Von Martin Gantner | © ZEIT ONLINE 24.11.2008
Die Große Koalition ist neue alte Regierungsform in Österreich. Sie wird an ihrem Umgang mit dem rechten Lager gemessen werden müssen. Ein Kommentar
Nach 56 Tagen ist es so weit: Österreich hat eine neue Regierung, eine neuerliche rot-schwarze Koalition. Die einstigen Großparteien SPÖ und ÖVP haben sich am Sonntag auf Koalitionsprogramm und Ressortverteilung für die nächsten fünf Jahre geeinigt. Bundeskanzler wird der Chef der Sozialdemokratischen Partei Werner Faymann. Sein Vize, Parteichef der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), ist Josef Pröll.
Das erklärte Ziel der neuen Regierung heißt: es besser zu machen als die vorige Große Koalition unter Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ). Eine neue Form des Regierens, „Teamgeist und gute Zusammenarbeit“ sollen Österreich in Zeiten einer internationalen Finanzkrise führen, betonte Faymann auf einer Pressekonferenz. Man müsse der Politik zurückgeben, was ihr dringend Not tut: "Die Glaubwürdigkeit bei den Wählerinnen und Wählern."
Doch eine Regierung Faymann kann nicht nur an Bankenkrediten und Konjunkturpaketen gemessen werden. Ebenso ausschlaggebend wie ein neuer Stil, ein neues Miteinander zwischen SPÖ und ÖVP, wird auch der Umgang mit den wieder erstarkten Rechtsparteien FPÖ und BZÖ sein.
Zur Erinnerung: SPÖ und ÖVP erlitten bei der Wahl im September eine historische Niederlage. Beide landeten bei weniger als 30 Prozent der Stimmen. Das gespaltene rechte Lager kam gemeinsam auf annähernd gleich viel Stimmen wie der relative Wahlsieger SPÖ.
Das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) unter der Führung von Jörg Haider überholte gar die Grüne Partei. Haider selbst, der die österreichische Innenpolitik in den vergangenen 20 Jahren geprägt hat wie kein anderer Politiker, kam vor wenigen Wochen bei einem Autounfall ums Leben. Sein politisches Vermächtnis, populistische und ausländerfeindliche Politik, ist gemessen am Wahlergebnis lebendiger als je zuvor.
Den Regierungsmitgliedern stünde es angesichts dessen nicht schlecht an, würden sie sich zu Beginn der neuen Legislaturperiode die vergangenen 20 Monate noch einmal Revue passieren lassen. Der Erfolg der Rechtsparteien war nicht alleine das Verdienst von Haider oder Heinz Christian Strache (FPÖ), er ist vor allem auch der Politik von SPÖ und ÖVP verschuldet.
Beide Parteien sahen im vergangenen Wahlkampf davon ab, sich klar und eindeutig von den Parolen von FPÖ und BZÖ zu distanzieren. Im Gegenteil ließen sie sich Inhalte und Stil von Strache und Haider diktieren. Wie das Kaninchen vor der Schlange sprangen beide auf einen populistischen Kurs mit auf.
Die SPÖ ganz unverblümt, indem sie mittels Leserbrief in der Kronen Zeitung ihren EU-Kurs aufkündigte und sich künftig bei Vertragsränderungen für Volksabstimmungen im eigenen Land aussprach. Die ÖVP wollte mit einer schärferen Asylpolitik gefallen und verwies auf "Ausländergettos" in Wien.
Das Kalkül: Man wollte das nationalistische, EU-kritische Wählerpotenzial nicht den beiden Rechtsparteien überlassen und schon gar nicht dem direkten politischen Konkurrenten. Doch dieses Kalkül ist gescheitert. Das Dritte Lager mag gespalten sein, geschwächt ist es heute indes nicht.
Doch SPÖ und ÖVP hindert die gescheiterte Strategie nicht daran, weiterzumachen wie bisher. Im Gegenteil: Auf populistische, EU-feindliche Töne wird man auch in Zukunft bei beiden Parteien stoßen können. Sie werden weiterhin versuchen, am rechten Rand zu fischen und somit Inhalte und Stil der Rechtsparteien weiter legitimieren und salonfähig machen.
Die heikle EU-Frage, die im Juli noch für das endgültige Aus der Regierung gesorgt hatte, ist nun kein Hindernisgrund für eine Neuauflage der Großen Koalition. Die Frage wurde schlicht nicht eindeutig beantwortet und auf Eis gelegt.
Und auch die ÖVP scheint nur bedingt Lehren aus den vergangenen acht Jahren gezogen zu haben. Laut Tageszeitung Standard soll eine Gruppe rund um den ehemaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bis zuletzt versucht haben, BZÖ und FPÖ für eine neuerliche Koalition rechts der Mitte zu begeistern.
Bereits in der ersten Pressekonferenz nach der Wahl betonte Pröll, welch wichtige Rolle das Thema Sicherheit in der künftigen Regierung spielen werde, und kündigte eine „Sicherheitsoffensive“ an, damit sich die Menschen in Österreich auch in Zukunft nicht fürchten brauchen. Außerdem geht das zuletzt von der SPÖ liberal geführte Justizministerium an die Volkspartei. Verfassungsexperten sehen die Gewaltbalance im Rechtsstaat gefährdet, wenn eine Partei sowohl Innen- als auch Justizressort unter ihren Einfluss bringt. Wasser auf den Mühlen von BZÖ und FPÖ. Der politischen Glaubwürdigkeit ist damit nicht gedient.
2008/11/24
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen