Der Journalist und profil-Mitbegründer Peter Michael Lingens über Verhaberung, Eitelkeit, Anstand und den schlechten Stil des Aufdeckers Alfred Worm
mit Julia Ortner für Falter
Kanzlerfeste und Politikerheurige sind nicht seine Sache. Peter Michael Lingens sitzt die ganze Zeit in Spanien, glaubt selbst sein Herausgeber. „Wahrscheinlich, weil ich nicht in den Lokalen verkehre, in denen, man‘ sich zeigt“, sagt Lingens. Der profil-Mitbegründer und späterer Standard-Chefredakteur hat sich abseits seiner profil-Kolumne zurückgezogen. Zu seinem 70. Geburtstag rechnet er in „Ansichten eines Außenseiters“ mit sich selbst und dem Land ab – eine spannende Mischung aus persönlicher Chronik, Journalismusgeschichte und scharfer Analyse des Zeitgeschehens.
1994 schied Lingens im Zuge der Kalal-Mekis-Affäre aus der Führungsfunktion im Standard aus. Ihm wurde vorgeworfen, seinen Freund Franz Kalal angestiftet zu haben, beim Wiener Staatsanwalt Wolfgang Mekis hinsichtlich der Einstellung eines Strafverfahrens interveniert zu haben. Der Starjournalist wurde wegen „versuchter Anstiftung zum Amtsmissbrauch“ angeklagt und rechtskräftig freigesprochen. Seit dieser Affäre, die er in seinem Buch ausführlich beschreibt, verbringt Lingens seine Zeit in Marbella und Wien.
Falter: Herr Lingens, wie lebt es sich in der Rolle des Außenseiters?
Peter Michael Lingens: Manchmal ist es unangenehm, und man fühlt sich einsam. Manchmal ist es erträglich.
Diese Selbstdefinition als einer, der außerhalb des Systems steht – ist das Koketterie oder der Versuch, unabhängig zu bleiben?
Lingens: Es ist sicher auch kokett. Was ich meine: Bei mir konnte man nie sicher sein, wie ich zu einer gewissen Frage Stellung nehme, während man das bei vielen Journalisten schon im Vorhinein weiß. Nicht einmal darauf konnte man sich verlassen, dass ich alles, was Jörg Haider oder die Kronen Zeitung sagen, falsch finde – obwohl ich beide für eine Katastrophe für das Land gehalten habe und halte.
Muss ein Journalist immer am Rand stehen, um Distanz zu den Mächtigen zu wahren?
Lingens: Ja. Aber natürlich macht auch jeder Journalist Politik, indem er sich an viele Leser wendet. Nur sollte er die Leute dabei nach bestem Wissen und Gewissen aufklären, nicht manipulieren, wie die Krone. Das ist das Gegenteil von Journalismus. Eine Verhaberung, wie sie zwischen Kronen Zeitung oder Österreich und Kanzler Faymann bestanden hat beziehungsweise besteht, ist ein abenteuerlicher Zustand. Angesichts der riesigen Anzeigenetats, die dabei vergeben werden, könnte man es auch gekauften Journalismus nennen.
Ist diese Freunderlwirtschaft ein spezifisch österreichisches Phänomen?
Lingens: Ich glaube, dass es diese Form des Kaufens von einzelnen Medien durch Inserate zum Beispiel in Deutschland nicht gibt, weil Inserate nicht in diesem Ausmaß politisch vergeben werden können.
Sie gelten als Chronist der Kreisky-Ära. Konnte man mit Kreisky verhabert sein?
Lingens: Kreisky konnte mit allen Journalisten. Die Problematik seiner Ära war nicht die Verhaberung, sondern dass der Linken – darunter auch vielen Journalisten – jegliche Distanz zu seiner Politik gefehlt hat.
Viele Politiker beziehen sich noch heute auf den „Sonnenkönig“. Warum?
Lingens: Natürlich hatte er unglaubliches Charisma. Trotzdem hat mich betroffen gemacht, dass an sich kritisch denkende Menschen sein Wort wie die Bibel genommen haben. Man musste froh sein, dass Kreisky ein Demokrat war. Wäre er keiner gewesen und die Leute wären ihm so gefolgt, wie sie es getan haben, es wäre eine Katastrophe gewesen.
Ist Journalismus Gabe oder Handwerk?
Lingens: Man kann diesen Beruf erstaunlich gut lernen. Ich kenne wenige Personen, die anfangs so schlecht geschrieben haben wie der berühmte Professor Alfred Worm. Das war nicht zu lesen. Aber seine Geschichten hatten enorme sachliche Substanz und im Lauf der Jahre konnte er dann auch immer bessere Kommentare schreiben.
In Ihrem Buch schreiben Sie: „Ich war ziemlich intelligent, ziemlich fähig und habe
darüber hinaus über eine enorme Arbeitskraft verfügt.“ Wie eitel sind Sie?
Lingens: In beruflicher Hinsicht eitel genug, um zu behaupten, dass das stimmt. Privat bin ich absolut uneitel.
Wie viel Selbstverliebtheit gehört zum Job?
Lingens: Eine gewisse Eitelkeit ist nützlich, wenn man angegriffen wird. Eitlen Menschen fällt es leichter, mit Angriffen umzugehen.
Thomas Bernhard bezeichnete den Beruf des Journalisten als ein ständiges Über-Leichen-Gehen, weil man den Dingen, über die man berichtet, nie gerecht werden kann. Wie viele Leichen gehen auf Ihr Konto?
Lingens: Ich hoffe, dass es nicht sehr viele sind. Man muss nicht ständig über Leichen gehen. Wenn man etwa Porträts schreibt, soll man sich dessen bewusst sein, dass der Betreffende auch eine Familie hat, die das lesen wird.Höchstens Adolf Hitler hätte man schwer so porträtieren können, dass es auch Eva Braun nicht verletzt hätte.
Sie haben als Gründungschefredakteur des profil einen neuen, kritischen Journalismus in Österreich miterfunden. Wie hat das Land das aufgenommen?
Lingens: Die Leser mit großem Interesse, die Werbewirtschaft mit großer Reserviertheit. Eines unserer Probleme war, dass wir anfangs trotz eines überragenden Erfolgs bei den Lesern nur schwer Inserate bekommen haben, weil die Wirtschaft nicht in einer so angriffslustigen Zeitung inserieren wollte.
Wie haben die Politiker reagiert, die zuvor nur Hofberichterstattung gewohnt waren?
Lingens: Mit enormer Irritation. Insofern hatten wir mit Kreisky großes Glück, weil der eben auch ein Journalistenkanzler war. Anfangs haben wir seine Regierung auch vornehmlich gelobt. Mit Wiens Bürgermeister Felix Slavik gab es hingegen große Schwierigkeiten, weil wir seine Amtsführung heftig – und zu Recht – kritisiert haben. Das hat prompt dazu geführt, dass die Arbeiterzeitung versucht hat, uns mit gefälschten Dokumenten der politischen Korruption zu bezichtigen.
Hatte die Arbeit von investigativen Journalisten früher mehr Einfluss auf das politische System?
Lingens: Der investigative Journalismus bei profil hat unter anderem solchen Umfang angenommen, weil die Staatsanwaltschaft damals ihrer Aufgabe absolut nicht nachgekommen ist. Der SPÖ nicht genehme Verfahren wurden grundsätzlich eingestellt. Der damalige Justizminister Christian Broda war darin unglaublich geschickt: Schriftliche Weisungen lagen kaum je vor. Es genügte der vorauseilende Gehorsam der von ihm eingesetzten handelnden Personen. Denken Sie an den Skandal um den Bau des AKH, bei dem die Staatsanwaltschaft Wien dafür plädiert hat, das Verfahren einzustellen. profil hat durch hartnäckige Berichterstattung und viel Glück erreicht, dass das Verfahren dennoch eröffnet wurde.
Glauben Sie, dass Skandale wie die jetzt vom Falter aufgedeckten Missstände rund um die Weisungsabteilung des Justizministeriums etwas im System verändern werden?
Lingens: Ich hoffe es. Das Weisungsrecht muss endlich reformiert werden.
Leidet die Schärfe des profil unter dem Zusammenschluss mit dem News-Verlag aus dem Jahr 2001?
Lingens: Generell ist die Medienkonzentration in Österreich ein Problem. Andererseits hat selbst ein so dramatischer wirtschaftlicher Zusammenschluss, wie der von Kurier und Krone, nicht dazu geführt, dass die beiden Blätter auch nur entfernt ähnlich berichten. Ich glaube auch nicht, dass Format und profil ähnliche politische Ausrichtungen aufgrund der Eigentümerstruktur haben, sondern wenn, dann denken die Journalisten hier wie dort ähnlich.
Aber auch auf das profil-Cover kommen immer öfter Wohlfühlthemen wie Wellness oder Lifestyle.
Lingens: Wo Schärfe notwendig ist, ist auf das profil nach wie vor Verlass. Außerdem sind Gesundheitsfragen ein immer wichtigeres Thema geworden. Abseits dessen gibt es heute auch andere Medien, die guten investigativen Journalismus machen. Bei der vom Falter aufgedeckten Weisungsaffäre wird Herausgeber Christian Rainer seine Mannschaft sicher fragen, warum das profil diese Geschichte nicht hat. Konkurrenz ist immer gut – auch im Journalismus.
Sie schreiben in Ihrem Buch: „Warum jemand wie ich vor 50 Jahren Sozialist geworden ist und heute keiner mehr sein kann.“ Weshalb diese Abkehr?
Lingens: Die SPÖ hat heute keine Problemlösungskompetenz und agiert in wirtschaftlichen Belangen meist noch ungeschickter als die Konservativen. Die Sozialdemokratie hat zwar weiterhin die Absicht, den Schwächeren zu helfen – aber wo sind die effizienten Antworten für deren Probleme? Vermögenssteuern abzuschaffen war zum Beispiel eine besonders dumme Antwort. Das ist Teil des sozialdemokratischen Versagens.
Die SPÖ kann aus der Krise keinen Vorteil ziehen, im Gegensatz zur FPÖ. Hat Sie der Wiederaufstieg der Blauen nach Jörg Haiders Tod überrascht?
Lingens: Der Erfolg der FPÖ bedrückt mich wie nichts sonst. Sie hat offenbar zu allen Zeiten ein Viertel der Bevölkerung auf ihrer Seite. Das liegt nicht nur an manchen Fehlern, die die Großparteien machen – das spricht gegen Österreich.
Hat das profil mit den vielen Haider-Covers nicht dazu beigetragen, dass der Provinz-
politiker zum Mythos hochstilisiert wurde?
Lingens: Das war tatsächlich ein kaum lösbarer Konflikt: Auf der einen Seite musste man sich mit ihm auseinandersetzen, weil er ständig Stoff zur Diskussion geliefert hat. Andererseits hat man damit eine gewaltige Medienpräsenz geschaffen. Es gab eben die Hoffnung, dass sich im Rahmen dieser Auseinandersetzung letztlich die Argumente Haiders als die schwächeren erweisen würden. Das Problem war, dass die größte und einflussreichste Zeitung des Landes, die Krone, Haiders Argumentation ständig gestützt hat.
Zurück zu Ihrer persönlichen Geschichte. Die Kalal-Mekis-Affäre, über die Sie gestolpert sind, führte Ihnen die eigene Fehlbarkeit vor Augen. Wie hat das Ihre Art, über andere zu urteilen, verändert?
Lingens: Meine Arbeit hat sich dadurch nicht verändert. Obwohl ich angeblich ein „Moralist“ war, habe ich auch vorher nie Leute wegen eines Fehlers verdammt. Aber natürlich war die Kalal-Affäre ein irrsinniger Einschnitt in mein Leben. Ich verdanke ihr einen Herzinfarktt und das Ende meiner Karriere in einer führenden journalistischen Funktion. Dazu kommt: Es gab und gibt in Österreich sehr wenige sogenannte moralische Instanzen, – ich war eine davon. Jemand, dessen moralisches Urteil Gewicht hatte. Diese Stellung habe ich durch mein Verhalten und den Prozess verspielt. Das ist nicht nur für mich schade.
Fühlen Sie sich heute völlig rehabilitiert?
Lingens: So etwas wird man nie ganz los.
Ihr Buch liest sich streckenweise wie eine Beichte, Sie gehen schonungslos mit sich ins Gericht. Sie klingen wie ein Katholik, der bekennen will.
Lingens: Also, ich bin sicher nicht katholisch. Aber ich glaube, dass man auch gegenüber sich selbst zu einem Höchstmaß an Ehrlichkeit verpflichtet ist.
Sie haben an der Angewandten studiert, schreiben Gedichte. Wären Sie lieber Maler oder Dichter geworden?
Lingens: Ich wäre gerne beides geworden – doch für mehr als drei, vier gute Bilder und Gedichte hat das Talent nicht gereicht. Ich denke, das Stilistische, das Sprachgefühl war zumindest für einen guten Journalisten ausreichend.
Wie gelingt es Ihnen heute, mit dem zunehmenden Bedeutungsverlust umzugehen?
Lingens: Ruhm, Macht, Geld waren mir nie rasend wichtig. Zeitungmachen dagegen sehr wohl. Keine Zeitung mehr zu machen fällt mir schwer. Das wird nur dadurch gelindert, dass ich ein Buch schreibe, ein Gedicht verfasse und ein erfülltes Familienleben führe.
Haben Sie manchmal Angst vor dem Tod?
Lingens: Nein. Auch wenn man nach zwei Herzinfarkten natürlich weiß, dass man den dritten vielleicht nicht überlebt. Es gibt da ein wunderschönes Zitat von Rilke: „Oh Herr, gib jedem seinen eigenen Tod / das Sterben, das aus jenem Leben geht / darin er Liebe hatte, Sinn und Not.“ Ich habe in meinem Leben Liebe, Sinn und Not gehabt. Daher wäre mir nichts entgangen, wenn sich der Bogen des Lebens etwas früher neigt.
Zur Person
Peter Michael Lingens, Jahrgang 1939, wurde als Sohn eines Wiener Ärzte-Ehepaars geboren. Seine Eltern waren überzeugte Linke, seine Mutter versteckte Juden vor den Nazis. Nach der Matura trat er in die Klasse für Malerei an der Angewandten ein. Nach Stationen bei der Arbeiter Zeitung und dem Kurier holte ihn Oscar Bronner 1970 zum neugegründeten profil. 1990 übernahm er die Österreich-Ausgabe der WirtschaftsWoche, 1993 wechselte er in die Chefredaktion des Standard
2009/08/19
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