2009/09/23

Die Masse braucht Qualität






Der ORF sollte wenig Quote machen dürfen, sagt Wolfgang R. Langenbucher. Die Parlamentsenquete zum ORF ist vorbei, doch die eigentliche Arbeit steht noch bevor. Der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang R. Langenbucher über Visionen fürs Fernsehen und seinen Appell an die Politik.


Falter: Die Zukunft des ORF liegt wieder einmal in den Händen des österreichischen Nationalrats. Ist sie dort gut aufgehoben?

Wolfgang R. Langenbucher: Das wage ich zu bezweifeln. Aber ich glaube, dass jetzt für die Problematik des ORF in einer Weise Öffentlichkeit hergestellt wurde, die es der Politik nicht mehr erlaubt, so zynisch und machtorientiert mit dem Sender umzugehen, wie dies sonst möglich gewesen wäre.

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass sich die Politik zu sehr mit Details beschäftigt und auf eine medienpolitische Vision vergisst?

Langenbucher: Es könnte natürlich sein, dass nur die von der Europäischen Kommission geforderten Punkte in die Novellierung des ORF-Gesetzes aufgenommen werden. Dabei wäre eine Vision dringend nötig. Es hat sich ja gezeigt, dass die Lernfähigkeit des ORF-Managements in Bezug auf die eigene Situation sehr stark unterentwickelt ist. Denn es ist klar, dass sich die öffentlich-rechtlichen Sender in ganz Europa in einer gnadenlosen Konkurrenzsituation befinden. Sender wie der ORF benötigen eine völlig neue Form der Legitimation. Diese kann nicht aus einem Quotenvergleich mit den Privaten geschöpft werden. Das ist der Fehler, den das Management der Öffentlich-Rechtlichen in ganz Europa über Jahrzehnte begangen hat. Das mag noch einige Jahre gut funktionieren, doch schon bald könnten dem ORF nicht nur Marktanteile, sondern auch die gesellschaftliche Legitimation abhanden kommen.

Der ORF sollte also das Privileg haben, wenig Quote machen zu müssen?

Langenbucher: Genau. In seiner eigentlichen Funktion muss er an anderen Zielgrößen gemessen werden.

Wie könnte die Vision also aussehen?

Langenbucher: Wir benötigen öffentlich-rechtliche Anstalten heute dringender denn je als Infrastruktur politischer Öffentlichkeit und kultureller Produktivität. So wie der Staat für Energie- oder Wasserversorgung sorgt, ist auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine notwendige Infrastruktur.

Wo sehen Sie die Parallelen zwischen Staatsoper, Burgtheater und ORF?

Langenbucher: Ohne eine Form der marktunabhängigen Finanzierung könnten bestimmte journalistische und medienkulturelle Produkte nicht weiter bestehen. Es gebe auch kein Burgtheater, wenn wir es nicht mit Steuern finanzieren würden – ganz unabhängig davon, ob jeder Steuerzahler auch ins Burgtheater geht oder nicht. Darum halte ich die Argumentation für brandgefährlich, dass Gebühren nur dann gerechtfertigt sein sollen, wenn ich auch Zuseher des Programms bin. Viel mehr bin ich Bürger, der unabhängig von der Nutzung ein Interesse daran haben muss, dass die Gesellschaft über eine gewisse kulturelle Ausstattung verfügt.

Sie wollen ein Ö1-Radio fürs Fernsehen?

Langenbucher: Ja, warum nicht?

Weil vielleicht ein Großteil der Bevölkerung, diesen Sender noch nie gehört hat.

Langenbucher: Dass Ö1 ein erfolgreiches, am Gemeinwohl orientiertes und kulturell sensibles Programm ist, steht aber außer Frage.

Würde der öffentliche Diskurs somit nicht zu einer elitären Veranstaltung?

Langenbucher: Nein. Erstens ist Fernsehen ein Massenmedium und Ö1 nicht elitär. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten sämtliche Qualitätszeitungen Deutschlands gemeinsam eine Auflage, die nur halb so groß war wie jene der Süddeutschen Zeitung heute. Das heißt, wir bewegen uns bereits in einem Markt, in welchem Qualität auch ein Massenpublikum erreicht. Die Masse braucht Qualität.

Muss man sich dann nicht von der Vorstellung verabschieden, dass der ORF Öffentlichkeit noch in demselben Ausmaß herstellen kann wie noch vor einigen Jahren?

Langenbucher: Das hängt davon ab, ob man glaubt, dass eine gesellschaftliche Agora nur dann gegeben ist, wenn 100 Prozent der Gesellschaft an diesem Diskurs beteiligt sind. Aber in der Geschichte war es nie so, dass die gesamte Gesellschaft einen solchen Diskurs geführt hat. Zunächst ist es immer nur die geistige Elite eines Landes, die Teil dieses Diskurses ist.

Die Europäische Union fordert vom ORF mehr finanzielle Transparenz, um privaten Anbietern den Rücken zu stärken. Wie sehen Sie diese Forderung?

Langenbucher: Das Zentrale dabei ist, dass die EU nun einsieht, dass öffentlicher Rundfunk existieren muss und dass er in den unterschiedlichen Ländern auch unterschiedlich gestaltet werden kann.

War dies nicht immer so deutlich?

Langenbucher: Nein. Der öffentliche Rundfunk war in den letzten Jahren durch nichts mehr gefährdet als durch die EU. Erst das Amsterdamer Protokoll 1997 brachte ein Bekenntnis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der Irrtum bestand darin, dass man Rundfunk für ein Wirtschafts- und kein Kulturgut hielt. Wenn es nach der EU gegangen wäre, hätte das das Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bedeutet.

Zurück zum Nationalrat: Was müsste im neuen ORF-Gesetz stehen, das Ende des Jahres beschlossen werden soll?

Langenbucher: Es bedarf einer Fortschreibung und Modernisierung des Programmauftrags und strengerer Vorgaben für das Management. Außerdem müssen die Aufsichtsorgane kontrollfähig sein. Darüber hinaus muss man sich der Frage stellen, in welchen Bereichen der Markt versagt, um dort ein starkes Profil zu entwickeln.

Ist es nicht eine Illusion zu glauben, dass öffentlich-rechtlicher Rundfunk frei von parteipolitischem Einfluss stattfinden könnte?

Langenbucher: Jein. Politik schafft den Rundfunk zwar durch Gesetze. Aber es gibt ja so etwas wie demokratische Scham, wo auch Politiker vielleicht bereit sind, ihre unmittelbaren Interessen hintanzustellen und nicht nur an ihren Machteinfluss zu denken.

Sie appellieren also an die Vernunft in der Politik?

Langenbucher: Ja, an ihre kulturelle Sensibilität, ihre Einsicht und ihre Loyalität mit einer Gesellschaft, die demokratische Ansprüche hat.

Zur Person

Wolfgang R. Langenbucher ist einer der bedeutendsten Kommunikationswissenschaftler im deutschen Sprachraum. Bis Ende des Jahres 2006 war der gebürtige Deutsche Vorstand des Instituts für Publizistik in Wien. Langenbucher ist Sprecher der Initiative „Rettet den ORF“



bild flickr.com von jetset_kaputt

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