2008/10/01

Wunsch nach Führung

ZEIT ONLINE 2008-10-01

Die meisten Stimmen bekamen Österreichs Rechtsparteien von jungen Menschen, jeder dritte Unter-30-Jährige hat sie gewählt. Woher kommt diese rechte Gesinnung?

Wenn in Österreich rechts gewählt wird, heißt es hinterher immer: „Alles halb so schlimm.“ Meinungsforscher, Politikwissenschaftler und Journalisten beeilen sich zu betonen: „Hier haben keine Neonazis gewählt.“ Die Wahl sei Ausdruck des politischen Protests. Gegen die Große Koalition, das politische Establishment, die Europäische Union und vor allem „gegen die da oben“! Selten wird für etwas gestimmt, schon gar nicht für ausländerfeindliche Parolen, selbst dann nicht, wenn sie Schwarz auf Weiß auf Österreichs Wahlplakaten nachzulesen sind: „Deutsch statt nix versteh'n" (FPÖ), oder „Österreich den Österreichern!" (BZÖ), „Ohne Deutschkurs keine Zuwanderung“ (ÖVP), „Asylbetrug heißt Heimatflug“ (FPÖ).

Die Rechtsparteien als Protest- und nicht als Gesinnungsgemeinschaft? Als Begründung für eine Wahlentscheidung kann das nicht genügen. Warum sind immer mehr junge Leute bereit, mit ihrem Protest eine intolerante Politik in Kauf zu nehmen? Das österreichische Meinungsforschungsinstitut Fessel-Gfk hatte nach der Wahl eine Umfrage präsentiert, wonach 33 Prozent der Unter-30-Jährigen die Freiheitliche Partei (FPÖ) von Heinz Christian Strache gewählt haben.

Zusammen erreichten FPÖ und das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) von Jörg Haider gar 43 Prozent unter den Jungwählern. Bei ungelernten Arbeitern schafften die Rechtsparteien mit ihrer Mischung aus sozialer und nationalistischer Politik überhaupt die absolute Mehrheit. Die Gründe für die Wahlentscheidung bilden laut Umfrage eine Trias aus „Protest gegen die Regierung“, „Spitzenkandidat“ und „frischem Wind“ in einem antiquierten System.

Die einstigen Groß- und jetzt nur noch mittelgroßen Zentrumsparteien, SPÖ und ÖVP, ahnten wohl den Erfolg des rechten Lagers und sprangen ebenfalls auf den Wir-sind-wir-Rhetorik-Zug mit auf. Die SPÖ mit ihrer kritischen Haltung zur Europäischen Union, die ÖVP mit ihrer rigiden Asylpolitik. Doch in sicherheitspolitischen Belangen und Fragen der Zuwanderung vertrauten die Wähler vor allem auf FPÖ und BZÖ. Dieser Schritt hat möglicherweise gar den Rechtspopulisten noch zusätzlich Stimmen gebracht. Chirstoph Hofinger vom SORA-Institut, das für den öffentlichen Rundfunk Umfragen erstellt hat, sagt: „Auf gewisse Art und Weise haben SPÖ und ÖVP so dem FPÖ inhaltlich zugestimmt. Ein Negativ-Campaigning gegen Rechts fehlte in diesem Wahlkampf völlig.“ Negativ-Campaigning kam nur aus der rechten Ecke und richtete sich gegen etablierte Parteien, gegen Brüssel und gegen Ausländer. „Es fehlte auch an Hoffnungsbotschaften.“

Dabei hätten gerade Österreichs Jugendliche Hoffnungsbotschaften bitter nötig. „Es gibt eine große Zukunftsangst bei den Jugendlichen. Der Wert ist im Vergleich zu anderen Staaten extrem.“ Seit Längerem sei der Wunsch nach mehr Autorität, nach starker Führung wahrnehmbar, sagt Hofinger. Da kam den Freiheitlichen ein Wahlkampf, der von Ängsten geprägt war, sehr gelegen. Die Parteien entwickelten keine Perspektiven, boten keine Gesellschaftsentwürfe oder ließen sie in den Schubladen ihrer Parteizentralen liegen. Der FPÖ war es da zumindest gelungen, ein Ventil zu öffnen, Themen anzusprechen und dem Wählerfrust freien Lauf zu lassen. Ihnen gelang es, Themen aufzunehmen, welche die Jugend stärker betreffen. Themen wie Migration und Integration. SPÖ, ÖVP und auch die Grünen versagten dabei völlig. Es fehlten Alternativen. Emotion und nicht Ideologie war letztlich für die Wahl entscheidend.

„Nur ein sehr geringer Prozentsatz der FPÖ-Wähler entstammt noch dem traditionellen Dritten Lager, also der deutschnationalen, wirtschaftsliberalen Wählerschaft“, sagt Fritz Plasser, Universitätsprofessor in Innsbruck. Warum aber verabschiedet sich dann die Partei nicht vollends von ihrer Koketterie mit ewig gestriger Deutschtümelei, von rechten Parolen und Hetze gegen Ausländer?

Weil die Funktionäre der Partei anders ticken als ihre Wähler. „Die Wählerschaft ist emotionalisiert, aber unideologisiert, der Parteikader aber ist ideologisiert.“ Noch immer, so Plasser, rekrutiere sich ein Großteil freiheitlicher Politiker aus dem nationalen Lager. Mehr als die Hälfte der FPÖ-Mandatare im letzten Nationalrat war Mitglied bei schlagenden Burschenschaften. Strache selbst darf man – per Gerichtsurteil bescheinigt – „Nähe zum nationalsozialistischen Gedankengut“ nachsagen. Während der FPÖ-Chef also politisch weit rechts steht, ist Strache für seine jungen Wählerinnen und Wähler in erster Linie sexy, dynamisch, direkt – kurz: ein Gegenentwurf zur etablierten, oft grauen Politikerriege. Der personifizierte Protest.

"Die FPÖ wählt man nicht unbedingt, damit sie in die Regierung kommt, sie soll vielmehr die Politik aufmischen", kommentiert dies Eva Zeglovits von SORA. Und „aufmischen“ wird einem 35-jährigen, polemisierenden Strache wohl eher zugetraut als einem 64-jährigen Chef einer Grünen Partei, der nicht gegen Ausländer, sondern für Ökostrom eintritt. Politisches Angebot und Wählernachfrage stimmen in Österreich also nicht überein.

„Ein Oskar Lafontaine wäre auch in Österreich sehr erfolgreich. Nur wir haben hier eben keinen Lafontaine“, sagt Plasser. Der könnte nämlich auf Anhieb an die zehn Prozent der Stimmen erreichen, ist sich der Politikwissenschaftler sicher. Bleibt die Frage, wen die heute Unter-30-Jährigen in 20 Jahren wählen werden. Hofinger: „Das erste Mal hat eine gewisse Prägungsfunktion. Die Wahrscheinlichkeit, nach 20 Jahren dieselbe oder eine ähnliche Partei zu wählen, ist relativ groß.“

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