2009/09/16

Hier regiert der Hausverschtand







Das Vorzeigebundesland Vorarlberg ist in der österreichischen Realität angekommen. Ausländerhass und Arbeitslosigkeit nehmen zu


mit Julia Ortner für Falter


Es ist stickig heiß an diesem Montagabend im Hohenemser Pfarrhaus. Nach einer halben Stunde steht die Dame in der hinteren Reihe auf, um ein Fenster zu öffnen. Schwitzende Sitznachbarn danken es mit einem Nicken. Vorne steht Landeshauptmann Herbert Sausgruber am Rednerpult. Er spricht vom „Hausverstand“ und vom „erfolgreichen Vorarlberger Weg“, der nach der Wahl am 20. September fortgesetzt werden müsse.

Sausgruber hat sich so sehr in Fahrt geredet, wie es dem 63-jährigen ÖVP-Politiker eben möglich ist: Der „Hausverstand“ spricht langsam, in breitem alemannischem Dialekt, um Sachlichkeit bemüht. Anderswo werden mit solchen Reden Wahlen verloren, in Vorarlberg bescheren sie der ÖVP seit 1945 mit einer Ausnahme immer die absolute Mehrheit. Sausgruber streift an diesem Abend sämtliche Themen, meidet aber konsequent zwei Worte: Wirtschaftskrise und den Namen des Koalitionspartners, Dieter Egger. Denn beide, die Krise und der FPÖ-Politiker, rütteln am Selbstbild Vorarlbergs als prosperierendes und anständiges Bundesland.

Vor drei Wochen hätte niemand für möglich gehalten, dass ausgerechnet Hohenems die Landtagswahl entscheiden würde. Doch Egger hat mit seiner Aussage vom „Exiljuden aus Amerika“ die Karten neu gemischt. Gemeint war damit der Leiter des jüdischen Museums in Hohenems, Hanno Loewy, der es gewagt hatte, die fremdenfeindlichen Plakate der FPÖ zu kritisieren. Sausgruber hat daraufhin angekündigt, die Koalition mit den Blauen nicht mehr fortsetzen zu wollen – nach 35 Jahren.

Trotz freiheitlicher Regierungsbeteiligung war Vorarlberg immer ein Einwanderungsland. Die Zuwandererquote ist die zweithöchste nach der in Wien. Jeder Fünfte kommt aus einer Migrantenfamilie. Adnan Dincer ist einer von ihnen. Der Unternehmensberater lenkt seinen Mercedes durch den zähen Abendverkehr in der Bregenzer Innenstadt. Es ist der Fastenmonat Ramadan. In wenigen Minuten geht die Sonne unter, und Dincer darf wieder essen, trinken und, was viel wichtiger ist, eine Zigarette rauchen. „Die Reaktion Sausgrubers kommt um Jahre zu spät“, sagt er. Die Freiheitlichen in Vorarlberg waren nie jener liberale Ableger der Bundes-FPÖ, als der sie immer dargestellt wurden. Dincer ist mit fünf Jahren nach Vorarlberg gekommen. Einst war er Klassensprecher, heute sitzt er im Vorstand der Arbeiterkammer. Mit der eigenen Migrantenliste wurde er bei den AK-Wahlen Dritter – vor den Freiheitlichen und den Grünen.

Nun ist seine Partei Teil des Wahlbündnisses „Die Gsiberger“. Es ist eine schillernde Runde, die sich da zusammengefunden hat: Schwulenbewegung, Migranten und eine Truppe, die schon lange für die Legalisierung weicher Drogen kämpft. Sollte einer von ihnen den Sprung in den Landtag schaffen, muss er die Interessen aller vertreten. „Das könnte heikel werden“, gibt auch Dincer zu. Doch die Großparteien sollten erkennen, dass Migranten auch eine attraktive Wählerklientel sind.

Der „Vorarlberger Weg“, den Sausgruber am Rednerpult so eindringlich bemüht, ist eine Mischung aus liberaler Wirtschafts-, konservativer Familien- und grüner Energiepolitik. Vorarlberg ist bekannt für das Monopol des Vorarlberger Medienhauses, für die Bregenzer Festspiele, Passivhäuser und die Tatsache, das einzige Bundesland zu sein, das über kein Bordell verfügt – zumindest kein offiziell genehmigtes.

Das 700 Kilometer entfernte Wien ist für Vorarlberger vor allem ein „Kürzel für zentralistische Bürokratie, das uns gelegentlich beim Arbeiten stört“, sagt Sausgruber. Den Hohenemsern gefallen die Spitzen gegen das rote Wien. Der sonst so sanfte Landeshauptmann bekommt rasch „Temperatur“, wie er es nennt. Die heilige Kuh Föderalismus ist unantastbar. Denn die Legende besagt: Vorarlberg wäre nicht so schön und wirtschaftlich erfolgreich, hätte die ÖVP nicht jahrzehntelang den „eigenen Kurs“ verfolgt. Es ist das einzige Bundesland, das in der Landesverfassung als „selbständiger Staat“ beschrieben wird.

Der schwarze Absolutismus unterscheidet sich grundlegend von jenem im ebenfalls ÖVP-regierten Niederösterreich. Beherrscht dort Erwin Pröll das Land im Stil eines polternden Feudalherrn, regieren die alemannischen Landesfürsten von jeher mit leicht chauvinistischem Pragmatismus. Das untertänige Verhalten gegenüber Politikern scheint den Vorarlbergern wesensfremd. Diese Mentalität ist auch historisches Erbe der freien Bauern und Gewerbetreibenden. Am Sonntag könnte nun die absolute Mehrheit allerdings fallen – was nicht nur Sausgrubers Rücktritt bedeuten würde, sondern auch die erste Wahlniederlage für Bundesparteichef Josef Pröll in Wien. Damit wäre auch der fragile Frieden im schwarzen Haus in Gefahr.

Drei Jahreszahlen gehören in Vorarlberg zum Gemeingut eines jeden Schulkindes: 1919 wollten 80 Prozent der Bevölkerung den Anschluss an die Schweiz. 1964 schlugen die Vorarlberger bei der Fußacher-Schiffstaufe den damaligen Verkehrsminister Otto Probst in die Flucht, weil dieser ein neues Schiff auf den Namen des Sozialdemokraten „Karl Renner“ taufen lassen wollte und nicht – wie von Bevölkerung und Vorarlberger Nachrichten vorgesehen – auf den Namen „Vorarlberg“. Und im Jahr 1979 forderte eine Bürgerinitiative mehr Selbstständigkeit mit dem Slogan „Vorarlberg ist bahnbrechend“. Auch damals spielte das Medienhaus eine zentrale Rolle. Die einflussreichen VN prägten seit jeher die Meinungslandschaft im Westen. Ihre Kampagnenleitung spielte auch bei der Mobilisierung gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf eine wichtige Rolle – 90 Prozent der Vorarlberger stimmten gegen das Kraftwerk.

Doch Kampagnenjournalismus sei seine Sache nicht, beteuert Eugen Russ. „Die Schiffstaufe ist schon lange her.“ Der mächtige Verleger sitzt in einem nüchtern eingerichteten Büro in Schwarzach. „Es wurde einiges an Porzellan zerschlagen.“ Russ spricht von den Parolen der FPÖ, „ich fürchte, dass sie durchaus auch auf fruchtbaren Boden fallen werden“.

Russ hat es geschafft, die Kronen Zeitung in Vorarlberg zur Bedeutungslosigkeit zu verdammen. Beinahe alles, was die Vorarlberger heute über Vorarlberg wissen, erfahren sie aus Produkten des Medienhauses. Einzig der ORF kann daneben bestehen. „Auch mir wäre der hohe Marktanteil wahrscheinlich suspekt“, sagt Russ. „Aber wir sind kein agitierendes oder missionierendes Medium.“

Auch in den USA sind 1497 von 1500 Tageszeitungen so wie die VN Monopole in ihrem jeweiligen Markt. „Schiffstaufe“ und „Pro Vorarlberg“ mögen der Vergangenheit angehören, die Regionalpolitiker wollen es sich mit Russ dennoch nicht verscherzen. „Wir werden vom Medienhaus absolut fair behandelt“, beteuert SPÖ-Chef Michael Ritsch. Er steht inmitten von Traktoren, überdimensional großen Badewannen und einem Stand der Mohrenbrauerei.

Gerade ist die Dornbirner Messe eröffnet worden. Allerdings nicht vom roten Bundeskanzler Werner Faymann, sondern vom schwarzen Landeshauptmann . Schon vor Monaten hatte die Messeleitung den Wunsch des Kanzlers abgelehnt, die Eröffnungsrede halten zu dürfen. „So was geht nur in Vorarlberg“, sagt Ritsch. Am Ende durfte der Kanzler drei Minuten lang Begrüßungsworte an die Besucher richten.

„Als ich Stadtrat in Bregenz wurde“, erzählt der SPÖ-Politiker, „hat die gute Gesellschaft plötzlich das Geschäft meiner Eltern gemieden.“ Jahrelang hätte die Landesregierung in dem Bastelbedarfsgeschäft den Christbaumschmuck für das Landhaus eingekauft. „Das war dann vorbei.“

Die ÖVP ist allgegenwärtig in dem Land westlich vom Arlberg: 88 von 96 Bürgermeistern stammen aus ihren Reihen. Die Region des Bregenzerwalds stellt mit 24 Gemeinden gleich viel Wahlberechtigte wie die Landeshauptstadt Bregenz. Alle werden von schwarzen Bürgermeistern geführt. In keiner einzigen dieser Gemeinden gibt es eine SPÖ-Ortsgruppe. Das Rote Kreuz ist ebenso schwarz wie die Arbeiterkammer. 20.000 schwarzen Parteimitgliedern stehen knapp 2000 rote Funktionäre gegenüber.

„Oppositionspolitik empfindet die ÖVP als lästiges Problem, einen Misstrauensantrag als Majestätsbeleidigung“, sagt Grünen-Chef Johannes Rauch. Der Grüne möchte in die Regierung. „100 Jahre Opposition sind genug. Es ist Zeit, was zu riskieren.“ Sausgruber würde von den wahren Problemen des Landes ablenken. Denn das Ländle kämpft mit der Krise wie die anderen Bundesländer auch. Die Arbeitslosigkeit ist im Vergleich zum Vorjahr um 45,5 Prozent auf 11.000 Arbeitslose gestiegen.

Vorzeige-Vorarlberger wie Hermann Kaufmann sehen seit langem ein ambivalentes Land. „Eigentlich müsste Vorarlberg erzkonservativ und rückschrittlich sein. Eine Partei und eine Zeitung dominieren alles“, sagt der Architekt aus dem Bregenzerwald. „Es ist eine schizophrene Situation, die zufällig auf die positive Seite gekippt ist, aber auch jederzeit auf die negative Seite kippen kann.“ Die Wahlen am Sonntag dürften zeigen, dass das Ländle inzwischen ein Bundesland ist wie die anderen acht auch. Ein Land, in dem der Verlust der absoluten Mehrheit wahrscheinlicher und fremdenfeindliche Politik der Marke Strache-FPÖ alltäglicher zu werden droht.

Vielleicht hat das auch der Landeshauptmann erkannt. Am Ende seiner Hohenemser Ansprache fleht er: „Wir müssen reden, reden, reden. Wenn 20.000 Funktionäre anfangen zu reden, geht ein Ruck durchs Land. Dann kann es sein, dass das Ergebnis noch schöner ist als beim letzten Mal.“ Oder weniger schlecht als befürchtet. F

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Landtagswahlen

waren in Vorarlberg bisher vor allem Festspiele für die ÖVP. Mit einer Ausnahme errangen die Schwarzen seit 1945 immer die absolute Mehrheit. Dennoch nahmen sie stets einen oder mehrere Partner mit in die Regierung. Bis 1974 waren das die Sozialdemokraten und die FPÖ-Vorgängerpartei VDU. Ab ´74 dann nur noch die VDU bzw. später die FPÖ. Das Land zählt 370.000 Einwohner und somit knapp vier Mal so viel Menschen wie im Wiener Bezirk Leopoldstadt wohnen. Jüngste Umfragen prophezeien den Freiheitlichen einen Erdrutschsieg und den Verlust der absoluten Mehrheit für die ÖVP.


bild flickr.com von portobeseno

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