2008/10/19
Ein Kraftwerk bringt Hoffnung
Moorburg
Von Martin Gantner | © ZEIT ONLINE 9.10.2008 - 10:19 Uhr
Hamburgs Grüne beraten heute, ob sie wegen des Kohlekraftwerks Moorburg die Koalition mit der CDU verlassen. Viele Anwohner aber sehen es eher als Segen
Die Maria-Magdalena-Kirche ist gut besucht an diesem Sonntag. Die 800-Seelen-Gemeinde Moorburg im Süden Hamburgs feiert Erntedank. 60 Gemeindemitglieder sind trotz starken Regens gekommen. „Es gibt hier ein reges Gemeindeleben“, sagt Pastorin Anja Blös nach dem Gottesdienst. Im Gemeindehaus wird Kaffee und Kuchen serviert. Die Tische sind feierlich gedeckt, Jung und Alt sitzen beisammen, Kinder vom Bastelkreis verkaufen selbst bestickte Handtücher mit dem Schriftzug „Moorburg forever“.
Alles sehr idyllisch und friedlich. Es wird viel gelacht und diskutiert. Doch auch wenn die Gemeinde diesen Eindruck nicht vermittelt: Moorburg ist ein Dorf in Kampfesstimmung. Schon seit Jahrzehnten zwischen Auf- und Abbruch gefangen.
Denn Moorburg liegt mitten im Hamburger Hafenerweiterungsgebiet. Sein Schicksal ist deshalb eigentlich besiegelt: Es soll dem Hafen früher oder später weichen, so wie andere Dörfer zuvor. Schon heute sind mehr als 90 Prozent der Häuser im Eigentum der Stadt, neu gebaut werden darf nicht mehr, und auch die Grundschule wurde 2007 geschlossen. Zu wenig Nachwuchs. Aber dennoch: Die Bürger haben die Hoffnung noch lange nicht aufgegeben. Sie wollen ihr „Paradies im Grünen“ nicht verlieren. Und die Chancen hierfür stehen nicht schlecht.
„Kraftwerk Mooburg wird gebaut“, stand vergangene Woche in den Zeitungen. Selbst den seit einigen Monaten mit der CDU in der Hansestadt regierenden Grünen ist es letztlich nicht gelungen zu verhindern, was wohl nicht mehr zu verhindern war. Im Gegenteil: Ausgerechnet der grünen Umweltsenatorin Anja Hajduk fiel es zu, den Bau des Kraftwerks zu genehmigen. Unter Auflagen zwar. Aber doch.
Noch im Wahlkampf hatte die damalige Grünen-Fraktionsvorsitzende und heutige Zweite Bürgermeisterin Christa Goetsch verkündet: „Mit uns wird keine Erlaubnis für das Kraftwerk erteilt werden.“ Was aber absehbar war, ist jetzt eingetreten: Juristisch war der Bau nicht mehr zu stoppen, der Energiekonzern Vattenfall hatte für das zwei Milliarden Euro teure Projekt ein bindende Zusage des früheren CDU-Senats. Ab 2012 soll das "CO2-Monster" – allen Protestaktionen von Umweltschützern zum Trotz – Hamburg mit Strom beliefern und das weniger effiziente, 50 Jahre alte Kraftwerk Wedel in Schleswig-Holstein ersetzen.
Dennoch oder gerade deswegen wurde Moorburg zum Sinnbild. Sinnbild für Scheitern und Läuterung grüner Politik, Sinnbild für Energie- und Hafenpolitik, aber auch Sinnbild für neue Hoffnung. „Mooburg ist gespalten“, sagt Pastorin Blös: „Die einen sind für das Kraftwerk, die anderen sind dagegen.“
In Gesprächen mit den Bewohnern fallen immer wieder dieselben Schlagwörter: Ohnmacht, Bitterkeit und Wut, aber auch Hoffnung und Zuversicht. Im Grunde ist das Dorf in zwei Fraktionen geteilt: Die einen fürchten Folgeschäden für die Elbe durch das Kühlwasser und erhöhte Feinstaubbelastung in der Luft, die anderen aber sprechen von Zuversicht. Rainer Böhrnsen gehört zu Letzteren.
Wer verstehen will, weshalb es Leute gibt, die sich für den Bau eines Kohlekraftwerks im eigenen Dorf aussprechen, muss Böhrnsen in seiner Pension am Kirchdeich besuchen. Denn viele im Dorf denken wie er. Die CO2-Argumente kümmern ihn weniger als die Aussicht, seinem Ziel näher zu sein denn je: Moorburg nicht verlassen zu müssen. Böhrnsen ist überzeugt, dass die Hafenerweiterung mit dem Kraftwerksbau vom Tisch ist, zumindest was sein Dorf betrifft. Es sei jetzt einfach zu wenig Platz da. Außerdem sei der Bau eines neuen Hafenbeckens zu teuer, zumal der Hafenumschlag auch nicht mehr so stark wachse wie in den vergangenen Jahren. „Um Moorburg mach ich mir keine Sorgen mehr“, sagt er.
Mut macht den Moorburger auch, dass wieder junge Leute aus der Stadt, Künstler und junge Familien, in das Elbdorf ziehen. Denn die Mieten sind dort günstig, man wohnt im Grünen und doch City-nah. „Wir wachsen wieder ein wenig“, sagt Böhrnsen. „Die Agonie ist verschwunden.“ Den Kindergarten besuchen seit Jahren konstant 60 Kinder. Sie kommen aus Nachbarorten, sogar aus Niedersachsen, weil da Krippenplätze fehlen. Bei den älteren Bewohnern werden da Erinnerungen an das „alte“ Moorburg wach. An jene Zeit nach dem Krieg, als das Dorf noch mehr als 2000 Einwohner hatte. Doch dann kamen Industrie und Elbflut. Da wo einst das Haus mit der Nummer eins stand, steht heute eine Raffinerie.
Sonst blieb fast alles wie früher. Wie konserviert wirkt das Dorf, weil eben keine neuen Häuser mehr gebaut werden dürfen und niemand mehr viel in sie steckt. Wie lange die alten noch stehen bleiben dürfen, ist unklar. Trotz des Kraftwerksbau gibt es bislang keine Signale vom Senat, dass er die Hafenpläne ändern will. Immerhin soll es jetzt befristete Baugenehmigungen bis 2035 geben. Sollte Moorburg dem Hafen eher weichen müssen, verpflichtet sich die Stadt, Schadensersatz zu leisten.
Hero Janssen ist dennoch weggezogen, 1962 nach der großen Flut. „Abbrennen kann man überall, aber nich´ absaufen“, sagt Janssen, die Erinnerungen an die Flut noch deutlich vor Augen. Heute ist er in Rente und kümmert sich um die Instandhaltung der Dorfkirche in Moorburg. Gegen den Kraftwerksbau setzt auch er sich nicht zur Wehr. „Wenn´s so kommt, dann kommt es so“, sagt Janssen mit ruhiger, schicksalsergebener Stimme. Am Ende des Gesprächs erklärt er, wieso das Kraftwerk, wenn schon nicht gut, dann zumindest nicht schlecht für Moorburg sei: „Es bringt Arbeit. Und wo Arbeit ist, fließt Geld. Und wo Geld fließt, fließt Lohn.“
foto martin gantner
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