2008/11/02

Die neue Selbstverständlichkeit








Journalisten dürfen häufig nur berichten, wenn sie Knebelverträge unterschreiben. Künstler wollen kontrollieren, was nicht mehr zu kontrollieren ist

Recherche: Martin Gantner


Johannes Bruckenberger weiß, was Stars und Sternchen mögen, oder vielmehr, was sie nicht mögen. Sie legen ihm die Wünsche schriftlich vor - in Verträgen, verklausuliert aber unmissverständlich. Bruckenberger ist stellvertretender Chefredakteur der Austria Presse Agentur (Apa). Auf seinem Schreibtisch liegen Verträge von internationalen Künstlern und deren Agenturen. Jener von Leonard Cohen etwa, der vor wenigen Wochen im Wiener Konzerthaus einen umjubelten Auftritt feierte. Darin festgehalten die Bedingungen, unter denen über das Konzert berichtet werden darf.

"Wir hätten den Text nur einmal publizieren dürfen", sagt Bruckenberger. Weiters hätte er in anderen Publikationen nicht abgedruckt werden und auch nicht im Web erscheinen dürfen. Einigermaßen bizarr, ist es doch Sinn und Zweck einer Presseagentur, Texte den eigenen Genossenschaftern, den österreichischen Medien, zur Verfügung zu stellen. "Das führt ja das Prinzip der Agentur ad absurdum." Streng genommen hätten sich die Apa-Redakteure den Konzertbericht nur gegenseitig vorlesen dürfen, denn über ein eigenes reichweitenstarkes Medium verfügt die Agentur noch nicht. Bruckenberger weigerte sich, den standardisierten Vertrag zu unterzeichnen. Die Klauseln wurden gestrichen.

Immer öfter geraten Journalisten in die Situation, in der sie rigide Akkreditierungsbestimmungen unterschreiben müssen, und Pressefotografen dürfen nur aus bestimmten Winkeln in einer gewissen Zeitspanne fotografieren. Betroffen ist vor allem das Kulturressort. Dominik Kamalzadeh ist Kulturredakteur des Standard. Auch er berichtet davon, dass solche "Paragrafenreitereien" zugenommen haben. Filmkritiker werden bei Pressevorführungen mit Nachtsichtkameras gefilmt. Aus Angst vor Filmpiraterie. Das nächste Mal bei der Pressevorführung des neuen James Bond. Eine Kollegin berichtet von Zuständen wie auf einem Flughafen: Handys und Laptops müssen abgegeben werden, ehe man durch einen Metalldetektor geschleust wird.

In Deutschland sorgte zuletzt der Film "Baader-Meinhof-Komplex" für Negativschlagzeilen. Die ersten gab es bereits, als der Film noch gar nicht in den Kinos war. Der Einladung zur Pressevorführung lag ein Vertrag bei, in dem sich Journalisten einverstanden erklären mussten, Besprechungen, Kritiken und Interviews nicht vor einem bestimmten Datum zu veröffentlichen. Solche Sperrfristen sind mittlerweile nichts Ungewöhnliches mehr.

Für Aufregung sorgten die Konsequenzen, mit denen die Agentur drohte: Für eine Zuwiderhandlung sollte eine Strafe von insgesamt 100.000 Euro fällig werden, jeweils zur Hälfte vom betroffenen Journalisten bzw. seinem Medium an die Münchner Constantin Film zu überweisen. Stefan Grissemann interviewte für das profil den Produzenten des Films, Uli Edel. Edel wollte nach Autorisierung des Interviews drei seiner Antworten gestrichen wissen. Es ging dabei um die Frage, wer in den Reihen der RAF den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer umgebracht hatte. Im Vorfeld des Films hatte Edel verkündet, er kenne den Namen des Täters. Grissemann hatte die Antworten auf Band und veröffentlichte sie. Sie erwiesen sich jedoch nur als längst bekannte Aussagen eines ehemaligen RAF-Mitglieds.

Bei solchen Auseinandersetzungen geht es jedes Mal aufs Neue um dieselbe heikle Frage: Wo fängt Pressefreiheit an und wo hört Vertragsfreiheit auf? Oft werden Verträge oder Akkreditierungsbestimmungen erst kurz vor der jeweiligen Veranstaltung vorgelegt, sodass es zeitlich nicht mehr möglich ist, gegen die einzelnen Bestimmungen rechtlich vorzugehen. Veranstalter verweisen auf das Recht der Vertragsfreiheit und auf das Hausrecht. Konzertarenen werden zu Wohnzimmern erklärt. Heinz Wittmann ist Rechtskonsulent des Verbands Österreichischer Zeitungen (VÖZ). Er sagt: "Bei Privatpersonen kann man dem rechtlich nicht beikommen." Sein Kollege Franz C. Bauer, Journalistengewerkschafter, sieht weniger den Rechtsstaat als vielmehr die Journalisten selbst gefordert: "Mein Vertrauen in den Rechtsstaat ist, was die Ausgestaltung der Pressefreiheit anbelangt, nicht groß. Die müssen wir uns selbst erkämpfen." Konkret: Den Medien bleibt in solchen Fällen allein die Möglichkeit des Boykotts und die Hoffnung, dass sich Kollegen anderer Zeitungen solidarisch erklären.

Ein besonders anschauliches Beispiel bot vor zwei Jahren die Tour von Robbie Williams, die auch in Wien Station machte. Das Album "Intensive Care" durften Journalisten in Deutschland nur per T-Mobile-Handy-Abspielfunktion vorab hören. Beim Konzert selbst war kein deutscher Fotograf erlaubt, ein Kollege aus Großbritannien wurde eingeflogen. Und um für die After-Show-Party zugelassen zu werden, mussten sich die Journalisten dazu verpflichten, den Handyanbieter im Artikel zu erwähnen. Die Deutsche Presse-Agentur (DPA) und Associated Press (AP) verzichteten völlig auf die Konzertberichterstattung. Die Telecom kündigte danach an, die Verträge mit der externen PR-Agentur aufzulösen.

Dabei sind solch rigide Verträge auch in der PR-Branche selbst nicht unumstritten. Ulrich Nies ist Präsident der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG). Über die Verträge sagt er: "Das bringt nur Frustrationen." Er würde seinen Kollegen schon lange abraten, solche Klauseln aufzusetzen. "Der Grundsatz, Control your message' ist in Zeiten von Blogs und Social Media bis zu einem gewissen Grad obsolet geworden." In der Tat stellt sich die Frage, weshalb Fotojournalisten das Konzert nach dem zweiten Lied verlassen müssen, während normale Konzertbesucher mit ihren Handys weiter aufnehmen und fotografieren. "Es ist der Versuch, die neuen Medien nach den Regeln der alten zu behandeln." Der Versuch, zu kontrollieren, was nicht mehr zu kontrollieren ist.

Kamalzadeh sieht noch einen weiteren Grund für diese Entwicklung. Medien würden von Agenturen zusehends als Medienpartner gesehen, nicht mehr als kritisches Korrektiv. "Diese Auffassung von Journalismus ist völlig selbstverständlich geworden."


bild www.falter.at

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