2008/11/01

Die Lebenslüge Österreichs

Das deutsch-österreichische Kabarettduo Stermann und Grissemann tourt durch Deutschland. Ein Gespräch über Reich-Ranicki, österreichische Lebenslügen und Jörg Haider

ZEIT ONLINE: Herr Stermann, Sie treten in Ihrem aktuellen Programm als Fernsehkoch auf. Was gibt es zu essen?

Dirk Stermann: Vegetarisches: Nusspüree mit Dill. Aber weil´s billiger ist und unsere Agentur sparen möchte, ist es in Wahrheit kein Dill, sondern Kaninchenfutter. Das wird klein geschnitten. Dazu gibt’s Fertigpüree und eine gehobelte Nuss.

ZEIT ONLINE: Der Titel Ihres Kabarettprogramms lautet "Die deutsche Kochschau oder wie uns das Fernsehen zu Nazis machte“. Wie wurden Stermann und Grissemann zu Nazis?

Stermann: Diese Neonazis haben wir erfunden, weil die Köche in den TV-Shows alle wahnsinnig cool sind: Ziegenbärte und Hemd aus der Hose. Für eine Radiosendung hab ich dann eine Kochschule besucht und festgestellt: Da herrscht ein anderes Regime. Wie in einer Kaserne: ein alter Mann mit Bart, der nur rumgeschrien hat. Deswegen wollen wir wieder Zucht und Ordnung in den Küchen.

ZEIT ONLINE:
Schauen Sie privat auch gerne Kochshows?

Stermann: Sehr gerne sogar. Ich kann mir ausschließlich Informationen merken, die mit Fußball oder TV-Rezepten im Zusammenhang stehen. Nach jeder Kochshow koch ich die Sachen auch gleich nach.

ZEIT ONLINE: Sie haben eine erfolgreiche TV-Sendung in Österreich und machen Programm auf Premiere. In Deutschland wird gerade über die Qualität des Fernsehens diskutiert. Wie sehen Sie das?

Stermann: Ich bin da einer Meinung mit Marcel Reich-Ranicki, sehe ihn aber als Teil des Problems. Es gab auch nur ein paar wenige Folgen vom Literarischen Quartett, die wirklich gut waren. Ich glaube, der Tod der Medien ist das Privatfernsehen und das Privatradio. Früher lief zum Beispiel ein Russisch-Kurs im österreichischen Fernsehen (ORF). Der läuft heute eben nicht mehr und schon gar nicht auf Sat1. Die öffentlich-rechtlichen Sender müssen aussehen wie die Privaten, sonst schalten die Leute nicht mehr ein und deshalb ist für die Russisch-Lehrerin kein Platz mehr. Die einzige Hoffnung ist, dass durch die Finanzkrise die Leute kein Geld mehr für einen Fernseher haben und dann nicht mehr wissen, wie scheiße Fernsehen einmal war.

ZEIT ONLINE:
Sie sind Deutscher und leben seit 20 Jahren in Österreich. Wie erklären sie ihren Freunden den Ausgang der letzten Wahlen in Österreich?

Stermann: Man kann Österreich niemandem erklären. Das kann keiner verstehen. Mit dem Tod Jörg Haiders ist es ja auch wieder so eine Sache. Im Grunde ist das mit der Fernsehkritik Ranickis vergleichbar: Ranicki hat die Fernsehleute total beschimpft, geht von der Bühne und es gibt Standing Ovations. Mit Haider war das genau das Gleiche: Er kritisierte Österreich als eine "ideologische Missgeburt“ und bekommt ein Staatsbegräbnis. Das ist grotesk. Alles Tote ist immer gut in Österreich. Das ist widerspruchslos. Und da Hitler auch gestorben ist, ist er mit seinem Tod auch gut geworden. Der Tod ist eben aus österreichischer Sicht unheimlich geil.

ZEIT ONLINE:
In einem Interview sagten Sie, dass die Reden von Jörg Haider wie rechtes Kabarett funktionieren würden. Wie war das gemeint?

Stermann: Die Reden waren kabarettistisch und auf Pointe geschrieben. Kurze Ansagen wie in der Comedy und immer auf Kosten anderer. Wie Mario Barth eben. Auch wenn der nicht rechts im klassischen Sinne ist, arbeitet er doch mit ganz alten Klischees. Haider machte das im Grunde auch. Er bediente sich verschiedener Stereotypen. Ich glaube aber, wenn wir über andere lachen, dann müssen wir uns über uns selber mindestens genauso lustig machen können.

ZEIT ONLINE: In Österreich betonten Experten nach der Wahl: "Das Volk hat nicht rechts gewählt. Das sind Protest- und keine Rechtswähler.“

Stermann: Das gehört zu den Dingen, die man nicht erklären kann. Das ist die Lebenslüge Österreichs. Das Problem aber ist: Die wissen alle, wen sie gewählt haben. Die wählen diese Parteien nicht nur aus Protest. Aus Protest könnten Sie auch die Christenpartei wählen. Aber sie wählen die total ausländerfeindlichen Parteien, was auf Plakaten und in den Reden überprüfbar ist und das seit Jahrzehnten. Man weiß das, also ist man Rechts- und nicht Protestwähler. Das soll man den Menschen auch sagen. Sie dürfen ja rechts wählen, aber das sollte ihnen bewusst sein.

ZEIT ONLINE:
Kann man heute eher Witze über den Nationalsozialismus machen als noch vor wenigen Jahren?

Stermann: Es bleibt natürlich eine Gratwanderung. Aber ich finde, über den Nationalsozialismus lachen zu können, hat einen befreienden und bewusstseins- bildenden Charakter, mehr als die immer gleiche Betroffenheit, die zwar auch notwendig ist, die sich aber auch entwickeln können muss.

ZEIT ONLINE:
Wie unterscheiden sich deutscher und österreichischer Humor voneinander?

Stermann: Der Humor ist in Österreich brutaler als in Deutschland. In Deutschland sind die Leute viel schneller von etwas geschockt. Wir sehen dann immer ratlose Gesichter im Publikum.

ZEIT ONLINE:
Bei euch verhält es sich wie bei Harald Schmidt: Man verzeiht es euch, wenn ihr mal über einen längeren Zeitraum nicht witzig seid.

Stermann: Unser Motto lautet: Akzeptanz durch Penetranz. Wenn man lange da ist, ist das so wie Regen oder Matsch. Man ist da.

ZEIT ONLINE:
Ihr seid seit 20 Jahren ein Duo. Wer braucht wen mehr in eurer Beziehung?

Stermann: Ich brauche ihn, weil er genialer ist als ich, und er braucht mich, weil ich organisierter bin als er. Was uns aber wirklich verbindet, ist der Umstand, dass wir beide eine Mutter aus der ehemaligen DDR haben. Das merkt man.

Interview: Martin Gantner


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Dirk Stermann

Geboren: 7. Dezember 1965 in Duisburg, lebt seit 1987 in Wien. Er arbeitet als Radiomoderator (FM4, Radio Eins), Kabarettist und Autor. Seit 1988 ist er für den ORF tätig. Als die deutsche Hälfte des Duos Stermann & Grissemann tritt er seit 1990 auf. Stermann ist verheiratet und hat eine Tochter.


foto www.flickr.com/elfis gallery

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