2009/08/26

Die Sendung mit dem Stier







Mitte September will Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz erneut die Welt erobern. Sein Bullenkonzern macht Fernsehen. Aber wozu?


für Falter

Fast jeder kennt sein Gesicht, doch kaum jemand hat seine Stimme je gehört. Keine TV-Station dieser Welt bekam Dietrich Mateschitz bislang vors Mikrofon. Nur dem einstigen ORF-Kommentator Heinz Prüller gab der Milliardär vor wenigen Jahren ein Interview. Unter einer Bedingung: Man durfte sein Gesicht nicht zeigen, während er sprach. Ähnlich beim Radiosender Ö1: Als Red Bull vor zwei Jahren seinen 20. Geburtstag feierte, gewährte Mateschitz dem Sender ein Interview, doch es waren zwei Sprecher, die abwechselnd Fragen und Antworten des Steirers verlesen mussten. Er selbst blieb stumm. Mateschitz macht Medien, doch TV- und Radiointerviews geht der 65-Jährige konsequent aus dem Weg. Nun macht ausgerechnet einer, der ORF und Co tunlichst meidet, selber Fernsehen.

Am 14. September soll sein neuer Sender Servus TV über Satellit on Air gehen. Mehr als 20 Jahre nachdem Mateschitz begonnen hat, mit der Mischung aus Taurin, Zucker und Koffein von Salzburg aus die Welt zu erobern, möchte er ein weiteres Mal zuschlagen. Schon im Jahr 2007, als das Magazin Red Bulletin auf den Markt kam, skizzierte er seine „große Medienstrategie“. In einem Interview mit den Salzburger Nachrichten nannte er sein Ziel: den „Einstieg in den Weltmarkt“. Einer wie Mateschitz kleckert nicht. Der Steirer, der von seinen Angestellten schlicht „der Chef“ oder „DM“ genannt wird, klotzt. Das Beste ist für den Bullen gerade gut genug. Seit fast zehn Jahren spielt Mateschitz mit dem Gedanken, das Rad in Sachen Fernsehen neu zu erfinden. Und so wie Red Bull wird auch der neue Sender Servus TV untrennbar mit der Person Mateschitz verbunden sein. Er ist die Marke. Die Tatsache, dass er selten Interviews gibt, hat diesen Eindruck, zumindest in Österreich, nur noch verstärkt und ist vielleicht selbst nur Teil einer großen Marketingstrategie. Sie führt dazu, dass sich um den heute 65-Jährigen Mythen und Legenden ranken. Sie berichten von Musikschulen im Salzburgischen, die von Mateschitz mit Bösendorferflügeln beschenkt wurden, oder von einer alten Frau, die sich hilfesuchend an den Steirer wandte, weil sie ohne ihren verstorbenen Mann ihr Wirtshaus nicht mehr führen konnte. Mateschitz soll das Gasthaus gekauft, es zu einem Szenelokal gemacht und der Witwe ein Wohnrecht auf Lebenszeit gegeben haben. Er selbst pflegt das Bild eines bescheidenen Selfmademilliardärs, der den amerikanischen Traum verwirklicht hat. In einem Interview mit den Oberösterreichischen Nachrichten beschreibt er sich als jemanden, dessen persönlicher Luxus sich auf Haflingerpferde, ein Haus in der Stadt und einen Bauernhof beschränkt.

Imagepflege ist dem Bullen wichtig. Die Öffentlichkeit weiß von Mateschitz nicht viel mehr als das, was er zu erzählen bereit ist. Gescheiterte Projekte, wie jenes am ehemaligen Spielberg-Ring, wo eine Motorsportarena errichtet werden sollte, finden keine große Öffentlichkeit, was auch daran liegen dürfte, dass sich der Konzern zu den Entwicklungen praktisch nicht äußert. Als profil-Redakteur Michael Nikbakhsh eine Biografie über den Konzernlenker schreiben wollte, stieß er auf eine Wand des Schweigens. Mateschitz selbst quittierte die Recherchen laut Nikbakhsh mit einer unverhohlenen Drohung: „Solange eine Kniescheibe in Moskau 500 Dollar kostet, werden Sie nicht sicher sein.“ Später entschuldigte er sich dafür.

Ob Mateschitz mit Servus TV der große Wurf gelingen wird, bleibt offen. Unzählige Sendungskonzepte wurden bereits geschrieben, die alle schnell wieder in der Schublade verschwanden. Sendungsentwickler und Produzenten gaben sich anfangs in Fuschl am See, später im neuen Medienzentrum in Wals die Klinke in die Hand. Wenige Ideen genügen den Visionen des Milliardärs. „Mateschitz misstraut fast allem, was nicht seine eigene Idee ist, und wenn nicht, dann hatte er die Idee bereits selbst“, sagt ein Informant, der namentlich nicht genannt werden möchte. „Der Konzern ist ein Hochsicherheitstrakt. Wer etwas ausplaudert, muss am nächsten Tag nicht mehr zur Arbeit erscheinen.“

Mails mit Interviewanfragen werden höflich, aber bestimmt abschlägig beschieden. Es dringt nur das an die Öffentlichkeit, von dem Red Bull selbst möchte, dass es gehört wird. Wer also Genaueres über Servus TV und den Bullenkosmos erfahren möchte, ist auf Archivmeldungen und Aussagen jener Personen angewiesen, die eigentlich zum Schweigen verdonnert wurden. Eine der wenigen Ideen, an denen Mateschitz in den vergangenen Jahren tatsächlich Gefallen gefunden haben dürfte und an deren Umsetzung derzeit unter Hochdruck gearbeitet wird, ist jene, aus Servus TV einen kommerziellen und zeitgemäßen Kultursender wie Arte zu machen. „Gut recherchierte und aufwendig produzierte Inhalte auf hohem Niveau“, sagt ein Insider.

Die Alpen-Donau-Adria-Region soll so gezeigt werden, wie sie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen immer seltener zu sehen ist. Seit fast zwei Jahren produzieren Mitarbeiter Dokumentationen und Reportagen. Täglich dürften bis zu sechs Stunden neues Material gesendet werden. Darüber hinaus sind Naturproduktionen, Übertragungen aus Konzert- und Opernhäusern sowie Diskussionsrunden geplant. Zielgruppe ist der deutschsprachige Raum, doch wie im Falle von Red Bulletin hat Mateschitz auch bei Servus TV von Anfang an auf den internationalen Markt geschielt. Lange war geplant, das Programm zweisprachig, auf Deutsch und Englisch, zu produzieren, um in ferner Zukunft über die Arabische Halbinsel bis nach Russland senden zu können.

Nun scheint man sich in Fuschl aber dazu entschlossen zu haben, die Welt in kleineren Schritten zu erobern. Aber auch die werden minutiös geplant. Schon lange lässt Mateschitz Moderatoren casten. Als Berater holte er sich Fernsehmacher wie den ehemaligen RTL-Chefredakteur Hans Mahr oder den einstigen technischen Direktor des ORF, Andreas Gall, ins Boot. „Ursprünglich“, erzählt ein Mitarbeiter, „wollte man die Fußball-EM im Vorjahr als Sprungbrett für den Start von Servus TV nutzen, dann wurde der 1. April 2009 als neuer Termin vorgegeben.“ Das Datum gilt unternehmensintern als magische Zahl, schließlich hat „der Chef“ an diesem Tag im Jahre 1987 Red Bull auf den Markt gebracht. Doch Unstimmigkeiten beim Budget und die hohen Ansprüche, die Mateschitz stellt, führten dazu, dass der Start erneut verschoben werden musste.

Auf der neuen Webseite des Senders ( www.servustv.com) ist nun das Motto „Spannender, gründlicher, kompetenter, fröhlicher“ zu finden. Konzernintern wird die Machart auch einfach mit „redbullisch“ beschrieben. Dabei war geplant, die Marke nicht allzu aufdringlich zu platzieren. Vermutlich dürfte der Sender aber dennoch als Werbeplattform für die eigenen Produkte genutzt werden, schließlich wurden bereits Unmengen an Sendematerial gesammelt und Red-Bull-Events gefilmt. „Dahinter stand von Anfang an vor allem die ‚Carpe-Diem-Fraktion‘ des Konzerns“, sagt ein Informant. Mit Carpe Diem plant Mateschitz schon länger einen ähnlich Aufstieg wie mit Red Bull. „Doch die Gastronomie- und Wellnessmarke kam seit ihrer Einführung im Jahr 1997 nicht so recht vom Fleck“, schreibt Wolfgang Fürweger in seinem Buch „Die Red Bull Story“. Ein neuer Sender könnte das freilich ändern und dem Konzern bei weiteren Markteinführungen wie Kaffee oder Tee behilflich sein.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Mateschitz eine ganze Erlebniswelt rund um eines seiner Produkte kreiert. „Es gibt für uns keinen bestehenden Markt, aber wir werden ihn machen“, pflegte er zu sagen, wenn man ihn fragte, wer das süße Getränk denn trinken solle. Der Markt, den Mateschitz meinte, war jener für Red Bull.

Der Start von Servus TV ist somit auch der Versuch, das Unternehmen breiter zu positionieren. Denn die Marke steht heute für weitaus mehr als für die Generation „Drei Tage wach“. Zwar ist die gegenwärtige Wirtschaftskrise auch für Red Bull ein Faktum – Mateschitz verordnete im Vorjahr erstmals eine Nulllohnrunde – doch allein 2008 wurden vier Milliarden Dosen des Energydrinks verkauft. Seit 22 Jahren geht es für das Unternehmen somit steil bergauf. Das European Brand Institute schätzt den Wert von Red Bull auf elf Milliarden Euro. Konsequent entwickelte sich die Marke vom Nischen- hin zu einem Massenprodukt: Weniger Extrem- und mehr Biersportarten wie Formel 1 und Fußball.

Das jüngste Steckenpferd von Mateschitz in sportlicher Hinsicht ist der deutsche Fünftligist RB (Rasenballsport) Leipzig. „Mittel- bis langfristig wollen wir in die Europa-League“, vertraute er der deutschen Sportbild an. Neben Leipzig gehören zu Mateschitz’ Betriebsmannschaften auch Red Bull Salzburg, zwei Formel-1-Teams und ein Eishockeyklub. Darüber hinaus unterstützt der Bulle zahlreiche Extremsportevents und etwa 600 Einzelathleten. „Wir sind nicht wie Marlboro bei Ferrari oder Samsung bei Chelsea – wir betreiben selbst Sport“, ist ein weiteres Mateschitz-Marketinggesetz, und es offenbart eine seiner größten Stärken: Ausdauer.

Er kauft keine Stars, er macht sie. Oder, um in der Bullenterminologie zu bleiben: Er züchtet seine Stiere lieber selbst. Schon lange bietet er Extremsportlern Eventbühnen, die sie über die Jahre groß werden ließen. Künftig liefert Mateschitz ihnen neben Red Bulletin auch eine zweite mediale Bühne, die seine Stars und mit ihnen die Marken um Red Bull in glanzvollem Licht erscheinen lassen sollen. Von insgesamt 4600 Mitarbeitern im Unternehmen füllt kein Einziger Red-Bull-Dosen ab. Die meisten sind damit beschäftigt, die Dosen mit immer neuen Botschaften aufzuladen. „Den Durst zu löschen reicht schon lange nicht mehr aus“, sagte Mateschitz vor längerer Zeit. Ein Getränk müsse Sinn vermitteln.

Den Erfolg oder Misserfolg von Servus TV wird vor allem Mateschitz selbst zu verantworten haben. „Er gibt nichts aus der Hand. Jedes Bild und jeder Sendungspilot – es läuft alles über seinen Schreibtisch“, sagt einer, der lange für Red Bull gearbeitet hat. Ein anderer: „Was umsetzbar ist, hängt vor allem von den Launen des Herrn Mateschitz ab.“ Spricht man mit einstigen Weggefährten, entsteht das Bild eines übergroßen Patriarchen an der Spitze eines Weltkonzerns.

Viele sprechen über Mateschitz wie von einem Naturphänomen, das zu schnell an ihnen vorübergezogen ist, als dass sie es wirklich hätten verstehen können. Leute, die im Unternehmen sind, nennen ihn „den besten Arbeitgeber, den man sich vorstellen kann“, und jene, die bereits wieder aus dem Konzern ausgeschieden sind, sind „dankbar, dabei gewesen zu sein, aber auch froh, wieder auf eigenen Beinen zu stehen“. Sie alle eint die Faszination, die der Erfinder von Red Bull und Servus TV auf sie ausübt oder ausgeübt hat, und eine fast blinde Loyalität gegenüber dem Unternehmen im Allgemeinen und dessen Chef im Speziellen. „Er kann Visionen formulieren und den Dingen Leben einhauchen“, sagt einer von jenen, die lange dabei waren. „Und solange er das Geld hat, wird er es mit vollen Händen ausgeben.“ Marketingausgaben hat Mateschitz schließlich noch nie gescheut.

bild flickr.com von stormblast2008

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