2009/08/12

Das Schweinegeschäft





Wie die Pharmaindustrie mit dem weltweiten Grippewahn Milliarden verdient

für Falter

Der Druck ist enorm. „Die Grippe kam praktisch über Nacht, und Fehler darf man sich keine leisten.“ Thomas Geiblinger wählt seine Worte mit Bedacht. Der Pressesprecher von Gesundheitsminister Alois Stöger wägt ab, warnt und beruhigt zugleich. Die Pandemie zu leugnen wäre sinnlos, sie zu beschwören gefährlich. Denn eines soll auf alle Fälle vermieden werden: „unbegründete Hysterie“.

Seit drei Monaten hat die Schweinegrippe die Welt fest im Griff. 153 Länder – darunter Österreich – sind bereits betroffen. 208.000 Menschen sind oder waren mit dem Virus infiziert. 1688 Menschen starben an den Folgen der Grippe. In Österreich gab es bis zu Wochenbeginn 192 Infektionen, aber noch keinen Todesfall. „Wir müssen aber davon ausgehen, dass auch hier Menschen an dem Virus sterben werden“, sagt Geiblinger.

Noch ist die Schweinegrippe aber nicht gefährlicher als jede andere saisonale Grippe. Jährlich sterben allein in Österreich etwa 1000 Personen an einer Influenza oder deren Folgen. Das ändert freilich nichts daran, dass täglich neue Schreckensmeldungen in den Medien auftauchen. Einer Fieberkurve gleich folgt auf jede Warnung eine sofortige Entwarnung. Hinzu kommen Berichte über Katakomben in England, die im Notfall zu Massengräbern umfunktioniert werden sollen. In Mexiko finden Fußballspiele vor verwaisten Rängen statt, und in Neuseeland werden Menschen, die glauben infiziert zu sein, gebeten, mit dem Auto vor dem Spital vorzufahren, mehrmals zu hupen, doch das Gefährt aus Sicherheitsgründen nicht zu verlassen.

„Es ist bis jetzt wie eine große Übung“, sagt Theresia Popow-Kraupp, Leiterin des nationalen Influenza-Centers der WHO in Wien. Eine Übung für den Fall, dass irgendwann ein Virus auftaucht, das nicht nur ansteckend wie die Schweine-, sondern auch tödlich wie die Vogelgrippe ist.

Doch von dieser „Übung“ profitiert derweil vor allem die Pharmaindustrie. Kein Staats- und Regierungschef möchte als jener in die Geschichte eingehen, der weder Medikamente noch Impfstoff vorrätig hatte, als es darauf ankam. „Die Regierungen setzen einander unter Druck, indem sie Impfvorräte in unterschiedlichem Ausmaß bestellen“, sagt Geiblinger.

Im Herbst sollen die Staaten mit den heißbegehrten Impfstoffen, auch Vakzine genannt, beliefert werden können. Die österreichische Bundesregierung hat mit Baxter schon vor Jahren einen Vorvertrag für 16 Millionen Impfdosen abgeschlossen. Novartis und GlaxoSmithKline haben den Deutschen zugesagt, im Ernstfall 160 Millionen Dosen zur Verfügung zu stellen. Die Franzosen haben Vakzine im Wert von einer Milliarde Euro geordert. Und die USA haben Pharmafirmen bereits 660 Millionen Euro überwiesen, weitere 880 Millionen Euro sollen folgen. Novartis verhandelt nach eigenen Angaben mit mehr als 35 Regierungen über Lieferungen im Herbst.

Aber auch ein Verkaufsschlager aus dem Jahre 2005 feiert sein Comeback: Tamiflu. Das Pharmaunternehmen Roche konnte seinen Umsatz mit dem Grippemedikament im ersten Halbjahr bereits verdreifachen. Immerhin hatte die WHO zuvor empfohlen, für 20 Prozent der Bevölkerung Grippemittel bereitzuhalten. Schon zum Höhepunkt der Vogelgrippe ließ das Mittel die Kassen klingeln. Damals investierte US-Präsident George Bush auf Anraten seines Verteidigungsministers Donald Rumsfeld in ein Vorsorgeprogramm für 3,8 Milliarden Dollar. „Rumsfeld war bis 2001 Aufsichtsrat und Miteigentümer der Biotechfirma Gilead Sciences. Jener Firma, die Tamiflu entwickelte, ehe Roche 1996 die Rechte zur Herstellung gekauft hat“, schreibt der renommierte österreichische Gesundheitsjournalist Martin Rümmele.

Egal ob Schweine- oder Vogelgrippe, auch dieses Mal soll Tamiflu im Kampf gegen das Virus helfen. Unter Experten gilt das Medikament bereits als Chiffre für einen Verkaufsschlager, der einer strauchelnden Industrie zuverlässige Gewinne beschert. Denn seit den 80er-Jahren werden Kassenschlager immer seltener. Medikamente werden oft nur noch im Detail geändert, um Kosten zu sparen. „Der Großteil neuer Pillen sind keine teuren Innovationen“, sagt Rümmele im Gespräch mit dem Falter. Zwischen 1998 und 2003 seien in den USA etwa 487 Medikamente auf den Markt gekommen. Die nationale Gesundheitsbehörde stufte 78 Prozent davon als nicht besser ein als bereits vorhandene Produkte.

Auch Tamiflu war nicht das erste Medikament seiner Art. Unter anderem führten auch gut vermarktete Studien zum Erfolg. Der Grazer Public-Health-Experte Martin Sprenger kam in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass von 17 Studien über den Tamiflu-Wirkstoff Oseltamivir, die im Zeitraum zwischen 1999 und 2005 erschienen, ganze zehn Studien direkt von Roche gesponsert waren. Bei weiteren vier war das Unternehmen indirekt beteiligt, und nur bei drei Studien habe es keinen Interessenkonflikt gegeben.

Claudia Wild ist Expertin am Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment in Wien. Sie sagt, dass die Wirkung der Behandlung einer normalen Grippe mit Medikamenten wie Tamiflu in keinerlei Verhältnis zu den Kosten stehe. Die Symptomdauer ließe sich um höchstens einen halben bis zwei Tage verkürzen. Auch zum Thema Impfstoff fällt Wild nicht viel Positives ein: „Noch weiß niemand, wie wirksam die Impfstoffe sein werden.“ Der Blick in die Vergangenheit zeige aber, dass Länder mit sehr hoher Durchimpfungsrate wie die USA dieselbe Sterblichkeit aufweisen würden wie Länder mit geringer Durchimpfungsrate wie Österreich.

Den österreichischen Sozialmediziner Michael Kunze hält dies freilich dennoch nicht davon ab, auf einer Pressekonferenz zu erklären: „Natürlich würde ich mich impfen lassen.“ Vier Jahre zuvor empfahl Kunze, Tamiflu für alle Familienmitglieder „vorrätig“ zu haben. Der Haken: Kunze wurde damals von der Regierung beauftragt, einen Pandemieplan auszuarbeiten. Ebendieses Tamiflu, das später teuer eingekauft wurde, lagert noch heute millionenfach in Bunkern des Bundesheeres – gemeinsam mit nie verwendeten Grippeschutzmasken. „Natürlich profitiert die Industrie von so einer Grippe“, sagt Kunze, doch im Laufe der Jahre würde man gegen solche Vorwürfe immun.

Auch Roche tritt den Vorwürfen im Zusammenhang mit Tamiflu gelassen entgegen. Die Pressestelle verweist unter anderem auf die WHO, welche das Medikament als wirksam gegen das Virus bezeichnet hat. Darüber hinaus könne man nicht von Profitgier sprechen, wenn ein Unternehmen ein wirksames Medikament gegen eine „potenziell schwere Infektionskrankheit“ zur Verfügung stellt. Außerdem habe man seit 2005 insgesamt zehn Millionen Packungen an die WHO gespendet.

Für den Wiener Medizinsoziologen Wolfgang Dür steht dennoch fest: „Die Mediziner haben sich in der Vergangenheit mit der Industrie ins Bett gelegt. Das Resultat ist eine massive Vertrauenskrise.“ Für den Laien seien nur noch Bauchentscheidungen möglich. „Solange Experten nicht in aller Öffentlichkeit mit Mundschutz rumlaufen, ist eine rationale Entscheidung nicht mehr möglich.“ Denn ihre Glaubwürdigkeit sei längst verspielt. Dem möchte Kunze gleich mit gutem Beispiel entgegentreten: „Ich habe Tamiflu und Relenza zuhause. Und um Ihrer Frage zuvorzukommen: Ich hab beide gekauft und nicht geschenkt bekommen.“


bild flickr.com von mugley

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