2009/07/15

Friss Vogel, oder stirb, sprach der Verleger


In der Zeitungsbranche geht’s rund. Die Verlage lagern aus und umgehen Verträge. Droht das Ende der Meinungsfreiheit?


mit Andreas Bachmann für Falter



Herbert Geyer ist erschöpft. Seit Wochen herrscht im Haus der Tageszeitung Wirtschaftsblatt, bei der er als Journalist arbeitet, Ausnahmezustand. Seit dem 25. Juni ist eine „permanente Betriebsversammlung“ einberufen. Das heißt, die Belegschaft kann jederzeit die Arbeit niederlegen und sich beraten, wie der Arbeitskampf mit der Betriebsführung der zur Styria-Verlagsgruppe gehörenden Tageszeitung weitergeführt werden soll. Der Betriebsratschef Geyer spricht von einem „konzernweiten Streik“ als letzter Waffe. Grund für den Aufstand: Vor knapp drei Wochen präsentierte Wirtschaftsblatt-Geschäftsführer Hans Gasser rigorose Sparpläne, um die Anzeigenkrise in den Griff zu bekommen, in der sich das Blatt befinde. Kurz davor hatte der Betriebsrat der Geschäftsführung noch Vorschläge unterbreitet, um in wirtschaftlich schweren Zeiten „einen gemeinsamen Weg aus der Krise zu finden“.

Die Wirtschaftsblatt Verlag AG soll ab 1. Oktober in vier Tochterfirmen gegliedert werden. 60 von rund 80 Mitarbeitern sollen in der Wirtschaftsblatt Agentur GmbH angestellt werden und Zeitung sowie Onlineauftritt mit Inhalten beliefern. Bezahlt werden sie dabei allerdings nicht mehr nach Kollektivvertrag (KV) für Journalisten, sondern nach dem für Verleger günstigeren Gewerbe-KV. Darüber hinaus sollten die Mitarbeiter „freiwillig“ auf fünf bis zehn Prozent ihres Gehalts verzichten – zumindest bis Montag dieser Woche. Da ruderte die Geschäftsführung zurück. Man sei zu der Auffassung gelangt, dass man die für einen freiwilligen Gehaltsverzicht erhoffte Zustimmung von 70 Prozent der Betroffenen nicht erreichen werde, so Vorstandsvorsitzender Hans Gasser zur APA. Am Vorhaben, die Redakteure des Wirtschaftsblatts in einen kostengünstigeren Kollektivvertrag auszugliedern, hält er weiter fest.

So wie Geyer geht es derzeit vielen Betriebsräten von Medienhäusern in ganz Österreich. Seit geraumer Zeit gründen ihre Vorgesetzten in den Verlagen neue Gesellschaften, um in Zeiten des Internets „eine Bresche in die Zukunft zu schlagen“, sagt Horst Pirker, Vorstandvorsitzender des Styria Verlags. Nebeneffekt: Journalisten werden nach dem deutlich günstigeren Gewerbe-KV oder auch dem KV für Werbung und Marktkommunikation angestellt. Nach Gewerbetarif bezahlt werden bisher Berufsgruppen wie Steinmetze, Augenoptiker und Hörgeräteakustiker und – geht es nach den Verlegern – in Zukunft auch Journalisten. Ihnen ist es inzwischen schlicht zu teuer geworden, nach Journalisten-KV zu bezahlen. Dazu sei dieser Vertrag auch noch gespickt mit Privilegien und in Zeiten des digitalen Wandels nicht mehr zeitgemäß. „Die Zeit, in der wir uns solche Standards leisten können, ist eindeutig vorbei“, sagt Styria-Chef Pirker. Die Differenz zwischen Gewerbe-KV und Journalisten-KV bezogen auf die Gesamtkosten für das Unternehmen, dürfte im Verlauf der ersten sechs Jahre einer Anstellung rund 60.000 Euro pro Vertrag betragen, behaupten betroffene Journalisten. Kosten, die sich ein Verlerger spart. Von Vorarlberg über Graz bis Wien entstanden so im vergangenen Jahr neue Gesellschaften wie die Content Engine des Styria-Konzerns, das Moho News Center der Moser Holding (Tiroler Tageszeitung) oder die VOL Live GmbH des Vorarlberger Medienhauses (Vorarlberger Nachrichten). Auch bei der Austria Presse Agentur wurde sehr zum Unmut der Mitarbeiter vor kurzem beschlossen, freie und neuangestellte Mitarbeiter in Zukunft nur noch nach Gewerbetarif zu entlohnen. Der Hintergrund ist klar: Als Genossenschaft gehört die APA den Verlagen und somit auch der Styria-Gruppe.

Der zunehmende Konflikt zwischen Journalisten und Gewerkschaft auf der einen sowie Verlegern auf der anderen Seite wirft Fragen danach auf, wie Journalismus in Zeiten der Wirtschaftskrise und des Internets künftig organisiert werden kann und soll und welchen Preis Verleger dafür zu zahlen bereit sind. Seit April verhandelt der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) und die Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp) über einen neuen Kollektivvertrag, der die zunehmende Flucht der Verleger aus tariflichen Bindungen stoppen und eine Vereinbarung für alle Journalisten schaffen soll. Schätzungen der Gewerkschaft zufolge sind nur mehr rund ein Drittel aller 7100 in Österreich tätigen Journalisten nach dem Tarifvertrag ihres Berufsstands angestellt. Daneben gibt es eine große Zahl freier Journalisten. „Mehr als der Hälfte der frei Beschäftigten würde eigentlich ein Kollektivvertrag zustehen“, sagt der oberste Journalistengewerkschafter Franz C. Bauer. Auch aus diesem Grund wurde beim ÖGB-Bundeskongress Anfang Juli ein Leitantrag der GPA angenommen, das Berufsbild des Journalisten im Kollektivvertrag neu zu definieren, der auf das Jahr 1928 zurückgeht.

Bislang sind die Fronten verhärtet. „Der Ball liegt bei der Gewerkschaft“, sagt Hermann Petz, Geschäftsführer der Tiroler Moser Holding, zum Stand der Verhandlungen. Schon Ende April hätten die Verleger der Gewerkschaft einen Vertragsentwurf vorgelegt. „Stimmt, der Ball liegt tatsächlich bei mir“, entgegnet Gewerkschafter Bauer. Dass er noch nicht zurückgepasst und die Gewerkschaft die Verhandlungen unterbrochen hat, liege aber an der Gegenseite. „Man verlangt von uns, über einen neuen KV zu verhandeln und gleichzeitig werden von unserem Gegenüber bestehende Verträge permanent gebrochen“, sagt Bauer. „Das läuft auf einen Arbeitskampf hinaus.“ Bauer sieht durch die gegenwärtigen Entwicklungen vor allem die innere Meinungsfreiheit des einzelnen Journalisten in Gefahr. „In einem gewerblichen Kollektivvertrag wird auf keinerlei redaktionelles Umfeld Rücksicht genommen. Was soll Journalismus denn für ein Gewerbe sein?“ Ein ganz normales, sagen die Verleger. „Medienunternehmen unterscheiden sich nicht von anderen Unternehmen“, sagt Horst Pirker von der Styria-Verlagsgruppe.

Der Journalisten-KV regelt nicht nur das 15. Monatsgehalt. Kündigungs- und Abfertigungsregeln sollen die „innere Meinungsfreiheit“ garantieren, betont Bauer. Für ihn steht fest: „Das ist ein Krieg gegen den Journalismus. Die Verleger wollen sich anscheinend selbst nicht eingestehen, dass sie dabei sind, einen ganzen Berufsstand abzuschaffen.“ Er bereite jedenfalls „gerichtliche Schritte“ gegen die Content Engine der Presse vor, die er als „eine ähnliche, völlig inakzeptable Flucht aus dem Kollektivvertrag“ bezeichnet. Die Content Engine ist eine unter dem Dach der Tageszeitung Die Presse angesiedelte Agentur, die Print-, Online- und Fotoredaktion mit Inhalten beliefert. Die dort arbeitenden Mitarbeiter werden nach Gewerbetarif bezahlt. Wer dagegen klage, der „klagt gegen die Zukunft“, pflegt Verlagsgruppenchef Pirker auf solche Drohungen zu entgegnen. Er sieht keinen Unterschied zwischen einem Journalisten und einem Augenoptiker. Daher könne auch für beide derselbe KV gelten: „Journalisten sind normale Menschen wie andere Menschen auch und keine seltenen Tiere.“ Daher sei es auch nicht zwingend notwendig, mit einem neuen Kollektivvertrag mehr Leute einzustellen. „Denn man kann auch mit weniger Personal mehr Qualität erzeugen.“

Was Journalismus für die Gesellschaft leisten soll, darüber gehen die Meinungen auseinander. Das fange aber schon beim Leser an, sagt der Medienwissenschaftler Matthias Karmasin. „Der kann kaum unterscheiden, ob Qualität da ist oder nicht.“ Das würden die Verleger derzeit ausnutzen. „Die können den Betrieb runterfahren, ohne dass es sich auf die Leserzahlen auswirkt“, sagt Karmasin. Ob eine Zeitung aus Vorarlberg und eine aus der Steiermark den wortgleichen Artikel abdruckt, merkt kaum ein Leser. Ob von einem innenpolitischen Ereignis nur mehr ein Journalist und nicht zwei berichten, macht möglicherweise schon einen Unterschied. „Da geht es um Qualität von Öffentlichkeit. Die kann man nicht schrankenlos nach unten nivellieren“, sagt Karmasin. Dass es dennoch geschehe liege auch im Versagen der Medienpolitik begründet, „die nicht die Frage stellt, ob wir wollen, dass dort Menschen arbeiten, die heute einen PR-Artikel, morgen eine Beilage und übermorgen mal einen politischen Leitartikel schreiben“. Dass der Berufsstand des Journalisten besonderer Schutzmechanismen bedürfe, darüber sind sich der Medienwissenschaftler und der Gewerkschafter einig. „Wir haben eine spezielle Arbeitssituation. Journalismus hat eine große Bedeutung für die Demokratie und trägt dazu bei, Missstände aufzudecken“, sagt Bauer. Kann schon sein, sagen die Verleger, aber mit dem Kollektivvertrag habe das nichts zu tun. „Der KV ist sicher keine Voraussetzung für Qualitätsjournalismus“, sagt Eugen Russ vom Vorarlberger Medienhaus und verweist auf die USA, Großbritannien und die Schweiz. Länder, in denen es keinen KV für Journalisten gibt, aber „genügend Beispiele für hervorragenden Journalismus“. Dass es dem Medienzaren aus dem Ländle um Qualität geht, glaubt Gewerkschafter Bauer nicht. „Den Herren interessieren Journalisten nicht. Den Herrn Russ interessieren nur Kostenstellen“, unterstellt er.

In der Branche herrscht Unsicherheit darüber, welche Rechte und Pflichten und welche Gesetze in welchem Ausmaß für welchen Vertrag Gültigkeit besitzen. „Sicher ist, dass das Journalistengesetz unabhängig vom KV gilt“, sagt Hannes Schneller, Experte der Arbeiterkammer (AK). Selbiges gelte auch für Haftungsfragen. Auch daran würde sich mit dem KV-Wechsel nichts ändern. Dennoch erwägt die AK, gemeinsam mit der Gewerkschaft ein besonderes Feststellungsverfahren beim Obersten Gerichtshof zu erwirken, „um die Gültigkeit dieser Kollektivverträge überprüfen zu lassen“. Währenddessen dauert die permanente Betriebsversammlung beim Wirtschaftsblatt weiter an. Doch Geyer scheint zu ahnen, dass die Lösung des Problems Zugeständnisse beider Parteien bedarf: „Aber die bloße Tatsache, dass man glaubt, mit uns Journalisten umgehen zu können wie mit Masseuren, verrät einen gewissen Geist, mit dem die Verleger uns Journalisten gegenübertreten.“

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