2008/11/25

Viel Lob und ein wenig Tadel

Von Martin Gantner | © ZEIT ONLINE 25.11.2008


Der Vorschlag, kinderpornografische Seiten zu sperren, stößt auf Zustimmung. Gelöst ist das Problem jedoch nicht. Der Kampf kann nur an vielen Fronten gewonnen werden.




Mit dem Vorschlag, Seiten mit kinderpornografischen Inhalten sperren zu wollen, rennt Familienministerin Ursula von der Leyen offene Türen ein – bei anderen Parteien, Opferschutzorganisationen, Täterpräventionsstellen und verschiedenen Experten. "Ja wir begrüßen den Vorstoß", steht zu Beginn eines jeden Gesprächs, und am Ende dann ein leises "aber", das verdeutlichen will: Es kann nur ein Teil eines umfassenden Maßnahmenpakets sein, um Kinderpornografie effektiv entgegenzutreten. Denn der Kampf gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern im Internet ist ein Kampf an vielen Fronten. Die technische Front und die Frage, wie und ob solche Webblocking-Methoden greifen, ist nur eine unter vielen.


"Wir mähen den Rasen einmal ab, drehen uns um und stellen fest: Schon wieder alles nachgewachsen", sagt Peter Vogt. Vogt leitet die Zentralstelle zur Bekämpfung gewaltdarstellender und pornographischer Schriften in Sachsen-Anhalt. Er gilt als Koryphäe im Kampf gegen Kinderpornografie. "Wir haben gerade eine einschlägige Seite im Netz beobachtet: 49.000 Klicks in nur zehn Tagen. Die Nachfrage ist enorm."


Von der Leyen zitiert eine britische Studie, wonach 80 Prozent der betroffenen Kinder unter zehn Jahre alt sind, 33 Prozent unter drei und weitere zehn Prozent sogar jünger als zwei Jahre. Allein 2007 deckte die Polizei rund 9000 Fälle des Besitzes und der Beschaffung von einschlägigem Material auf. Und nun soll die „Datenautobahn für Kinderpornografie“ (Von der Leyen) geschlossen werden.


"Ich widerspreche niemandem, der den Kampf gegen Kinderpornografie aufnimmt, aber ich werde den Teufel tun und ihnen erklären, wie ich in 60 Sekunden solch eine Websperre umgangen habe", sagt Vogt. Er ist sicher, die Anbieter werden auf diese Strategien mit neuen Strategien antworten. "Aber das Leben wird Händlern und Konsumenten schwerer gemacht. Daher ist es auch eine gute Maßnahme. Denn jeder Klick zeigt den Anbietern: Hier ist ein Markt. Wenn weniger geklickt wird, werden auch weniger Kinder missbraucht."


Die Maßnahme wird den Brand bekämpfen, löschen kann es das Feuer nicht. Ein Grund hierfür ist, dass Kinderpornografie ein Markt ist, der mittlerweile zwar Milliardenumsätze generiert, der aber primär nicht monetär angetrieben wird. Korinna Kuhnen hat das Buch Kinderpornographie und Internet geschrieben und sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt. "Man schätzt, dass rund 70 Prozent der Täter Neigungstäter sind. Sie tauschen die Bilder untereinander unentgeltlich, verbreiten und konsumieren sie." Nur rund 30 Prozent des Konsums würden kommerzielle Angebote ausmachen.


Aber dass Leute pornografische Bilder von A nach B schicken, kann nicht verhindert werden. "Da machen wir uns was vor", sagt Vogt. Der Oberstaatsanwalt wurde viel kritisiert, weil er in einem Zeitungsinterview gesagt hat: "Wir haben den Kampf bereits verloren." Vogt steht weiterhin dazu. Bilder, die über Mail oder Chat gehandelt werden, könnten nicht verhindert werden. Einzig der industrielle Zweig kann und muss bekämpft werden. Und zwar schnell, denn das Problem hat an Schärfe gewonnen.


Vorbei sind die Zeiten, als komplizierte Briefkastensysteme und verklausulierte Zeitungsannoncen die Nachfrage nach Kinderpornografie zu befriedigen suchten. Heute genügen wenige Klicks am Schreibtisch. Und geklickt wird viel. Naiin ist eine Art Internetbeschwerdestelle, eine Initiative gegen Internet-Kriminalität. 75 Prozent der Beschwerden, knapp 20.000 jährlich, zeigen Seiten mit kinderpornografischen Inhalten an, sagt Dennis Grabowski.


Dass die Kinder immer jünger und die sexuellen Handlungen in ihrer Darstellung immer drastischer würden, wie Frau Von der Leyen behauptet, kann Grabowski "in der Tendenz bestätigen. Globalstatistiken gibt es aber keine." Auch er begrüßt die Initiative, nennt sie aber gleichzeitig, eine "Bankrotterklärung an Justiz und Politik". Deutschland würde durch das Gesetz zu einer Insel, an deren Grenzen kinderpornografischen Seiten die Einreise verboten wird. Die Inhalte bleiben im Netz, sie werden bloß vor deutschen Nutzern abgeschottet. Es bedeutet ein Eingeständnis, dass Kinderpornografie nicht unterbunden, sondern bestenfalls an immer neuen Fronten immer neu bekämpft werden kann.


Grabowski, Kuhnen und Vogt fordern daher zusätzliche Maßnahmen. Der Oberstaatsanwalt wünscht sich einen Schulterschluss mit der Kreditkartenwirtschaft: "Wir haben es bei Operation Mikado gesehen: Wir kamen weder an den Server, noch an Produzenten oder Konsumenten ran." Man suchte den Schulterschluss und fand jene, die sich die Bilder auf ihren Rechner geladen hatten. Über die Angaben der Kreditkartenfirmen wurde deutlich, wer einen bestimmten Betrag, wann auf ein bestimmtes Konto überwiesen hat. Kritiker sprachen von Rasterfahndung, Vogt sagt: "Den Neugierigen kann man durch Webblocking beikommen, pädophilen Konsumenten muss der Geldhahn abgedreht werden."


Auch Kuhnen dämpft die Erfolgsaussichten. "Zu sagen, ‘wir schließen die Datenautobahn für Kinderpornografie‘, ist purer Euphemismus." Finanzielle und personelle Engpässe bei der Auswertung von gesammelten Daten müssten behoben werden. Oftmals sei eine aktive Opferidentifizierung nicht möglich, und auch im Bereich der Täterprävention mangle es an Angeboten. "Denn Täterprävention heißt immer auch Opferprävention."

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