2008/11/18
Schnäppchenjagd am Apothekenmarkt
Von Martin Gantner | © ZEIT ONLINE 18.11.2008
Die Drogeriekette dm will den Handel mit Medikamenten ausbauen - der vorläufige Höhepunkt eines lang währenden Kampfes. Was bedeutet das für die Patienten?
Die Kreuzung Am Speersort - Kattrepel in Hamburg-Mitte erzählt die Geschichte eines Kampfes. An dieser Kreuzung wird offenbar, mit welch harten Mitteln Apotheker und Drogeristen um die Vorherrschaft am deutschen Apothekenmarkt ringen.
Drei Apotheken und eine Drogerie im Umkreis von wenigen Metern: St. Petri-Apotheke, Apotheke zum Pressehaus, DocMorris und Schlecker. Sie alle handeln mit Medikamenten - mit rezeptpflichtigen und rezeptfreien. Alle wollen ein Stück des 37 Milliarden Euro großen Kuchens haben. So viel betrug der Jahresumsatz aller deutschen Apotheken im vergangenen Jahr. Es geht um Kunden, um Patienten und um die Frage, ob beides dasselbe ist.
Seit 2004 wird der Markt in geringen Dosen liberalisiert. Seinerzeit wurde die Preisbindung bei nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten aufgehoben. Der Wettbewerb unter den Apotheken sollte belebt, Medikamente für Patienten günstiger werden. Im März diesen Jahres dann der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, nach dem Versandapotheken ihre Arzneien in Drogeriemärkten wie dm, Schlecker oder Rossmann vertreiben dürfen.
Dm will nun ab Mitte 2009 in allen deutschen Filialen einen Abholservice für Medikamente einrichten. Auch Schlecker baut seinen Handel mit Medikamenten immer weiter aus. In über 11.000 Märkten gibt es Bestellshops der niederländischen Versandapotheke Vitalsana. Das Prinzip: Durch große Mengen im Einkauf soll den Kunden am Ende ein billigeres Medikament über den Tresen gereicht werden können.
DocMorris, ein deutsch-niederländisches Unternehmen, mischt ebenfalls in der Gesundheitsversorgung mit. Ähnlich dem Franchise-Prinzip vereinen sich unter der Marke über 100 selbstständige Apotheker in ganz Deutschland und bieten ihren Kunden zum Teil billigere Medikamente an als in der alt eingesessenen Apotheke zwei Häuser weiter.
Die Kreuzung in Hamburg-Mitte zeigt nun die beiden Richtungen an, in die der Apothekenmarkt gehen kann: Liberalisierung oder Festhalten am Status quo. Welche Richtung eingeschlagen wird, ist noch offen. Entschieden wird diese Frage Anfang nächsten Jahres in Luxemburg.
Dann wird sich der Europäische Gerichtshof darüber verständigen, wie liberal Deutschlands Apothekenlandschaft gestaltet sein soll. Doch was bedeutet diese Zunahme des Angebots für die Nachfrage nach Aspirin, Paracetamol und Kräutertee? Schon lange sind sich Gesundheitsökonomen einig, dass die Zahl der Arztbesuche mit der Zahl der niedergelassenen Ärzte zunimmt. Je mehr Ärzte, umso kränker das Volk. Kann Ähnliches auch bei Medikamenten vermutet werden?
Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) warnt schon lange vor solchen Liberalisierungstendenzen. Ihr Sprecher Christian Splett: "Da könnte ja jede Currybude auf die Idee kommen, eine Box aufzustellen, Rezepte zu sammeln und zwei Tage später Medikamente zu liefern." Splett weiß, dass das nicht passieren wird, "aber es geht hier um Versorgung, nicht um Konsum."
Kritiker wie Splett verweisen gerne auf die USA, wo Medikamente in Supermärkten zu kaufen sind und Aspirin in der Großpackung im Regal steht. Mit den USA ist die Situation in Deutschland jedoch nicht vergleichbar, sagt Gerd Glaeske. Glaeske ist Gesundheitsökonom an der Universität in Bremen. Er befasst sich mit Arzneimittelversorgung. Seit Jahren würden zuerst verschreibungspflichtige Medikamente in den Bereich der Selbstmedikation übergehen und für diese gilt seit 2004 die freie Preisgestaltung. "Wir können aber nicht feststellen, dass deswegen Missbrauch und Konsum von Arzneimitteln wesentlich zugenommen haben."
Tatsächlich sind die jährlichen Pro-Kopf-Ausgaben für nicht verschreibungspflichtige Medikamente mit 53 Euro konstant geblieben. Und auch in Großbritannien werden Apotheken und Drogerien schon länger zusammengelegt, ohne dass hierdurch ein steigender Effekt beim Arzneimittelkonsum zu erkennen ist.
Fabian Karsch stimmt mit Glaeske in einem Punkt überein. Karsch ist Medizin- und Gesundheitssoziologe an der Universität in Augsburg. Auch er sagt, dass das größere Angebot nicht zwingend in eine steigende Nachfrage nach Medikamenten münden muss. Doch Karsch warnt vor einer zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitsmarktes. "Immer mehr Akteure drängen auf den medizinischen Markt." Diese Entwicklung, davon ist Karsch überzeugt, hat den Ärzten stark geschadet. "Wenn Ärzte immer öfter Dinge anbieten, von denen sie unmittelbar finanziell profitieren, wird dadurch das Vertrauensverhältnis erschüttert. Sie geraten in den Ruf, Gesundheitsverkäufer zu sein."
Noch ist das Vertrauen der Patienten in die Apotheker sehr hoch. In verschiedenen Umfragen schneiden sie oft besser ab als ihre Kollegen aus der Praxis. Die Frage ist, ob das in einem liberalisierten Medikamentenmarkt so bleibt.
foto www.flickr.com/renailleurs
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