Von Martin Gantner | © ZEIT ONLINE 20.10.2008 - 14:58 Uhr
Recherchen eines Studenten brachten die Justiz auf die Spur eines 89-Jährigen. Er soll 1945 an der Ermordung von 60 Juden in Österreich beteiligt gewesen sein
Es war der Morgen des Gründonnerstags, am 29. März 1945, als im österreichischen Deutsch Schützen rund 60 jüdische Zwangsarbeiter zusammengetrieben wurden. In einer Waldlichtung nahe der Kirche wurden sie von deutschen Soldaten erschossen. 50 Jahre später wurde das Massengrab entdeckt, 63 Jahre später soll nun einer der Täter in Deutschland ausfindig gemacht worden sein. Der 89-Jährige lebt angeblich unweit seines Geburtsortes in Nordrhein-Westfalen.
Ein österreichischer Student der Politikwissenschaft, Andreas Forster, war im Zuge seines Forschungspraktikums auf den Namen des Mannes gestoßen, der Mitglied der Waffen-SS gewesen sein soll. Der Name sei zwar gelegentlich falsch geschrieben worden, sei aber seit 1946 bekannt gewesen, berichtet die österreichische Nachrichtenseite ORF Online.
Forster hatte daraufhin eine Anfrage an das Bundesarchiv in Berlin gestellt, wo es Akten über den Mann gab. Er informierte seinen Professor Walter Manoschek am Institut für Staatswissenschaft in Wien. Manoschek fuhr nach Deutschland, um dem Verdächtigen einen unangekündigten Besuch abzustatten. "Ich war überrascht, dass er einem Interview mit Kamera zugestimmt hat“, sagte Manoschek im Gespräch mit ZEIT ONLINE. Der 89-Jährige habe über das plötzliche Interesse nicht verwundert gewirkt. "Ich hatte das Gefühl, er benutzte mich als Sparringpartner. Er wollte sehen, was ich wusste, was aktenkundig ist, um sich auf ein etwaiges Gerichtsverfahren vorzubereiten.“
Manoschek fuhr drei Mal nach Nordrhein Westfalen und interviewte den 89-Jährigen insgesamt sieben Tage lang. Er konfrontierte ihn mit Zeugenaussagen aus einem Prozess, der kurz nach dem Krieg 1946 in Wien geführt wurde. Sie sollen den 89-Jährigen schwer belasten. Zu Beginn des Interviews habe der Beschuldigte erklärt, er könne sich an die Stunden der Erschießungen nicht erinnern. Die Zeugenaussagen könne er sich nicht erklären, sie könnten aber stimmen. Das habe sich am Ende des Interviews aber wieder geändert, sagte Manoschek. Der 89-Jährige leugne nun jegliche Beteiligung an dem Massaker.
Manoschek erstattete nach den Interviews Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Dortmund. Die leitete am 15. August ein Ermittlungsverfahren gegen den Mann ein. "Wir forcieren die Sache“, sagte Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß ZEIT ONLINE. Maaß leitet die Zentralstelle zur Bearbeitung nationalsozialistischer Massenverbrechen. Eine Vernehmung noch in diesem Jahr schließt er nicht aus. "Wir sind dabei, das umfangreiche Material auszuwerten und etwaige Zeugen, sofern sie noch am Leben sind, zu befragen.“
Weitere Einzelheiten wollte der Staatsanwalt derzeit nicht nennen. Kontakt zu dem Beschuldigten bestünde noch nicht. Nach den Interviews dürfte er aber mit Ermittlungen bereits rechnen. Manoschek und Forster wollen ihr Material indes als Dokumentarfilm veröffentlichen. "Es ist nur eine Frage der Finanzierung“, sagt der Wissenschaftler.
2008/10/21
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