2008/11/12

"Sonst zahlen wir eure Rente nicht"





































Von Martin Gantner | © ZEIT ONLINE 12.11.2008



Tausende Schüler gehen bundesweit für eine bessere Bildung auf die Straße. Die Forderungen sind zum Teil etwas diffus, aber das Engagement ist groß





Die Schüler, die an diesem Mittwoch, in vielen Städten dem Unterricht fernbleiben, haben ihre Hausaufgaben gemacht. Sie wissen, weshalb sie durch die Innenstädte ziehen, Transparente in die Höhe halten, "Bildung" skandieren. Sie fordern "Bildung für alle", "bessere Ausstattung an Schulen" und "kleinere Klassenzimmer". Von "null Bock auf Schule" ist keine Rede.


Allein in Hamburg trafen sich 6000 Schüler aus den verschiedensten Schulen, um ihrem Unmut Luft zu machen. In Berlin sprachen die Veranstalter von 10.000 Teilnehmern. In München, Stuttgart und Kiel gingen trotz der Androhung von Strafen jeweils bis zu 5000 Schüler auf die Straße. Die Schüler-Initiative "Bildungsblockaden einreißen" nannte die Gesamtzahl von 70.000 Teilnehmern in 30 Städten.


"Dass es so viele sein werden, hätte ich nicht gedacht", sagt Linda vom Streikkomitee in Hamburg. Sie steht vor dem Hauptbahnhof und blickt ein wenig ungläubig in die Menge. Von den verschiedenen Seiten strömen immer mehr Schüler auf den Bahnhofsvorplatz. Sie halten Transparente in die Höhe, stimmen Sprechchöre an: "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut.“ Linda glaubt, es wären wohl noch viel mehr gekommen, hätten manche Schulleitungen nicht gegen die Demonstration mobilgemacht.


So hat etwa Bremens Schulsenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) im Vorfeld darauf hingewiesen, dass Schüler zwar ein Demonstrations-, aber kein Streikrecht hätten. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat die bundesweiten Schülerproteste dahingegen begrüßt. Schüler wie Lehrer benötigten "gute Schulen und gute Lernbedingungen", sagte die GEW-Vizevorsitzende Marianne Demmer. Sie appellierte an Bildungsministerien und Schulleitungen, keine Strafen gegen die streikenden Schüler zu verhängen.


In Hessen unterstützte der Elternbund den Boykott: Das mehrgliedrige Schulsystem sei ein Grund für die Benachteiligung sozial schwacher und bildungsferner Teile der Gesellschaft, hieß es zur Begründung.


Doch nicht alle Eltern standen hinter ihren demonstrierenden Kindern. Johanna, Ebru und Mona von der Gesamtschule Lohbrügge in Hamburg etwa berichten von einem Schreiben des Elternrats, in dem vor einer Teilnahme am Streik abgeraten wurde. Sie sind dennoch gekommen. "Wir haben viel über den Streik diskutiert", sagt die 13-jährige Mona. Sie wollen eine leistbare Bildung und wieder neun statt wie nur noch acht Jahre auf dem Gymnasium. Viele berichten von starkem Stress, keiner Freizeit und viel zu großen Klassen.


Eine Schülerin klagt darüber, dass sich an ihrer Schule zwei Klassen zeitweise ein Klassenzimmer teilen müssten. Ähnliches erzählen auch Schüler der Gesamtschule im reichen Hamburger Stadtteil Blankenese. Eine Schülerin einer Gesamtschule hat für ihre Schulbücher zwar bezahlt, aber sie immer noch nicht bekommen. "So ist Bildung nicht möglich", schreit sie ins Megafon. Die Schüler grölen – auch dann, als sich eine Schülerin darüber auslässt, dass die ganze Klasse wegen ein kranken Lehrerin ein halbes Jahr keinen Mathematik-Unterricht hatte. Ersatz gab es keinen. Unverständnis bei den Schülern. Buhrufe.


Nicht ganz so friedlich wie in Hamburg war die Stimmung in Hannover. Dort durchbrachen einige Hundert Demonstranten die Bannmeile um den niedersächsischen Landtag. Steine flogen, eine Scheibe wurde eingeworfen. In Erfurt besetzten rund 100 Schüler kurzzeitig das Schulamt, um durchzusetzen, dass streikende Schüler nicht bestraft werden.


Im Vorfeld der bundesweiten Demonstration war von konservativer Seite davon die Rede, dass hinter der Aktion die Linkspartei stecke. Die jedoch weist das ebenso wie die Organisatoren von sich. Finn vom Hamburger Gymnasium Dörpsweg ist über die Unterstellung erbost. Zu glauben, 6000 Jugendliche seien wegen der "Linken" hier, sei falsch. In der Online-Community "Schüler-VZ" hätten er und andere ein Diskussionsforum eingerichtet. "Innerhalb kürzester Zeit waren über 1500 Schüler registriert, die über das Thema intensiv diskutierten."


Mit der Linkspartei haben auch Leon, Dennis, Moritz und Julius nichts am Hut. Sie sind elf und gehen erst in die sechste Klasse. Die Transparente, die sie in die Höhe halten, sind beinahe größer als sie selbst. Dennis sagt, er möchte nichts für die Schulbücher bezahlen. Dass es den Vieren ernst ist, zeigt ein Blick auf ihre Transparente. Darauf steht: "Sonst zahlen wir eure Rente nicht."





foto auf www.flickr.com/kong niffe

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