2008/12/05

Super Nannys im Vergleich















© ZEIT ONLINE 5.12.2008 - 11:00 Uhr

Der Kommunikationswissenschaftler Jürgen Grimm hat die deutsche Super Nanny mit denen aus Österreich und Großbritannien in einer Studie verglichen. Ein Interview


ZEIT ONLINE: Herr Grimm, wie unterscheidet sich die deutsche Nanny, Katharina Saalfrank, von ihren Kolleginnen in Großbritannien und Österreich?

Jürgen Grimm: Die britische Nanny ist von allen drei die wohl autoritärste mit den striktesten Erziehungsmaßnahmen. Sie arbeitet auch noch mit der sehr umstrittenen Maßnahme "Stille Treppe", also einem Ort, an den das Kind gebracht wird, wenn es rebelliert. Am wenigsten autoritär war die Nanny in Österreich, das Format wurde jedoch eingestellt. Die Super Nanny in Deutschland, Frau Saalfrank, befindet sich irgendwo dazwischen. Sie hat ihre Rolle im Laufe der Zeit auch anders angelegt.

ZEIT ONLINE: Zu welchem Ergebnis sind Sie in Ihrer Studie gekommen?

Grimm: Wir haben festgestellt, dass die Qualität der Ratschläge in diesen Sendungen besser ist, als es die kritische, öffentliche Debatte vermuten lässt. Die Super Nannys pflegen überwiegend einen demokratischen Erziehungsstil, der auch von einer Mehrheit der Pädagogen favorisiert wird. Wir haben auch die Reaktion des Publikums untersucht und ein klares Orientierungsbedürfnis festgestellt. Es geht weniger um Sensationslust, sondern um den Versuch, die dargestellten Situationen, die gegebenen Ratschläge und die eigene Lebenssituation miteinander zu vergleichen.

ZEIT ONLINE: Sind diese Sendungen also pädagogisch wertvoll?

Grimm: Sie können durchaus effektiv sein. Die Tatsache, dass vor Ort in den Familien agiert wird, scheint sehr sinnvoll zu sein. Aber auch die Gegenwart einer Kamera führt oft zu einer Reflexion der eigenen Situation. Die Beteiligten beginnen, über sich und die eigenen Probleme nachzudenken. Und das ist für die Veränderung einer problematischen Erziehungssituation durchaus förderlich.

ZEIT ONLINE: In Österreich wurde die Sendung jedoch abgesetzt.

Grimm: Warum das passiert ist, ist mir auch nicht völlig klar. Der Erfolg der Sendung hat in Wien auch dazu geführt, dass das Jugendamt das Konzept der Nanny aufgegriffen hat. Sandra Velásquez hilft hier mit, die Familienberatung zu reformieren. Sie hat Schulungen gegeben, um ihre Erfahrungen aus der Fernsehwelt mit den Mitarbeitern des Jugendamtes zu teilen.

ZEIT ONLINE: Die Sender leisten also erzieherische Maßnahmen?

Grimm: Natürlich geht es den Sendern erst einmal um Quote, aber in vielen Fällen können durch den Eingriff der Super Nanny die Familienverhältnisse verbessert werden. Wenn dann ein Fall scheitert, dann ist das keine Hiobsbotschaft. Diese Sendung kann sich über Widerstände und Probleme auch nur begrenzt hinwegsetzen. Es gibt auch für die Techniken der Super Nanny keine Erfolgsgarantie. Aber die Krise betrifft auch die professionelle Erziehungsberatung.

ZEIT ONLINE: Wo sehen Sie konkret Veränderungsbedarf am Format?

Grimm: Wir haben nach Veröffentlichung der Studie vor allem kritisiert, dass es eine starke Fixierung auf Mütter gibt. Väter spielten als Erzieher praktisch keine Rolle. Das hat sich verbessert. Ansonsten richtet sich die Kritik vor allem an einzelne Erziehungsratschläge, die erteilt werden: Beispielsweise steht bei der englischen Nanny die direkte Interaktion mit dem Kind stark im Vordergrund. Das hat manchmal einen sehr reglementierenden Charakter. In Österreich und Deutschland ist dahingegen die Arbeit mit den Eltern zentraler.

ZEIT ONLINE: Und aus Sicht der Teilnehmer?

Grimm: Es gibt einen Interessenskonflikt zwischen den Familien und den Zuschauern zu Hause. Für letztere bietet die Sendung vor allem Erfahrungsmaterial. Da ist es nicht entscheidend, ob vorbildhaft agiert wird oder nicht. Das Publikum macht sich seinen eigenen Reim auf die Sache. Wenn etwas schief läuft, ist es für die teilnehmenden Familien viel problematischer. Die Reaktionen sind daher auch sehr gemischt: Manche Teilnehmer waren wirklich begeistert und haben anschließend eine professionelle Beratung aufgesucht, andere wurden jedoch sehr enttäuscht.

ZEIT ONLINE: Worauf führen Sie den Erfolg der Reality-Formate zurück?

Grimm: Es gibt offenbar ein starkes Bedürfnis, gesellschaftliche Fragen öffentlich zu verhandeln. Die Sendung hat schließlich auch dazu geführt, dass das Erziehungsthema viel stärker diskutiert wurde. Im Gegensatz zu früher, als es nur öffentlich-rechtliche Sender gab, hat Fernsehen heute keinen bloßen erzieherischen Auftrag mehr. Es geht heute viel stärker um Bedürfnisse des Massenpublikums. Bildungsfernsehen ohne Frontalunterricht und ohne erzieherische Absicht.

ZEIT ONLINE: Sie sehen Reality-TV sozusagen stärker als Lebensberatung?

Grimm: Ja, auch ein Spielfilm bietet Orientierung. Man geht in die Figuren hinein und vergleicht sich mit ihnen. Das Publikum sucht ganz einfach nach Lösungsmöglichkeiten für ihre Probleme.

ZEIT ONLINE: Reality-TV wird ja immer wieder totgesagt. Zu früh?

Grimm: Ja, denn andernfalls müsste der Alltag selbst unproblematisch werden, was er aber nie wird. Es wird immer Situationen geben, in denen man sich behaupten muss, in denen man zu kämpfen hat und daher besteht auch immer Kommunikationsbedarf. Es hängt einzig von der Fantasie der Produzenten ab. Oft wissen die aber gar nicht, warum ihr Format erfolgreich ist oder nicht. Bei Big Brother hat sich das sehr schön gezeigt. Als nach der ersten Staffel die Quoten gesunken sind, haben sie versucht, mit mehr nackter Haut dagegenzuhalten. Das war aber exakt das, was nicht die Attraktivität des Programms für die Zuschauer ausgemacht hat. Der Vergleich mit der eigenen Lebenssituation hinkte dadurch auf einmal.

Fragen von Martin Gantner





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Jürgen Grimm

Jürgen Grimm ist seit 2004 Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien. Außerdem ist er Leiter des Methodenforums der Fakultät für Sozialwissenschaften. Er leitete eine Länder vergleichende Inhaltsanalyse der Super Nanny-Sendungen in Großbritannien, Deutschland und Österreich. Vor seiner Wiener Zeit lehrte und forschte Grimm an verschiedenen deutschen Universitäten.





bild auf flickr von mephisto 19

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