2008/11/26

Die große Leere










© ZEIT ONLINE 26.11.2008




David Goecker arbeitet mit Menschen, die mit pädophilen Neigungen leben müssen. Ein Interview über Folgen und Motive des Konsums von Kinderpornografie



ZEIT ONLINE: Herr Goecker, was halten Sie von dem Vorschlag von Familienministerin Ursula von der Leyen, Websites mit kinderpornografischen Inhalten sperren zu lassen?

David Goecker: Ich begrüße den Vorschlag, weil zu hoffen ist, dass durch einen kleineren Markt auch weniger Kinder für die Herstellung pornografischen Materials sexuell missbraucht werden.


ZEIT ONLINE:
Das Problem hat durch das Internet eine neue Dynamik erhalten. Medien sprechen von einer "Generation Porno“, die Berichterstattung suggeriert, dass es auf einmal auch mehr pädophile Menschen gibt.

Goecker: In der Regel ist es so, dass die sexuelle Präferenz schon vor dem Konsum vorliegt. Auch wenn zahlreiche Betroffene glauben, erst durch den Konsum solcher Bilder pädophil geworden zu sein. In der Tat ist es aber so, dass pädosexuelle Wünsche zu dem Konsum von Kinderpornografie hinführen.


ZEIT ONLINE:
Hat der Konsum des Materials auch irgendwelche Auswirkungen auf das sexuelle Verhalten der Betroffenen?

Goecker: Wie sich der Konsum letztlich auf das Sexualverhalten auswirkt, das heißt, ob dadurch das Risiko eines realen sexuellen Übergriffs erhöht wird, darüber kann derzeit nur spekuliert werden.


ZEIT ONLINE:
Welche Rolle spielt der Konsum bei Pädophilen?

Goecker: Die meisten Pädophilen haben Erfahrungen mit kinderpornografischem Material. Es gibt einige, die schauen sich Unterhosen- oder Badehosen-Models an, andere betrachten Akt- und FKK-Bilder, wiederum andere jedoch auch sexuelle Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen.


ZEIT ONLINE:
Der kanadische Psychiater Norman Doidge sagt, die Mechanismen, die beim Konsum von Pornografie greifen, seien ähnlich wie das Phänomen des Pawlow´schen Hundes. Man würde konditioniert, verlange immer mehr und entdecke unter Umständen neue sexuelle Präferenzen.

Goecker: Das berichten auch teilweise Patienten von uns. Aber wenn man nicht pädophil ist, kann man noch so viel kinderpornografisches Material anschauen und wird in der Regel immer noch Abbildungen von Erwachsenen zur sexuellen Erregungssteigerung bevorzugen. Auf die sexuelle Präferenz hat der Konsum von Kinderpornografie vermutlich keine große Auswirkung. Dadurch dürfte es nicht mehr pädophile Menschen geben als zuvor. Es gibt einige, bei denen die Pädophilie nur einen Teil der sexuellen Präferenz ausmacht, die werden durch den Konsum möglicherweise eher auf ihr Verlangen aufmerksam gemacht.


ZEIT ONLINE:
Beschreiben Sie das Dilemma, in welchem sich Pädophile befinden.

Goecker: Es ist so, dass Pädophile ja keine Möglichkeit haben, ihre Sexualität mit dem gewünschten Sexualpartner, nämlich einem Kind, auszuleben. Sie fantasieren sexuelle Beziehungen mit Kindern und schauen sich kinderpornografische Bilder bis hin zum Orgasmus an. Allerdings hinterlässt das auch immer wieder ein Gefühl der Leere. Pädophile verlieben sich ja auch in die Kinder und wünschen sich eine Beziehung auf Augenhöhe mit ihnen. Diese Bedürfnisse werden durch den Konsum von Kinderpornografie aber nicht befriedigt. Und weil dieses Begehren unerfüllt bleibt, kann das auch dazu führen, dass der Konsum von kinderpornografischem Bildmaterial zunimmt.


ZEIT ONLINE: Leiden Pädophile unter Gewissensbissen?

Goecker: Es gibt einige Pädophile, die für sich eine Grenze gezogen haben und sich nur FKK-Bilder anschauen, aber dann gibt es auch einige, die sich sexuelle Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen anschauen und das Leid entweder ausblenden oder überhaupt leugnen. In einigen seltenen Fällen, wenn zusätzlich ein Sadismus vorliegt, kann das Leid der Kinder die sexuelle Erregung zusätzlich steigern.


ZEIT ONLINE: Pädophile Männer unterliegen ja oft der Vorstellung, die Kinder würden sich ebenfalls eine Beziehung zu ihnen wünschen. Wird das durch den Konsum noch weiter unterstützt?

Goecker: Wenn Pädophile sich Bilder mit sexuellen Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen anschauen, müssen sie sich dabei teilweise eingestehen, dass Kinder darunter leiden. Doch manche leugnen das auch, um sich sozusagen selbst zu schützen und den eigenen Konsum zu legitimieren.


Fragen von Martin Gantner




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Portrait

David Goecker

David Goecker ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Spezialist auf dem Gebiet der Sexualmedizin. Als solcher ist er als freier wissenschaftlicher Mitarbeiter in das Präventionsprojekt "Dunkelfeld" am Berliner Charité eingebunden und leitet in diesem Rahmen auch eine Therapiegruppe mit pädophilen Männern.

In dem nach Angaben der Klinik weltweit einmaligen Forschungsprojekt haben bisher rund 20 betroffene Männer, die sexuelle Neigungen gegenüber Kindern verspüren, eine Spezialtherapie beendet. Nach Ärzteangaben nahmen bei allen potentiellen Tätern Wahrnehmungsstörungen ab, wonach beispielsweise Kinder nach Sex verlangen.

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