2009/09/29
Wo die Augen der Genossen glühen
Die Voest will nicht mehr politisch sein. Was die SPÖ von der ehemals verstaatlichten Industrie lernen kann
für Falter
Die Strapazen des Tages sind Hans-Karl Schaller deutlich anzusehen. Er steht an diesem Wahl´sSonntag inmitten verzweifelter SPÖ-Funktionäre im alten Linzer Rathaus. Gemeinsam ringen sie um Erklärungen. Sie spekulieren über eine noch ungewisse Zukunft, die für die Sozialdemokratische Partei immer mehr in der Vergangenheit zu liegen scheint. Die SPÖ durchlebt gerade eine ihrer schwersten Krisen nach 1945. Schaller weiß das.
Eine solche Niederlage schien dort, wo er herkommt, bis zuletzt undenkbar. Schaller ist Voestler – seit 26 Jahren. Bei den Betriebsratswahlen im Vorjahr erreichte seine Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG) noch astronomische Ergebnisse. Der ÖVP nahe stehende Arbeitnehmer spielten keine Rolle. Die Freiheitlichen (FA) bekamen nur zwei Mandate. Der Rest gehört den Roten.
Auch bei den Arbeiterkammerwahlen Anfang des Jahres konnten SP-Bastionen bei Voest oder Magna trotz Kurzarbeit und Krise gehalten werden. Seit Sonntag sind diese Erfolge aus roter Sicht jedoch deutlich weniger wert.„Was wir jetzt dringend benötigen? Eine Politik der glühenden Augen, eine Politik aus einem Guss“, sagt Schaller. Er redet lieber über Bildungs- oder Integrationspolitik als über die Voest. Er hat sich hochgearbeitet, vom einfachen Arbeiter aus der Instandhaltung zum politischen Funktionär – er war zuerst Vertrauensmann, später Betriebsrats-, schließlich Zentral- und Konzernbetriebsratsvorsitzender.
Seit Sonntag sitzt er auch im Landtag. In Wien verhandelt er Kollektivverträge, in der Voest Sozialpläne und immer dann, wenn es Probleme in anderen europäischen Standorten gibt, reist Schaller an. Die letzte Schweißnaht hat er vor 17 Jahren gezogen.
Viele Voestler dürften bei dieser Wahl der FPÖ oder auch der ÖVP ihre Stimme gegeben haben. Um das behaupten zu können, brauche er keine Wählerstromanalyse, sagt Schaller. In gewisser Weise haben also die 10.000 Beschäftigten der Voest die Wahl erneut entschieden. Wie schon bei den Wahlen vor sechs Jahren, als die SPÖ dank schwarz-blauer Privatisierungspläne noch knapp hinter der ÖVP landete. SP-Chef Erich Haider warnte damals vor dem „Ausverkauf der Voest“ an die „Russen“.
Nur wenig ist in Österreich so emotional besetzt wie der einstige Staatsbetrieb, glaubt Dieter Stiefel vom Wiener Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte. „Drei Dinge haben das Selbstbild Österreichs nach 1945 geprägt: Neutralität, Sozialpartnerschaft und die verstaatlichte Industrie – mit ihr die Voest. Das war das neue Österreich.“ Die Voest habe lange als Nachweis für erfolgreiche, sozialistische Wirtschaftspolitik gegolten. Doch dann kamen die Misserfolge: jene der verstaatlichten Betriebe in den 80ern und die Stahlkrisen in den 90ern.
Heute ist vieles anders. Politiker haben seit Jahresbeginn Hausverbot bei „ihrer“ Voest. Dort, wo sich einst rote Parteichefs mit Helmen vor Hochöfen ablichten ließen, dürfen heute keine Wahlveranstaltungen mehr stattfinden. Man wolle nicht wieder Spielball der Politik sein, heißt es aus der Konzernzentrale.
Die Politik ist also draußen und die Voest seit 2005 vollständig privatisiert; 13 Prozent der Aktien gehören den Arbeitern. „Oft glaubst du, du bist an der Börse“, sagt Manfred Pühringer. Immer öfter würden Mitarbeiter in Arbeitspausen Aktienkurse im Intranet verfolgen. Pühringer ist einer von zwei freiheitlichen Betriebsräten. Der Wahlausgang hat ihn nicht überrascht.
In der Voest gelänge der SPÖ noch, was ihr abseits des fünf Quadratkilometer großen Betriebsgeländes auf Bundesebene schon lange nicht mehr gelingt. „Sie sind direkt bei den Arbeitern an der Basis.“ Er verweist auf Schaller, der unzählige Ämter innehabe, aber keine Zeit mehr für die Arbeiter im Betrieb finden könne.
„Unsinn“, sagt Schaller. Er ist letztlich aber ähnlicher Meinung wie Pühringer: „Immer vor Ort, immer präsent und nahe bei den Sorgen der Arbeiter – das ist der Grund für den Erfolg der FSG in der Voest.“ Und vielleicht einer der Gründe für rote Niederlagen in Bund- und Ländern.
bild flickr.com von magrolino
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