2008/12/05

Ein Riese gerät ins Wanken

















Von Martin Gantner | © ZEIT ONLINE 5.12.2008

Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk droht in Österreich die Insolvenz. 1000 Stellen sollen abgebaut werden. Es ist die bislang größte Krise in der Geschichte des Senders


"Der österreichische Rundfunk sendet Nachrichten", lautet ein Uraltslogan des ORF. Man könnte hinzufügen: "In den letzten Wochen nur noch schlechte." Die Finanzkrise hat den Quasi-Monopolisten in Österreichs Rundfunklandschaft kalt erwischt: 100 Millionen Euro Schulden allein im Jahr 2008, weitere 30 Millionen sollen 2009 hinzukommen. Schuld an der derzeitigen Situation sind laut ORF-Geschäftsführung eine Troika aus Europameisterschaft, Olympischen Spielen und Finanzkrise. Durch Letztere verlor die Stiftung öffentlichen Rechts 20 Millionen Euro an Werbeeinnahmen. Auch die Wertpapiere des öffentlich-rechtlichen Senders haben stark unter der Wirtschaftskrise gelitten: Rund 40 Millionen Euro Verlust.


Was nun folgen soll, sorgt unternehmensintern für Aufregung. ORF-Chef Alexander Wrabetz kündigte ein umfassendes Sparpaket an, um den ORF vor der "Insolvenz" zu retten: Bis 2012 sollen 1000 der 3420 Stellen abgebaut und 300 Mitarbeiter in auszugliedernden Unternehmensteilen untergebracht werden. Facility-Management und Radio-Sinfonieorchester werden ausgelagert und auch der Standort am Küniglberg selbst steht zur Disposition. Fraglich ist laut Medienberichten außerdem, ob der ORF künftig – angesichts der hohen Kosten – die Rechte für Champions League, Formel 1 und Bundesliga weiterhin kaufen kann und will.

Dabei hatte vor zwei Jahren alles so viel versprechend begonnen. Als Wrabetz zum neuen Generaldirektor des ORF gewählt wurde, war ein Hauch Obamania in Österreich zu spüren. Er verkörperte den "Change" in einem Unternehmen, das Reformen bitter nötig hatte. Viel war im Frühjahr des Jahres 2006 von "Schwarzfunk" und "Kasernenhof" die Rede. Der ORF stand stark unter dem Einfluss der österreichischen Regierungsparteien. Mit Wrabetz gewann dann ein Außenseiter die Wahl zum neuen Chef des ORF.

"Er hat nun nahezu sein gesamtes Startkapital verspielt", sagt Gerhard Moser im Gespräch mit ZEIT ONLINE. Moser ist Zentralbetriebsratschef im ORF und steckt gerade in Lohnverhandlungen mit der Geschäftsführung. "Angst, Resignation und Wut", so beschreibt er die Stimmung in den einzelnen Redaktionen am Küniglberg. Noch vor vier Jahren hätte Wrabetz, damals als kaufmännischer Direktor, ein neues, fortschrittliches Dienstrecht maßgeblich mitgestaltet. Und eben jenes Dienstrecht steht nun wieder zur Disposition, ärgert sich Moser. Konkret müssen 300 Mitarbeiter mit einer Änderungskündigung rechnen. Das bedeutet, dass sie ihre Anstellung wieder verlieren sollen, um in der Folge weiterhin als freie Mitarbeiter für den ORF zu arbeiten. "Das ist neoliberale Wirtschaftspolitik."

Der Unmut ist seither enorm. Die Redakteure fürchten eine "Aushungerung redaktioneller Bereiche". Sie kritisieren, dass Wrabetz "zwar ausführlichste Vorstellungen zum Abbau hunderter Mitarbeiter und zur Verschlechterung von Verträgen - ausgenommen Direktorenverträge - präsentiert, aber keinerlei Vorstellungen zu grundsätzlichen Entwicklungen des Programmangebots". Problematisch könnte der Stellenabbau vor allem für junge Mitarbeiter werden, bei denen keine so hohe Vertragssicherheit gegeben ist wie bei alt gedienten Redakteuren, sagt Moser.

Das Kalkül dahinter: 2007 verrechnete der ORF durchschnittlich 92.000 Euro Personalkosten pro Mitarbeiter. Um einiges günstiger sind Beschäftigte in den ORF-Tochterunternehmen (durchschnittlich 35.000 Euro). Doch horrende Direktorengehälter und eine Jobgarantie für einen Programmdirektor, der maßgeblich für eine gescheiterte Programmreform verantwortlich gemacht wird, schwächen die Verhandlungsmacht von Wrabetz.

Moser hält die Gesprächsbasis mit der Geschäftsführung jedenfalls für "gestört". Viele Mitarbeiter nehmen dem ORF-Chef seinen Auftritt vergangene Woche noch immer übel. Ausgeleuchtet in einem Studio, in dem ansonsten das österreichische Pendant zu Deutschland sucht den Superstar produziert wird, überbrachte der ORF-Chef die Hiobsbotschaft via Intranet. In einem Separée anbei saßen Journalisten anderer Medien, um über die Sparpläne zu berichten. Seither wird die Zukunft des größten Mediums im Land öffentlich verhandelt. Selbst die Uraltidee einer Teilprivatisierung des ORF wurde wieder in den Ring geworfen. Ein Name, der in diesem Zusammenhang gerne genannt wird: Der jetzige RTL-Chef und frühere Generaldirektor des ORF Gerhard Zeiler. Doch Zeiler hat bereits öffentlich verlauten lassen, keinen der beiden ORF-Sender übernehmen zu wollen.

Falls es früher oder später tatsächlich zur Teilprivatisierung kommen sollte, böte sich auch Raiffeisen als Interessent an. Laut Tageszeitung Standard soll die Bank die Mehrheit an der ORF-Sendetechniktochter ORS übernehmen. "Wenn der ORF die Mehrheit abgibt, ist Raiffeisen bereit, diese zu übernehmen", wird ein Generaldirektor zitiert. Ob man sich auch den Kauf eines der beiden ORF-Sender vorstellen könne? "Ich schließe für die Zukunft nichts aus."

Doch soweit will es Moser gar nicht erst kommen lassen. "Der Betriebsrat hat durchaus fantasievolle Mitglieder und auch in der Belegschaft ist das kreative Potenzial groß." Und dieses Potenzial, so Moser, könne sich entweder am Verhandlungstisch oder in kreativen Protestmaßnahmen entfalten.


foto auf flickr von themenparkphoto

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