2008/10/19
Ins rechte Licht gerückt
Von Martin Gantner | © ZEIT ONLINE 15.10.2008 - 15:59 Uhr
Journalisten dürfen häufig nur berichten, wenn sie Knebelverträge unterschreiben. Künstler und PR-Agenturen wollen kontrollieren, was nicht mehr zu kontrollieren ist
Eigentlich hätte die deutsche Schauspielerin und Ulrike-Meinhof-Darstellerin Martina Gedeck aufs Cover der Hamburger Obdachlosenzeitung Hinz&Kunzt kommen sollen. Statt ihr lächelt nun Fernsehmoderator Tobias Schlegel von der Frontseite. Er war die zweite Wahl. Die Redaktion hatte sich entschlossen, von Gedeck abzusehen. Kein Interview. Kein Cover.
Stattdessen erschien in der Zeitung ein Artikel unter dem Titel: "Nicht mit uns! Warum ein geplantes Interview mit Martina Gedeck nicht stattfindet." Der Grund: Immer öfter werden Journalisten dazu angehalten, Verträge und Akkreditierungsbestimmungen zu unterschreiben, die wohlige Berichterstattung garantieren sollen. Die Regularien gleichen sich häufig: Fotos dürfen nur aus bestimmten Blickwinkeln geschossen werden. Texte sollen nicht mehr in Redaktionen, sondern am besten gleich in den PR-Agenturen selbst redigiert werden.
Im konkreten Fall, schreibt Hinz&Kunzt, sollten Zitate und die drei Sätze vor und nach den Zitaten vorgelegt werden. Man hätte sich des Weiteren dazu verpflichten müssen, Frau Gedeck aufs Cover zu heben und sämtliche Bildunterschriften, Zwischenzeilen, Überschriften und Unterzeilen vorzulegen. Fotos sowieso. Gedecks Agentur wollte zu dem konkreten Fall keine Stellung nehmen.
Auch im Zusammenhang mit dem Film Der Baader Meinhof Komplex ist es mehrfach zu solch negativen Schlagzeilen gekommen. Die ersten gab es, als der Film noch gar nicht in den Kinos war. Der Einladung zur Münchner Pressevorführung lag ein Vertrag bei, in denen sich die Journalisten mit ihrer Unterschrift damit einverstanden erklären mussten, keine ausführlichen Besprechungen und Kritiken vor dem 17. September - rund eine Woche vor Kinostart - und keine Interviews oder sonstigen Artikel zum Film vor dem 12. September zu veröffentlichen.
Solche Sperrfristen sind mittlerweile nichts Ungewöhnliches mehr. Für Aufregung sorgten allerdings die Konsequenzen, mit denen die Agentur drohte: Für eine Zuwiderhandlung sollte eine Konventionalstrafe von insgesamt 100.000 Euro fällig werden, jeweils zur Hälfte vom betroffenen Journalisten bzw. seinem Medium an die Münchner Constantin Film zu überweisen. "Der Fall Baader-Meinhof war auch für uns eine Premiere", sagt Hendrik Zörner, Pressesprecher des deutschen Journalistenverbands (DJV). "Dass ein Filmverleiher mit einer Strafe in der Höhe von 50.000 Euro gedroht hat, haben auch wir noch nicht erlebt." Und Zörner hat schon einiges erlebt. Herbert Grönemeyer, Robbie Williams, Katie Melua, David Copperfield, die Kelly Family – sie alle hatten versucht, Einfluss auf Art und Weise der Berichterstattung zu nehmen.
Dabei geht es um die heikle Frage, wo Pressefreiheit anfängt und Vertragsfreiheit aufhört. Oft werden Verträge oder Akkreditierungsbestimmungen erst kurz vor der jeweiligen Veranstaltung vorgelegt, sodass es zeitlich nicht mehr möglich ist, gegen die einzelnen Bestimmungen rechtlich vorzugehen. Veranstalter verweisen auf das Recht der Vertragsfreiheit und auf das Hausrecht. "Konzertarenen werden so zu Wohnzimmern erklärt", ärgert sich Zörner. Viele Medienvertreter fordern daher den Journalistenverband auf, Musterprozesse zu führen. Experten sind jedoch uneins über die Erfolgsaussichten solcher Klagen. Solange keine Musterprozesse geführt werden, bleiben den Medien einzig die Möglichkeit des Boykotts und die Hoffnung, dass sich Kollegen anderer Zeitungen solidarisch erklären und über solche Veranstaltungen ebenfalls nicht berichten.
Justus Demmer ist Pressesprecher der Deutschen Presseagentur (dpa). Auch er spricht von einem Trend. Immer häufiger werde versucht, die aktuelle Berichterstattung zu beeinflussen oder gar zu unterbinden. "Aus Berichterstattung soll eine PR-Veranstaltung gemacht werden." Die Forderungskataloge der Veranstalter reichten mittlerweile bis hin zur detaillierten Beschreibung des Foto-Equipments. "Der letzte Schritt ist der Versuch, die Rechte am produzierten Material einzufordern."
Ein besonders anschauliches Beispiel war vor zwei Jahren die Deutschland-Tour von Robbie Williams. Das Album Intensive Care durften Journalisten im Vorfeld nur per T-Mobile-Handy-Abspielfunktion hören. Die Pressemappe bestand zu großen Teilen aus Material der Werbepartner. Beim Konzert selbst wurde kein einziger deutscher Fotograf zugelassen. Stattdessen schickte eine britische Agentur einen Exklusiv-Fotografen und bot die Bilder für 150 britische Pfund zum Kauf an. Um für die After-Show-Party zugelassen zu werden, mussten sich die Journalisten dazu verpflichten, den Handyanbieter im Artikel zu erwähnen. Dpa und Associated Press verzichteten völlig auf die Konzertberichterstattung. Die Telecom kündigte danach an, die Verträge mit der externen PR-Agentur aufzulösen.
Solch rigide Verträge sind auch in der PR-Branche nicht unumstritten. Ulrich Nies ist Präsident der deutschen PR-Gesellschaft (DPRG). Über die Verträge sagt er: "Das bringt nur Frustrationen." Er würde seinen Kollegen schon lange abraten, solche Verträge aufzusetzen. "Der Grundsatz Control your Message ist in Zeiten von Blogs und Social Media bis zu einem gewissen Grad obsolet geworden." In der Tat stellt sich die Frage, weshalb Fotojournalisten das Konzert nach dem zweiten Lied verlassen müssen, während normale Konzertbesucher mit ihren Handys weiter aufnehmen und fotografieren. "Es ist der Versuch, die neuen Medien nach den Regeln der alten zu behandeln."
Karl Liebknecht kann die Kritik an Künstleragenturen und Konzertveranstaltern nicht mehr hören. Er ist Konzertveranstalter und erklärt gebetsmühlenartig: "Für die Auflagen kann ich nichts." Er könne nicht mehr tun, als "seinen Künstlern" aus dem Ausland zu vermitteln, was in Deutschland geht und was nicht. Einer seiner Künstler, Mark Knopfler, hatte genau dies nicht verstehen wollen: ZEIT ONLINE liegt der Vertrag vor, in dem sich Fotografen dazu verpflichten müssen, die Rechte an ihren Bildern für wahlweise ein Euro oder ein Pfund an Herren Knopfler abzutreten. Nach heftigen Protesten war die Klausel vom Tisch. Liebknecht selbst war angesichts der Forderung verwundert. Er sieht in den Verträgen den hoffnungslosen Versuch, sich gegen die zunehmende Technisierung der Medien zur Wehr zu setzen. Ein letzter Versuch zu kontrollieren, was nicht mehr zu kontrollieren ist.
bild auf www.flickr.com von cecilienissen
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