bleiben und der staatlichen Zensur und somit jahrzehntelanger Haft entgehen kann.

Für El-Gawhary waren Blogs im Irak- und Libanonkrieg ebenfalls eine bedeutende Informationsquelle. Auch in der aktuellen Krise in Gaza sind es nicht nur die israelische Regierung und die Hamas, welche das Web für ihre jeweils einseitige Sicht des Krieges nutzen. Es gibt auch hier kritische Beobachter, Blogger und Bürgerjournalisten, die von den Geschehnissen aus ihrem unmittelbaren Umfeld berichten. Auf Webseiten wie crisiswire und socialmention wird auf solch unparteiische Stellen verwiesen. Wann El-Gawhary wieder in den Gazastreifen reisen kann, weiß derzeit wohl nur die israelische Regierung. Der Journalist ist überzeugt, dass diese Informationspolitik nicht erfolgreich sein wird. "Man kann Journalisten aussperren, aber nicht Informationen."

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