2008/12/30

Rechts, aber nicht radikal







bild flickr.com von musikdieb










Text Martin Gantner | © ZEIT ONLINE 30.12.2008 - 13:29 Uhr

Proteste wie in Griechenland? Nicht in Österreich. Jung und Alt protestieren in diesem Land nicht auf der Straße, sondern in der Wahlkabine. Ein Land, das den Konflikt scheut.



Der Regen blieb aus an diesem Donnerstag im Oktober 2007. Die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz steht auf dem Wiener Ballhausplatz zwischen Bundeskanzleramt und Präsidentschaftskanzlei. Es ist 19 Uhr, um sie herum knapp 100 Demonstranten. Streeruwitz spricht von einer „untergegangenen Kultur“ – kein Zweifel: Sie hat mit mehr Leuten, mehr Transparenten, mit einem deutlicheren Signal gegen Asyl- und Fremdenrechtspolitik der Großen Koalition gerechnet. Sie wird die von ihr mitorganisierte Demonstration bereits nach einer Viertelstunde wieder verlassen – mit den Worten: „Vielleicht muss man sich etwas Neues einfallen lassen.“

Es war der gescheiterte Versuch, eine Wiener Institution, die so genannte Donnerstags-Demo, wieder zu beleben. In den ersten beiden Jahren der schwarz-blauen Koalition, unter Beteiligung der Partei des tödlich verunglückten Jörg Haiders, gingen anfangs 10.000 Leute, später ein paar Wenige friedlich auf die Straße. Wöchentlich. 112 Donnerstage in Folge. Gegen Jörg Haider, Fremdenhass, die FPÖ, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und die ÖVP.

Dieser zwei Jahre dauernde, wöchentliche Spaziergang von Jung und Alt, Schülern, Studenten und Berufstätigen auf der Wiener Ringstraße gibt Aufschluss über die Verfasstheit dieses Landes, über das Verhältnis zwischen Bürgern und dem Staat. Sie erklärt, warum Ausschreitungen wie in Griechenland in Österreich nicht zu erwarten sind. Denn die Geschichte der Donnerstags-Demo erzählt auch eine Geschichte der österreichischen Zivilgesellschaft. Und diese liebt den Konsens mehr als den Konflikt.

Denn jene Donnerstage in den Jahren 2000 und 2001 waren die Ausnahme. Die österreichische Normalität sieht anders aus. Der Protest, auch jener junger Leute, findet in Österreich nicht auf der Straße, sondern in der Wahlkabine statt. Bei den Nationalratswahlen im Oktober haben 33 Prozent der Unter-30-Jährigen die Freiheitliche Partei (FPÖ) von Heinz Christian Strache gewählt. Ein Kantersieg für die Rechts- und Protestparteien.

Zusammen erreichten FPÖ und Haiders Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) gar 43 Prozent der Stimmen unter den Jungwählern. Bei ungelernten Arbeitern erreichten sie mit ihrer Mischung aus sozialer, stark ausländerfeindlicher und nationalistischer Politik überhaupt die absolute Mehrheit.

„Nein, Proteste wie im Jahr 2000 blieben dieses Mal aus.“ Birgit Sauer sitzt wenige hundert Meter vom Wiener Ballhausplatz entfernt im Neuen Institutsgebäude der Universität Wien. Sauer ist Politikwissenschaftlerin und lebt seit 13 Jahren in der Bundeshauptstadt. Ursprünglich kommt sie aus Deutschland. Sie sagt, die Ausdauer der Demonstranten vor bald sieben Jahren hätte auch sie überrascht. Denn speziell für Österreich waren diese Proteste ungewöhnlich. „Die Jugendkultur, soziale Bewegungen überhaupt, sind in Österreich immer mit ein wenig Verspätung eingetroffen.“

Die beiden Großparteien hatten es über Jahrzehnte verstanden, jedweden Protest aufzufangen und in Verbänden und politischen Vorfeldorganisationen zu kanalisieren. „In Österreich steht Verhandlung anstelle der Konfrontation. Es ist eine Frage der politischen Kultur.“ Streiks wie in Deutschland, Frankreich oder in Italien gibt es nicht. Und außerdem geht es den Österreichern gut: Die Arbeitslosenquote ist lange niedrig, die wirtschaftlichen Eckdaten stimmen zwar aufgrund der aktuellen Finanzkrise nicht optimistisch, aber doch weniger pessimistisch als andernorts.

Doch was war dann im Jahr 2000 passiert? Wieso währte dieser Protest einer jungen Zivilgesellschaft ganze zwei Jahre lang? „Es war ein Aufbruch gegen diese totale politische Vereinnahmung, die es lange in Österreich gab und die es heute wieder gibt“, sagt Kurt Wendt. Er war bei den meisten Donnerstags-Demos dabei und gilt neben anderen als deren Mitbegründer. Die Politik suchte damals erstmals den Konflikt mit Arbeitnehmervertretern, schloss sie von Gesetzgebungsprozessen aus. Subventionen im Kulturbereich wurden gekürzt. Kurz: Die Politiker brachen mit Traditionen. Die jungen Wähler taten es ihnen gleich.

Es entstanden in dieser Zeit viele neue Medien, informelle Netzwerke, Plattformen und Newsletter. Kanzler Schüssel sprach von den für die Proteste Verantwortlichen als der „Internetgeneration“. Mit Mund (Medien unabhängiger Nachrichtendienst) entstand gar eine Online-Tageszeitung. Auch www.gegenschwarzblau.net wurde damals von einer jungen Wohngemeinschaft ins Netz gestellt. Jede Woche donnerstags wollte sich diese „Internetgeneration“ auf der politischen Bühne Gehör verschaffen - doch nicht, wie bis zu diesem Zeitpunkt üblich, hinter barocken Türen verschiedener Ministerien, sondern auf der Straße.

Heute, sieben Jahre später, sagt Wendt: „Jetzt ist wieder Grabesruh in Österreich eingekehrt.“ Österreich hat wieder eine Große Koalition. Die Rechtsparteien sitzen auf der Oppositionsbank, Gewerkschafter sollen wieder verstärkt mitreden dürfen, die Studiengebühren werden abgeschafft und die Einigkeit der beiden Regierungsparteien wird von diesen selbst gebetsmühlenartig betont. Momente, die zu einer großen Demonstration oder zu Protest Anlass bieten würden, sind, nach Meinung Wendts, bislang ausgeblieben.

Das Resümee der Schriftstellerin Streeruwitz fällt weniger versöhnlich aus. Sie sagt, die Proteste seien damals von Politik und Polizei nur verwaltet worden. Kommunikation habe nicht stattgefunden. „Wien war politischer denn je.“ Doch die Dynamik sei verpufft, weil sie ins Leere lief. Und nach dem dritten Donnerstag hätten auch die Polizisten den Dreh heraußen gehabt: Sie wussten, wie man eine riesige Gruppe von Demonstranten durch die Stadt lotst, ohne dabei den Verkehr allzu sehr zu blockieren. „Heute würde ich sagen: Weil es die Donnerstags-Demos gegeben hat und weil sie zu nichts geführt haben, haben sie letztlich eine Entpolitisierung gebracht, eine ganz starke Melancholie.“

Das Signal, das von der Politik ausgesendet worden sei: Protest und Demonstrationen sind zwecklos. Die Botschaft scheint angekommen. Meinungsforscher betonen nach Nationalratswahlen in Österreich gerne: Die Wähler würden rechte Politik wählen, ohne selbst wirklich rechts zu sein. Noch immer sei vielen Österreichern die Große Koalition die liebste Regierungsform, doch die Wähler würden sich ein starkes Korrektiv wünschen. Und die innerparlamentarische Opposition, die beiden ausländerfeindlichen Parteien FPÖ und BZÖ sehen sie hierzu offenbar besser in der Lage als sich selbst.


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