2008/12/25

"Sie wollten uns umlegen"










"Falter" Nr. 52/08

Ex-Spiegel-Chef Stefan Aust über die Gnade gegenüber RAF-Mördern und die Krise in der Medienlandschaft

Interview: Martin Gantner


Die blutige Geschichte des Kampfes der Roten Armee Fraktion gegen den Staat ist in sechzig Meter Aktenordnern im Polizeiarchiv gesammelt. Der langjährige Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust schrieb 1985 daraus "Der Baader-Meinhof-Komplex". Vor kurzem kam eine Verfilmung des Buches in die Kinos. Der Falter sprach mit Aust über das Phänomen RAF und die Krise in der Medienbranche.


Falter: Herr Aust, der wegen mehrfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilte RAF-Terrorist Christian Klar wurde eben freigelassen, obwohl er bis heute keine Reue zeigt. Was sagen Sie dazu?

Stefan Aust
: Wir haben in Deutschland glücklicherweise keine Todesstrafe. Eine lebenslange Haftstrafe ist in der Regel nach 26 Jahren beendet. Das ist richtig, weil man den Leuten auch die Chance geben soll, sich mit ihren Taten auseinanderzusetzen. Man darf für Terroristen keine Sondergesetze machen. Also muss das auch für einen politisch motivierten Mörder wie Klar gelten.

Ihm wird nun eine Gnade zuteil, die er selbst nicht walten ließ. Liegt darin ein demokratisches Moment, das seinen Ursprung in den Tagen des deutschen Terrorismus hat?

Aust: Der Staat hat sich in dieser Zeit im Großen und Ganzen rechtsstaatlich verhalten.

Der Staat hat also alles richtig gemacht?

Aust: Natürlich wurden für den Stammheimer Prozess eigens Gesetze gemacht, und die Polizei hat Befugnisse bekommen, die sie nicht hätte haben sollen. Aber aus der zeitlichen Perspektive betrachtet, passierte dies in einem rechtsstaatlichen Rahmen. Der Deutsche Herbst hat gezeigt, dass der Staat in der Lage ist, sich mit einer sehr ernsten Bedrohung auseinanderzusetzen.

Sie kannten Ulrike Meinhof von der Zeitschrift "konkret".

Aust: Sie war eine eindrucksvolle Persönlichkeit und konnte sehr gut argumentieren. Wenn sie in Redaktionskonferenzen etwas gesagt hat, wagte keiner zu widersprechen. Sie war von einer sehr festen politischen Grundüberzeugung, aber auch ideologisch starrsinnig und mit einem gewissen intellektuellen Hochmut ausgestattet. Sie hat Sekretärinnen behandelt, wie man das heute nicht mehr machen würde. Und ich glaube, dass sie depressiv war.

Ich hingegen war eher der bürgerliche Liberale in der Firma. Ich habe den Journalismus als Selbstzweck verstanden und nicht als Mittel zur Erreichung politischer Ziele.

Die Sprache der RAF war sehr monoton, mechanisch und emotionslos.

Aust: Es war eine Mischung aus politischem Soziologen-Kauderwelsch und Proletariatssprache. Der Versuch, Intellekt und Arbeiterklasse zu vereinen. Die Sprache ist wahnsinnig abstrakt und dadurch scheinbar bedeutungsvoll, in Wirklichkeit aber oft nichtssagend. Natürlich war die Sprache auch sehr kalt und emotionslos, weil man sich ja sonst der Ungeheuerlichkeit des eigenen Tuns bewusst sein hätte müssen. Die Terroristen begaben sich in die Position des Vollstreckers höherer Gewalt, in die Position der Geschichtsvollstrecker.

Ihnen wird gerne unterstellt, selbst einen Baader-Meinhof-Komplex zu haben, schließlich ist die RAF Ihr Lebensthema.

Aust: Ich habe viele Lebensthemen. Vielleicht hatte eher Gudrun Ensslin den Baader-Meinhof-Komplex. Ihr kann es nicht recht gewesen sein, dass die "Firmenbezeichnung" ihren Namen nicht beinhaltete. Der RAF-Terror hatte ja auch etwas von einer "heiligen Selbstverwirklichung", wie es Ensslins Vater einmal formulierte. Dann dürfte sie auch gewollt haben, dass ihr Name draufsteht.

Sie bestreiten, dass Sie der RAF erlegen sind. Was ist es dann, was sie so fasziniert hat über all die Jahre?

Aust: Es ist einfach eine wahnsinnig spannende Geschichte, andernfalls säßen wir beide jetzt nicht hier.

Sie haben auch die Töchter von Meinhof in Sizilien befreit, die als kleine Kinder in ein Terroristencamp nach Jordanien abgeschoben werden sollten. Wie kam es zu der Befreiungsaktion?

Aust: Ein Freund von mir, Peter Homann, wohnte damals mit Meinhof zusammen und geriet deswegen fälschlicherweise in Verdacht, an der Baader-Befreiung beteiligt gewesen zu sein. Und da er nicht zu Unrecht ins Gefängnis gehen wollte, hielt er es für schlauer, sich mit anderen in den Nahen Osten abzusetzen. Dort hat er erfahren, dass die siebenjährigen Zwillinge in ein Kindercamp der Fatah geschickt werden sollten. Später erfuhren wir, wo die Mädchen versteckt waren, ich flog nach Sizilien und habe die Kinder abgeholt. Das Codewort war "Professor Schnase".

Wieso?

Aust: Die Kinder hatten einen Gummifrosch als Spielzeug, den sie Professor Schnase nannten.

Die Aktion hätte Sie beinahe das Leben gekostet.

Aust: Eines Nachts kamen Andreas Baader und Horst Mahler und wollten uns umlegen. Wir wurden aber gewarnt und konnten die Wohnung über einen Seitenausgang verlassen.

Wird der Terrorismus der RAF in seiner Bedeutung für die deutsche Nachkriegsgeschichte überschätzt?

Aust: Der Terrorismus und der Deutsche Herbst stellten nach 1945 die bislang größte Bedrohung für den Staat dar. Das hat sich tief in das kollektive Bewusstsein der Deutschen eingefressen, ähnlich wie der 11. September in den USA.

Die Autorin Jilian Becker sprach auch von "Hitlers Kindern". Wie faschistisch war die RAF?

Aust: Die Menschenverachtung hatte Ähnlichkeit mit dem, was im Dritten Reich passiert ist. Andererseits sind die Terroristen auch ein Stück weit geprägt von dem Protest, der sich gegen die Nichtaufarbeitung der Nazivergangenheit ihrer Eltern gerichtet hat. Ich würde das Verhalten der Gruppe aber nicht als faschistisch bezeichnen, sondern von Menschenverachtung sprechen.

Im Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" steht ganz am Ende: "Hört auf, sie so zu sehen, wie sie nicht waren!" Wann haben Sie begonnen, die RAF zu sehen, wie sie war?

Aust: Mir war immer klar, wie die Sache ausgehen würde. Es hatte von Anfang an was absolut Mörderisches und Selbstmörderisches. Auch diese romantische Verklärung hab ich nie geteilt, zumal die eben auch mit gezogener Waffe vor meiner Wohnung gestanden haben.

Und das Bild in der Gesellschaft?

Aust: Spätestens mit den Bombenanschlägen und der Flugzeugentführung brach die Sympathie in sich zusammen. Da wurden in der Bevölkerung auch Rufe Richtung Todesstrafe laut.

In Sachen RAF bleibt die Frage, ob die Inhaftierten in der Nacht ihres Selbstmords abgehört wurden. Ob also die Behörden den Selbstmord hätten verhindern können.

Aust: Es waren ja Wanzen in den Zellen, auch wenn die Behörden immer behauptet haben, dass nur die Besucherzellen abgehört wurden. Das habe ich nie geglaubt, weil nicht die Gespräche zwischen Terroristen und Anwälten so interessant waren, sondern jene zwischen den Gefangenen. Es sprechen sehr viele Indizien dafür, aber nachgewiesen wurde es nicht.

Was sagt uns die Geschichte des Deutschen Herbst über den Terrorismus von heute?

Aust: Man muss daraus lernen, dass man nicht die Nerven verlieren, den Rechtsstaat nicht zerstören darf, um ihn zu erhalten. Die Einsicht, dass man nicht jedes neue Übel mit einem neuen Gesetz lösen kann. Der Blick in die USA, auf Guantánamo Bay, zeigt auch, was es heißen kann, wenn ein Präsident und seine Berater die Nerven verlieren.

Die Nerven dürften auch in der "Spiegel"-Redaktion öfter blankgelegen sein, als Sie noch Chefredakteur waren. Es heißt, die Redakteure fürchteten sich vor Ihrem rigiden Führungsstil.

Aust: Ich hab noch keinen getroffen, der sich vor mir gefürchtet hat. Wir erwarten schließlich von den Redakteuren, dass sie sich mit großen Firmen, mit Geheimdiensten, Regierungen und auch mit der Kanzlerin anlegen - da kann man doch keine Leute gebrauchen, die sich bereits vor dem Chefredakteur fürchten. Die wären beim Spiegel ohnedies falsch gewesen. Ich sage Ihnen: Wir haben mehr Geschichten gedruckt, die eigentlich nicht druckbar waren, als druckbare Geschichten nicht gedruckt.

Der "Spiegel" ist das einzige Unternehmen in Deutschland, in dem die Mitarbeiter aufgrund einer Firmenbeteiligung ihren Chef feuern können. Ist diese Konstellation sinnvoll?

Aust: Im Prinzip ja, wenn intelligente Leute gewählt werden. Die Konstruktion ist im Prinzip die richtige. Mit dieser Verantwortung muss man aber auch umgehen können.

Sie sagten einmal, Chefredakteur beim "Spiegel" zu sein, wäre der schönste Job. Fehlt er Ihnen?

Aust: Nein. Bücher schreiben und Filme machen ist eigentlich interessanter.

Es gab immer wieder Kritik, dass die rot-grüne Bundesregierung schon vor den Bundestagswahlen 2005 vom "Spiegel" niedergeschrieben wurde. War das ein Fehler?

Aust: Nein. Es waren mit die interessantesten Zeiten, in denen das Blatt seiner Rolle als kritischem Kontrollorgan gerecht wurde. Als Schröder Kanzler wurde, meinten manche, dass der Spiegel jetzt zum rot-grünen Hofberichterstatter würde. In dem Moment, wo wir deutlich machten, dass dem nicht so war, hieß es, wir würden die Regierung abzusägen versuchen. Wir sind mit der Regierung Schröder genauso kritisch umgegangen wie vorher mit der Regierung Kohl und später mit der Regierung Merkel.

Ist man für Politiker nur interessant, solange man Chefredakteur ist?

Aust: Natürlich. Ein Busfahrer ist für Sie auch nur in dem Moment von Interesse, wenn er den Bus fährt. Ich hatte eine bestimmte Funktion, und als diese stand ich auf verschiedenen Einladungslisten - als Chefredakteur eines bedeutenden Nachrichtenmagazins. Das war mir immer klar.

Von Beginn der Bundesrepublik an galt das Motto: Egal, was kommt, der "Spiegel" deckt es auf. Wird das Blatt diesem Anspruch heute noch gerecht ?

Aust: Ich glaube, der Spiegel ist heute nicht weniger bedeutsam als in den 50er-Jahren. Das kollektive Denken in diesem Land findet nach wie vor in dieser Zeitschrift statt. Das wird auch noch lange so sein.

Sind Sie sich da so sicher? Der Journalismus in Deutschland und in den USA ist schon jetzt stark von der Finanzkrise betroffen.

Aust: Krisen beschleunigen immer Trends, die ohnehin vorhanden sind. Schlecht geführte Unternehmen sind eben besonders anfällig für Krisen.

Auch beim "Spiegel" soll es Mitarbeiter geben, die das ganze Jahr über keine Zeile schreiben.

Aust: Das soll es geben.

Ist man da dann gut gerüstet für die Krise?

Aust: Sicher. Ich glaube, der Spiegel wird eine Krise besser überstehen können als andere Produkte am Markt.

Sehen Sie die Medienvielfalt durch die Einsparungen nicht in Gefahr?

Aust: Überhaupt nicht. Es gibt heute viel mehr Zeitschriften als noch vor 20 Jahren. Es ist im Gegenteil so, dass die Verlage in den vergangenen Jahren mit den Anzeigen so viel Geld verdient haben, dass sie immer neue Titel auf den Markt geworfen haben, nur um das Anzeigenvolumen auszuschöpfen. Dass es nun eine gewisse Marktbereinigung gibt und dass Titel eingestellt werden, ist normal.

In Österreich klagt man darüber, keine "Süddeutsche Zeitung" oder keinen "Spiegel" zu haben. Woran liegt das?

Aust: Es gab in Österreich mit dem profil immer ein Pendant zum Spiegel. Dann kamen hier wie dort neue Magazine auf den Markt. In Deutschland Focus und in Österreich News. Wir haben uns dann so positioniert, dass Focus uns nicht überholen konnte. In Österreich hat News profil übernommen. Das hätte analog in Deutschland auch passieren können. Ist es aber nicht.

Ihr Auflösungsvertrag als Chefredakteur läuft noch bis 31.12. 2008. Was bringt 2009?

Aust: Ich bin Journalist, und das werde ich auch weiterhin bleiben. Aber sonst keine weiteren Details.

Erinnern Sie sich eigentlich noch an Ihre erste Geschichte?

Aust: Nein. Ich habe anfangs wenig geschrieben, weil ich etwa bei der Schülerzeitung Leute hatte, die das besser konnten. Ich wollte immer Blatt machen, Ideen entwickeln, Titel und Zeilen texten. Das Schreiben musste ich mir mühsam aneignen. Das habe ich erst gelernt, als ich Filmtexte und Bücher verfasste. Jetzt geht es einigermaßen.


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Zur Person

Stefan Aust ist deutscher Journalist und RAF-Experte. Er war mit der späteren RAF-Terroristin Ulrike Meinhof Redakteur bei der Zeitschrift konkret. Von 1994 bis 2008 war der heute 62-Jährige Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Mit Ende des Jahres läuft sein Spiegel-Vertrag aus. Aust wurde aber bereits im Februar 2008 vom Chefredakteursposten freigestellt. Mitarbeiter warfen ihm damals schlechten Führungsstil und mangelnde Innovationen vor


foto www.falter.at

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